#Einmal vom Realismus befreit

Marion Cotillard, Adam Driver und eine summende Baby-Puppe: Mit „Annette“ hat Leos Carax einen Musical-Film gedreht. Ein Gespräch über die Freiheit des Unrealen, die Schrecken der Produzenten und den Vorteil singender Schauspieler.

Es wäre schamlos untertrieben, wenn man sagte, dass dieser Ort nicht zum Film passt. Zu dem Mann, der den Film ge­macht hat, passt er noch viel weniger. Eine Businesssuite in einem gehobenen Hamburger Hotel, helles Holzfurnier, Gläser, Tassen, Getränke für sechs Personen, immergleicher internationaler Kon­ferenzraumstandard. Hier könnten auch ein paar Geldgeber sitzen und be­schließen, dass sie den neuen Film von Leos Carax dann lieber doch nicht finanzieren wollen.

Wegen dieser komischen Puppe, die statt eines Kleinkindes auftritt, weil die Schauspieler darin nicht reden, sondern singen, weil Musicals was für Mehrzweckarenen und Busladungen voller Tou­risten sind und nicht fürs Kino. Und weil sie diesem Mann von 61 Jahren, dessen Schuhe so abgetragen sind wie sein Mantel und der dazu einen kleinen Hut trägt wie Pete Doherty, nicht recht über den Weg trauen. Weil er schon vor rund dreißig Jahren, als „Die Liebenden von Pont-Neuf“ entstand, sein bis heute be­kanntester Film, den Ruf erwarb, „schwie­rig“ zu sein, um es mild zu sagen.