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#Eine Neutrino-Karte der Milchstraße

Astronomen haben unsere Milchstraße schon in verschiedensten Wellenlängen der elektromagnetischen Strahlung beobachtet – von Radiowellen über sichtbares Licht bis hin zu Röntgen- und Gammastrahlung. Jetzt ist es einem internationalen Forschungsteam erstmals gelungen, die Neutrino-Emission unserer Heimatgalaxie einzufangen. Diese Elementarteilchen entstehen durch die Interaktion kosmischer Strahlung mit dem interstellaren Medium, können aber auch bei Prozessen in energiereichen Gammastrahlenquellen freigesetzt werden. Um solche galaktischen Neutrinos zu identifizieren, werteten die Physiker zehn Jahre an Daten des IceCube-Neutrino-Observatoriums am Südpol mithilfe spezieller KI-Programme aus. Das Resultat ist ein erstes Porträt unserer Heimatgalaxie im Neutrino-„Licht“.

Neutrinos sind fast masselose Elementarteilchen, die nur wenig mit Materie interagieren und deshalb unseren Körper und sogar die Erdkugel durchfliegen können, ohne absorbiert zu werden. Neutrinos entstehen bei radioaktiven Zerfallsprozessen, bei Teilchenkollisionen in unserer Atmosphäre und bei der Kernfusion in der Sonne, aber auch bei energiereichen, kurzlebigen Prozessen wie Supernovae oder der Zerstörung von Sternen an supermassereichen Schwarzen Löchern. Eine weitere Quelle für astrophysikalische Neutrinos ist die Interaktion kosmischer Strahlung mit dem interstellaren Medium unserer Galaxie: Wenn die Teilchen dieser energiereichen Strahlung mit den Atomen der interstellaren Gase kollidieren, setzt dies eine Zerfallskette in Gang, bei neben Gammastrahlung auch Neutrinos produziert werden. Die Gammastrahlen dieser Wechselwirkungen haben Astronomen bereits nachgewiesen – sie erzeugen ein diffuses, vor allem im dichten galaktischen Zentrum gehäuftes Gammaglühen der Milchstraße.

IceCube-Detektor
Aufbau des IceCube-Neutrinodetektors. © IceCube/NSF

Teilchenkaskaden im Südpoleis

Der Nachweis einer vergleichbaren Neutrino-Emission aus unserer Galaxie stand jedoch noch aus. „Frühere Suchen mit Neutrinodetektoren konnten kein statistisch signifikantes Signal finden“, erklären die Physiker der IceCube-Kollaboration. Einer der Gründe dafür war, dass sich die aus unserer Galaxie stammenden Neutrinos inmitten eines weit größeren Einstroms von Neutrinos aus der Erdatmosphäre und anderen nichtastrophysikalischen Quellen verbergen. „Selbst bei der Suche nach astrophysikalischen Neutrinos mit Energien im Teraelektronenvolt-Bereich bleiben diese atmosphärischen Neutrinos als substanzieller Hintergrund bestehen“, erklärt das Team. Ein weiterer Grund: Viele der energiereichen Neutrinos, die potenziell aus der Milchstraße stammen könnten, erzeugen keine langen, gut auf eine Herkunftsregion zurückzuführenden Spuren in den Detektoren, sondern eher kurze Kaskaden sekundärer Teilchen. Betrachtet man nur diese, kann man daher zwar das Hintergrundrauschen durch atmosphärische Teilchen verringern, dafür machen die kurzen Spuren es schwer, die ursprüngliche Richtung und damit die Herkunft dieser Teilchen zu ermitteln.

„Kaskaden-basierte Suchen sind daher verlässlich in Bezug auf die Reinheit des Signals, aber weniger bei der Winkelauflösung der einzelnen Ereignisse“, erklären die Physiker der IceCube-Kollaboration. Um dennoch die Neutrino-Emission der Milchstraße aufspüren zu können, haben sie nun zehn Jahre an Beobachtungsdaten des IceCube-Detektors am Südpol mit modernsten Methoden KI-gestützter Auswertung kombiniert. Der IceCube-Neutrinodetektor besteht aus 5160 Photodetektoren, die in einer dreidimensionalen Gitterformation zwischen 1,5 und 2,5 Kilometer tief ins antarktische Eis eingelassen sind. Wenn ein Neutrino bei seiner Passage durch das Eis mit einem Atom kollidiert, entstehen angeregte sekundäre Teilchen, die überschüssige Energie in Form von Licht abgeben. Diese winzigen, schwachen Lichtblitze fangen die Photodetektoren ein und erlauben so Rückschlüsse auf Form und Richtung der Teilchenkaskade und die Energie des Ereignisses.

Die Neutrino-Emission der Milchstraße

Für ihre Studie nutzten die Wissenschaftler mehrere auf lernfähigen neuronalen Netzen basierende Analyse-Algorithmen. Einen davon setzten sie ein, um aus den knapp 59.600 Neutrino-Ereignissen diejenigen herauszufiltern, die nicht aus der Erdatmosphäre oder anderen Störquellen stammen. Dabei blieben rund sieben Prozent dieser Ereignisse als potenziell astrophysikalischen Ursprungs übrig. Im nächsten Schritt nutzte das Team ein weiteres neuronales Netzwerk, um den potenziellen Ursprung dieser Neutrinos anhand der Form und Ausrichtung des Kaskaden-Ereignisses zu rekonstruieren. „Zusammen ermöglichten uns diese verbesserten Methoden, eine Größenordnung mehr Neutrino-Ereignisse mit deutlich besserer Winkelauflösung auszuwerten“, berichtet Mirco Hünnefeld von der TU Dortmund, der federführend an der Entwicklung dieser Analysemethoden beteiligt war. „Dies resultierte in einer Analyse, die dreimal sensitiver ist als frühere Suchen.“ Um herauszufinden, ob die Eingrenzung der möglichen Herkunftsgebiete dieser Neutrinos mit plausiblen Entstehungsorten in der Milchstraße zusammenpassen, glichen die Physiker die resultierende Karte der Neutrinoverteilung mit einer Gammastrahlenkarte der Milchstraße ab.

Nach zwei Jahren der Analyse und Überprüfung der Daten ist es nun soweit: „Wir haben die Neutrino-Emission aus der galaktischen Ebene mit einer Signifikanz von 4,5 Sigma identifiziert“, schreibt die IceCube-Kollaboration. „Der beobachtete Neutrino-Überschuss aus der galaktischen Ebene liefert starke Belege dafür, dass die Milchstraße eine Quelle energiereicher Neutrinos ist.“ Gleichzeitig haben die Physiker damit erstmals ein Bild unserer Heimatgalaxie nicht mithilfe elektromagnetischer Strahlung, sondern anhand von Neutrinos erstellt. „Unsere Heimatgalaxie erstmals mit solchen Teilchen statt mit Licht zu beobachten, ist ein großer Schritt“, sagt Koautor Naoko Kurahashi Neilson von der Drexel University. „Mit der sich weiterentwickelnden Neutrino-Astronomie bekommen wir eine neue Linse, um den Kosmos zu erforschen.“ In der neuen Neutrino-Emissionskarte der Milchstraße ist bereits deutlich zu erkennen, dass besonders viele Neutrinos aus den gas- und sternreichen Regionen nahe des galaktischen Zentrums stammen. Dazu passt, dass diese Regionen unter dem Einfluss der kosmischen Strahlung auch besonders viel Gammastrahlung freisetzen. „Den Neutrino-Gegenpart davon haben wir jetzt gemessen. Das bestätigt, was wir über unsere Galaxie und die Quellen kosmischer Strahlung wissen“, sagt Neilsons Kollege Steve Sclafani.

Quelle: IceCube Collaboration, Science, doi: 10.1126/science.adc9818

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