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#Ein Meteor ist verglüht

Ein Meteor ist verglüht

Schauer laufen einem über den Rücken, wenn man eine alte Aufnahme von Dmitri Baschkirow aus dem Jahr 1956 hört: Er spielt das Rondo c-Moll op. 1 von Frédéric Chopin und bettet den selig schwebenden Dur-Gesang des Mittelteils ins knöchern-kahle Umfeld des Moll-Refrains, fast ohne Pedal, gespenstisch trocken – eine Groteske mit rabenschwarzem Pierrot.

Jan Brachmann

Nicht nur das jäh erschreckende Bild romantischer Zerrissenheit lässt einen frösteln, sondern vor allem das irrwitzig hohe Niveau des Klavierspiels. Baschkirow, der ein Jahr zuvor den Marguerite-Long-Wettbewerb in Paris gewonnen hatte, bewegt sich hier in der Gipfellage pianistischer Kunst. Die cembalistische Schärfe, die kantige, zugleich präzise Aggressivität, mit der er das Prélude aus Claude Debussys „Pour le piano“ angeht, zeugen von exzellenter Fingertechnik. Aber die schimmernde Zartheit seines Spiels „mit halber Stimme“ in einem Prélude von Alexander Skrjabin, das dem kostbaren Halbdunkel im Timbre von Elisabeth Schwarzkopfs Gesang nahekommt, ist nicht weniger bestürzend.

Baschkirow, am 1. November 1931 in Tiflis geboren, hatte in Moskau noch bei Alexander Goldenweiser – einem Freund und Mitschüler Sergej Rachmaninows in der Klasse von Anton Arensky – studiert. Und sein eigenes Rachmaninow-Spiel besaß eine kühne, manchmal stählerne Eleganz, die jeden Verdacht von Plüschigkeit vom Tisch fegte.

Seine internationale Karriere brach 1980 ab, nachdem die sowjetische Regierung ihm Auslandsauftritte untersagt hatte. Erst Michail Gorbatschow hob dieses Verbot wieder auf. Aber Baschkirows große Leidenschaft war ohnehin das Unterrichten. Nach 1991 konnte man ihm auch in ganz Europa bei Meisterkursen dabei zusehen. Ein Pianist habe sechs Lungenflügel, sagte er immer: die wirklichen in der Brust, die Ellbogen und die Handgelenke. Mit allen könne er atmen. Dass seine Schüler Nikolaj Demidenko, Dmitri Alexejew und Arcadi Volodos alle zur internationalen Spitzenklasse der Pianisten gehören, belegt seinen Rang als Lehrer, der zum Schluss an der Königin-Sofia-Musikakademie in Madrid unterrichtete.

Auch seine Tochter Jelena Baschkirowa hat ihre pianistische Hochbegabung durch den Unterricht bei ihrem Vater zur Exzellenz veredelt. Ihr Verhältnis sei leicht und unproblematisch gewesen, erzählt sie im Gespräch mit dieser Zeitung. Außerdem habe er sie großzügig mit Pop versorgt und noch in der Sowjetunion kiloweise Schallplatten von Pink Floyd oder Emerson, Lake and Palmer besorgt.

„Wenn mein Vater einen Flügel sah, schoss er darauf los wie ein Meteor, um in Musik zu versinken“, sagt sie. „Und solange er Musik machte, konnte ihm nichts passieren. Aber vor zwei, drei Monaten verlor er plötzlich die Lust daran. Die Erstickung des Musiklebens durch die Pandemie, die Unmöglichkeit zu unterrichten, die damit verbundene Einsamkeit – das alles hat ihm das Herz gebrochen.“ Vor zwei Wochen sah sie ihn zum letzten Mal. Am Sonntag ist Dmitri Alexandrowitsch Baschkirow in Madrid gestorben. Er wurde 89 Jahre alt.

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