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#Ein Turm gegen die Sterblichkeit

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„Ein Turm gegen die Sterblichkeit“

Einmal im Jahr, am ersten Januar, zog der Landgraf Bilanz und vergrub sich zur Kontemplation in seiner Burg. Mag sein, dass Wilhelm IX. über sein Reich nachdachte, das wohlhabende, politisch aber nur begrenzt einflussreiche Hessen-Kassel, das er unbedingt zum Kurfürstentum erheben wollte, oder über sein Leben an der Seite seiner Ehefrau und jener Geliebten, mit der er dreizehn Kinder hatte. Und dass er sich in der januargrauen Einsamkeit des Bergparks Wilhelmshöhe auch seiner Sterblichkeit bewusst wurde, vielleicht in der Betrachtung jenes Bahrtuchs, das er dort in der Burg aufbewahrte: Abgebildet ist darauf ein Zug vornehmer Menschen, der sich, geleitet und angetrieben von musizierenden Skeletten, auf einen Sarg hin bewegt.

Seit kurzem hängt das schauerliche Tuch, aus konservatorischen Gründen allerdings als Reproduktion, wieder in einem großen Schrank im Damentrakt der Burg, darunter ein Schachspiel, und dass man seit dem heutigen Tag auch diese Seite des exzentrischen Herrschers wieder erleben kann, ist das Ergebnis einer solchen Kette glücklicher Umstände, dass man lange Jahre nicht darauf gewettet hätte, sie noch zu erleben.

Denn die Löwenburg, die sich der Landgraf als künstliche Ruine in den Park seiner Vorfahren bauen ließ, war im Januar 1945 durch eine Fliegerbombe zu einer echten geworden. Der mächtige Bergfried, der weit über das Kasseler Land schaute, war bis auf ein paar Reste pulverisiert, und vom zugehörigen Gebäudeteil der vierseitigen Burg, in dem sich die repräsentativen Wohnräume des Damen- und des Herrentrakts befanden, stand nur noch die Fassade. Dahin war das wunderbare Spielzeug, das sich der Landgraf in den letzten Jahren des achtzehnten Jahrhunderts von seinem Architekten Heinrich Christoph Jussow in mehreren Bauphasen in den Hang hatte setzen lassen, in der zeitgenössischen Manier, die pseudomittelalterliche Relikte entwarf und mit viel Phantasie ausführte. In diesem Fall wurden die Pläne immer kühner, die Burg größer und höher, aber dass der leicht gedrungen wirkende Bergfried das Bauteil war, an dem sich alle anderen ausrichten sollten, stand von Anfang an fest.

In den restaurierten Räumen steht das original erhaltene Inventar. Die Löwenfüße sind kein Zufall.


In den restaurierten Räumen steht das original erhaltene Inventar. Die Löwenfüße sind kein Zufall.
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Bild: Mirja van IJken

Wer kam, um sie zu besuchen, musste bemerken, dass hier der schöne Schein die langweilige Wirklichkeit überstrahlte: Eine fiktive Stammburg für Wilhelms lange Ahnenreihe, Spolien aus abgebrochenen hessischen Gebäuden zwischen Wänden aus neu zugeschnittenen Tuffsteinquadern, eine wild zusammengewürfelte Inneneinrichtung, die Spötter von einer „landgräflichen Rumpelkammer“ sprechen ließ, und schließlich die malerische, aber militärisch unsinnige Anlage der Burg, die jeder Feind von der Bergseite her in kürzester Zeit eingenommen hätte.

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