#„Eine dramatische Situation“
„„Eine dramatische Situation““
In einer Studie des Universitätsklinikums Essen ist ein sprunghafter Anstieg an Suizidversuchen von Kindern und Jugendlichen am Ende des Lockdowns im Frühjahr 2021 festgestellt worden. 27 deutsche Kinderintensivstationen meldeten in einem dafür angelegten Register demnach für den Zeitraum von Mitte März bis Ende Mai 2021 insgesamt 93 Suizidversuche. Das waren deutlich mehr als in denselben Zeiträumen 2017 (25 Suizidversuche), 2018 (35), 2019 (37) und 2020 (22). Rechnet man die Zahl von 2021 auf alle Kinderintensivstationen in Deutschland hoch, kommt man laut der bislang unveröffentlichten Studie auf etwa 450 bis 500 Suizidversuche von Kindern und Jugendlichen in ganz Deutschland.
Christian Dohna-Schwake ist Oberarzt und Intensivmediziner am Universitätsklinikum Essen, er hat an der Studie mitgearbeitet. Bereits während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 kontaktierte sein Team Kollegen aus anderen Kliniken, weil in Essen zwei Kinder nach einem Sturz aus dem Fenster auf der Intensivstation lagen. „Wir haben uns gefragt, ob es wegen des Lockdowns zu mehr Verletzungen im häuslichen Umfeld kommt“, sagt Dohna-Schwake. Nachdem 37 Kinder-intensivstationen aus ganz Deutschland Daten der im ersten Lockdown aufgenommenen Patienten in ein Register eingetragen hatten, stellten sich die beiden Fensterstürze als Zufall heraus. „Insgesamt gab es ein paar mehr Freizeitunfälle, das könnte am guten Wetter gelegen haben, aber das ist reine Spekulation“, sagt Dohna-Schwake. Das Projekt wurde erst einmal beendet.
Am Ende des zweiten Lockdowns, der schon im Herbst 2020 stufenweise begonnen hatte, beobachteten die Mediziner in Essen dann plötzlich mehr Suizidversuche von Jugendlichen. Das Projekt wurde wiederholt. „Dieses Mal haben wir mit 27 Kinder-intensivstationen zusammengearbeitet und daraus eine Studie erstellt“, sagt Dohna-Schwake. „Es kam heraus, dass die Zahl der Suizidversuche wirklich deutlich angestiegen war.“ Der Mediziner geht davon aus, dass viele Faktoren zu diesem Anstieg beigetragen haben: „Einmal die Reduktion der sozialen Kontakte, zu der ja nicht nur die Schulschließungen, sondern auch das vorübergehende Verbot von Vereinssport geführt haben.“ Vielen Jugendlichen habe außerdem eine Perspektive gefehlt. Der zweite Lockdown habe sich sehr lange hingezogen, ohne dass man wusste, wann er enden würde. „Dazu kamen die Angst um Familienangehörige und die Zunahme der Nutzung von sozialen Medien“, sagt Dohna-Schwake. Insgesamt sei es unstrittig, dass Angststörungen, depressive Symptome und Essstörungen bei Jugendlichen in der Pandemie zugenommen haben. Und die Zunahme an depressiven Störungen bei Kindern führe dazu, dass auch mehr Kinder in ihrer Verzweiflung einen Hilfeschrei aussenden wollten, sagt Dohna-Schwake. Die allermeisten Suizidversuche seien zum Glück nicht erfolgreich gewesen, viele hätten aber zu Vergiftungen durch Tabletten geführt.
Dass Schulen im Moment trotz der sehr hohen Corona-Inzidenzen nicht geschlossen werden, findet Dohna-Schwake richtig. „Im Sommer war ich noch skeptisch, ob sich die Politiker an entsprechende Versprechen wirklich halten werden. Aber sie haben Wort gehalten, das ist ein ganz wichtiger Faktor.“ Einen Fehler will er die langen Schulschließungen während früherer Lockdowns nicht nennen. „Anders als Querdenker müssen Politiker Entscheidungen treffen, ohne dass sie in diesem Moment zu 100 Prozent wissen können, was richtig ist“, sagt er. „Aber man muss danach Daten sammeln und in diesem Fall feststellen, dass das damals eine sehr schwierige, dramatische Situation für Kinder und Jugendliche war.“ Auf dieser Grundlage müsse man jetzt Entscheidungen treffen.
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