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#Eine Strategie der Zermürbung

„Eine Strategie der Zermürbung“

„Die russischen Operationen haben sich verändert“, bilanzierte Jim Hockenhull, der Direktor des britischen Militärgeheimdienstes, am vorigen Freitag. „Die Russen verfolgen nun eine Strategie der Zermürbung.“ Der Kreml habe seine ursprünglichen Ziele nicht erreicht. Moskau sei vom Ausmaß des ukrainischen Widerstands überrascht worden, außerdem leide der russische Feldzug unter selbstverschuldeten Problemen. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen der Generalleutnant zitiert werden durfte. Diese Botschaft war ihm wichtig.

Thomas Gutschker

Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

Inzwischen wird sie weithin geteilt. Das angesehene amerikanische Institute for the Study of War (ISW), das jeden Tag genaue Lageberichte veröffentlicht, urteilte am Samstag: „Die ukrainischen Kräfte haben den ursprünglichen russischen Feldzug in diesem Krieg vereitelt.“ Der habe darauf gezielt, die drei Großstädte Kiew, Charkiw und Odessa einzunehmen, um einen Machtwechsel in Kiew zu erzwingen. „Diese Kampagne hat kulminiert.“ Damit bestätigten sie wiederum eine Einschätzung von Ben Hodges, des früheren Kommandeurs der amerikanischen Truppen in Europa. Hodges hatte schon Mitte voriger Woche der F.A.Z. gesagt, die russische Eroberung könne „in den nächsten sieben, acht Tagen ihren Kulminationspunkt erreichen“. Auch jüngst zeigte er sich sicher, dass Russland militärisch keinen Erfolg in der Ukraine haben wird.

Lage entspricht Theorem von Clausewitz

Der Kulminationspunkt ist ein Theorem, das der deutsche Militärtheoretiker Carl von Clausewitz im 19. Jahrhundert entwickelt hat. Es beschreibt jenen Punkt, an dem sich ein Angriff erschöpft und der Angreifende nicht mehr zu größeren Vorstößen in der Lage ist. Clausewitz hatte den Russland-Feldzug Napoleons vor Augen. Der französische Kaiser wollte 1812 einen schnellen Sieg erzielen. Doch sein Gegner wich immer wieder zurück, und je weiter die Franzosen vordrangen, desto größer wurden ihre logistischen Probleme. Napoleon verlor den Großteil seines Heeres nicht auf dem Schlachtfeld sondern durch Krankheiten und Hunger. Als er nach drei Monaten in Moskau einzog, stand die Stadt in Flammen. Das war aus Clausewitz‘ Sicht der Kulminationspunkt. Napoleon wartete vergeblich auf ein Angebot für Friedensverhandlungen, trat dann zu spät den Rückzug an und verlor im einsetzenden Winter die Hälfte seiner verbliebenen Truppen. So endete der Krieg mit einer Niederlage, obwohl Napoleon die wichtigen Schlachten gewonnen hatte.

Für Clausewitz war dieser Feldzug das Vorbild eines Krieg, dessen Ziel „im Ermüden des Gegners“ besteht. Dafür wurde später der Begriff des „Zermürbungskrieges“ oder des „Abnutzungskrieges“ geprägt. Das englische Wort dafür, das Hockenhull verwendete, lautet „war of attrition“. In einem Zermürbungskrieg ist keine Seite stark genug, um der anderen den entscheidenden Schlag zu versetzen. Stattdessen kommt es zu einem verlustreichen Aufreiben der Kräfte, und zwar auf beiden Seiten. Der Vorteil liegt letztlich bei der Kriegspartei, die im Verhältnis weniger Verluste hinnehmen muss oder mehr Reserven hat. 1812 konnten die russischen Truppen die Tiefe ihres Landes nutzen. Das ist den Ukrainern heute nicht möglich. Ihre beiden größten Städte Kiew und Charkiw liegen exponiert nahe der Grenze zu Russland. Doch haben die Russen hier wie andernorts so große logistische Probleme, dass ihr Angriff trotzdem steckengeblieben ist.

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