Wissenschaft

#Einstige „Seitensprünge“ bei Luchsen aufgedeckt

Wie könnte man die durch Inzucht geschwächten Iberischen Luchse bei ihrer Bestandserholung unterstützen? Die Einkreuzung des Eurasischen Luchses könnte ihnen vielleicht guttun, legt eine Studie nahe. Denn wie sich zeigte, bereicherte dies schon vor Jahrtausenden natürlicherweise die genetische Vielfalt der Iberischen Luchse. Auch bei anderen bedrohten und genetisch verarmten Tierarten könnte etwas „frisches Blut“ von Verwandten ihrer Vitalität zugutekommen, sagen die Forschenden.

Sie sind kleiner, haben längere Bärte und eine ausgeprägtere Fellzeichnung als ihre Verwandten aus dem Norden: Die Iberischen Luchse (Lynx pardinus) unterscheiden sich bei genauerer Betrachtung deutlich von den Eurasischen Luchsen (Lynx lynx). Aus Untersuchungen geht zudem hervor, dass sich die beiden Arten schon vor etwa einer Million Jahren aufgetrennt haben. Die auch Pardelluchse genannten Iberischen Luchse waren einst im heutigen Spanien und Portugal weit verbreitet. Doch vor allem im 20. Jahrhundert ging es dann mit ihren Beständen rapide bergab. Sie fielen der Jagd, dem Lebensraumverlust, dem Straßenverkehr und Katzenseuchen zum Opfer, bis nur noch unter hundert Exemplare übrig waren. Anschließende Erhaltungsbemühungen zeigten dann zwar Erfolge, doch noch immer gelten die Iberischen Luchse als eine der seltensten Katzenarten der Welt und ihr Fortbestand ist bedroht.

Problematische Inzuchtpopulation

Ein Problem ist dabei die geringe genetische Vielfalt aufgrund der starken Inzucht in den kleinen Restbeständen. Dies macht die Tiere anfällig gegenüber Erkrankungen und senkt grundlegend ihre Fähigkeit, sich an Veränderungen in ihrer Umwelt anzupassen. Im Rahmen ihrer Studie sind nun die Forschenden um María Lucena von der Doñana Biological Forschungsstation in Sevilla der Frage nachgegangen, wie es in der Vergangenheit um die genetische Vielfalt der Iberischen Luchse bestellt war. Dazu analysierten die Wissenschaftler DNA, die sie drei fossilen Exemplaren des Iberischen Luchses entlocken konnten. Einer stammt dabei aus Andújar und wurde auf ein Alter von etwa 4300 Jahren datiert. Ein weiteres, etwa 2500 Jahre altes Exemplar kam aus Alcanar in Katalonien und der dritte Luchs hat vor rund 2100 Jahren im heutigen Portugal gelebt.

Eigentlich erwarteten die Forschenden, bei den alten Tieren im Vergleich zu den heutigen noch eine relativ hohe genetische Vielfalt festzustellen. Doch die Vergleiche der Sequenzierungsergebnisse führten zu einer großen Überraschung: Die genetische Vielfalt war bei den alten Luchsen nicht etwa reicher, sondern ärmer als bei den heutigen Tieren. Das Team konnte dann auch die Ursache für den Zuwachs an genetischer Vielfalt aufzeigen: Demnach war durch Vermischungen genetisches Erbe des Eurasischen Luchses ins Genom des Iberischen Luchses eingeflossen. „Es zeigte sich, dass die modernen Luchse mehr genetisches Material mit ihrer Schwesterart, dem Eurasischen Luchs teilen als die älteren Luchse. Dies deutet darauf hin, dass in den letzten zweitausend Jahren ein genetischer Austausch zwischen den beiden Arten stattgefunden hat“, sagt Lucena. Passend dazu zeigten die Analyseergebnisse auch, dass die jüngeren der untersuchten Exemplare – aus Katalonien und Portugal – mehr genetische Varianten des Eurasischen Luchses aufweisen als das ältere Exemplar aus Andújar.

Hybridisierung mit Potenzial für den Artenerhalt?

Dass es zu derartigen Vermischungen über Artgrenzen hinweg kommen kann, ist auch von anderen Tierarten bekannt. Meist vermeiden dies Tiere zwar, aber unter bestimmten Umständen kommt es vor. Konkret vermuten die Forschenden, dass es zu dem genetischen Austausch kam, als die Verbreitungsgebiete der beiden Arten eine Zeit lang aneinandergrenzten. Der Iberische Luchs könnte demnach in dem relevanten Zeitfenster auch nördlich der Pyrenäen vorgekommen sein, oder einige Eurasische Luchse streiften durch den Norden der Iberischen Halbinsel. Nach diesen gelegentlichen Vermischungen hat sich dann das genetische Erbe des Eurasischen Luchses auf alle heutigen Populationen der Pardelluchse ausgebreitet. Darin liegt wiederum ein Hinweis darauf, dass sich dieses über die Artgrenze hinweg eingeführte Erbmaterial günstig auf die Tiere ausgewirkt hat.

Den Forschenden zufolge handelt es sich bei den Studienergebnissen damit nicht nur um einen interessanten Einblick in die Entwicklungsgeschichte des Iberischen Luchses. Sie könnten auch für die Bemühungen um den Schutz der bedrohten Raubkatzen relevant sein – und darüber hinaus. Denn die Studie rückt erneut die umstrittene Frage in den Fokus, ob die Einführung von entfernt verwandten Individuen in gefährdete und genetisch verarmte Populationen eine Erhaltungsstrategie darstellen könnte.
„Unsere Ergebnisse ergänzen die sich häufenden Belege für natürliche Vermischung und Introgression in den Genomen vieler Arten und zeigen, dass dies zu einem Anstieg der vorhandenen genetischen Vielfalt in genetisch stark erodierten Populationen führen kann“, sagt Co-Autor Michael Hofreiter von der Universität Potsdam. „Insofern sollte man die strikte Vermeidung interspezifischer Quellen bei Maßnahmen zur genetischen Wiederherstellung möglicherweise überdenken und sorgfältig prüfen. Vor allem dann, wenn wie beim Iberischen Luchs, keine zusätzliche Population der gleichen Art vorhanden ist, sodass eine eng verwandte Art die einzige Quelle für neue genetische Vielfalt sein könnte“, sagt der Wissenschaftler.

Quelle: Universität Potsdam, Fachartikel: Nature Ecology & Evolution, doi: 10.1038/s41559-023-02267-7

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