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#Eng verschränkte Geschenke

Eng verschränkte Geschenke

Der Unterschied zwischen Alltag und Koma ist nur nominell, wenn man Träume mit niemandem teilen kann. Der sechzehnjährige Naomi Katagaki träumt, wenn er nicht gerade im Kyoto des Jahres 2027 zur Schule geht, von interstellaren Reisen. Auf seinem Schlafzimmer-Altar stehen die Science-Fiction-Klassiker des Verlags Hayakawa, mit deren Hilfe Naomi im Zeichentrickfilm „Hello World“ von Tomohiko Itô, der seit Ende letzter Woche als DVD, Blu-Ray und per Stream auf Deutsch bestaunt werden kann, anfangs im Stubenhockerkokon auf das anstrengende Leben außerhalb der Traumquarantäne verzichtet.

Dietmar Dath

Dann aber stürzt eine merkwürdige Krähe aus orangefarbenen Lichtvorhängen über der Stadt und mopst dem Jungen ein Buch. Der setzt ihr nach und begegnet an geweihter Stätte einem Fremden unter weißer Kapuze, der zwischen Daumen und Zeigefinger ein Dateninterface aus Luft und Licht webt und sich schließlich vorstellt: „Ich bin du, aber erst in zehn Jahren.“ Seinem jüngeren Ich will der Zukunftsbote zur großen Liebe verhelfen. Das verlangt zunächst die Entscheidung zwischen zwei denkbaren Zielen der Sehnsucht, den Mitschülerinnen Misuzu und Ruri. Misuzu scheint permanent umgeben von Bubble-Tea-Blasen einladender Herzlichkeit, Ruri dagegen ist eine „Tsundere“, das heißt, sie gibt sich spröde und schroff, eine etwas zu anspruchsvolle Flirtmethode für den rührenden Wirrkopf, der fast in Ohnmacht sinkt, als er erkennt, dass sie seine Hingabe an die Literatur teilt. Holprig-lustig lernen Naomi und Ruri außer Büchern auch einander zu lesen. Bald schreiben sie kürzeste Mitteilungen, die Gleichaltrige sonst digital verschicken, in Briefe, die sie, rührend ernsthaft-altmodisch, einander gewissenhaft zustellen. Unter Bäumen flüstern sie zusammen; die Liebe ist da.

Mitten in der „zweiten Quantenrevolution“

Hier jedoch springt der Film vom Niedlichen ins Ungeheuerliche: Der künftige Naomi hat gelogen, die Gegenwart ist gar keine, sondern Archivinhalt eines Quantencomputers, der die Weltlinien unzähliger Individuen deren jederzeitigen Abfragen zur Verfügung stellt. Der Mann in Weiß ist kein Helfer, sondern ein Dieb, der Naomis und Ruris Glück stehlen will, weil er muss. Die harmlose Filmoberfläche aus Cel-Shading-Figurendesign und digitaler Raumsuggestion zerbricht daran; eine Erzählung über Herz und Hirn an beider Grenze zum Zerfall zeigt sich als Gleichnis auf die Wissensgegenwart des Filmpublikums. Dieses Publikum befindet sich, ob es das weiß oder nicht, mitten in einer „zweiten Quantenrevolution“, wie der Titel einer populären Darstellung der Materie von Lars Jaeger aus dem Jahr 2018 sagt. Die „erste Quantenrevolution“ war Max Plancks Entdeckung von Energiepäckchen im physikalisch Kleinsten, die allerlei Irrsinn mit sich brachte, von Heisenbergs Unbestimmtheiten elementarer Weltbausteineigenschaften über die Doppelgestalt von Licht und Materie als Welle wie Teilchen und die Nichtlokalität von Ereignismustern in weit auseinanderliegenden Raumzeitregionen bis hin zur gespenstischen „Verschränkung“ von entlegenen Messgrößen. Das alles ist Physikgeschichte.

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