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#Er hat mehr Familie, als ihm lieb ist

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Er hat mehr Familie, als ihm lieb ist

Man hat schon elegantere Jogger gesehen: Joe Jessen rennt sich die Seele aus dem Leib. Bis zur Erschöpfung kämpft er sich voran, in bester Form ist er nicht gerade. Seine Frau tänzelt vorweg und reicht ihm lockend die Hand. Jessen läuft und läuft und keucht und keucht, doch er erreicht sie nicht. Kann er auch nicht. Denn seine Frau Nora (Petra van de Voort) ist vor einem Jahr gestorben. Schweißgebadet wacht der Psychiater auf und stapft durch sein Penthouse im gläsernen Turm am Hafen. Die Tochter Charlotte ist nicht nach Hause gekommen. Jessen ist beunruhigt. Nicht ohne Grund.

Michael Hanfeld

verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

Der an Parkinson erkrankte Psychiater, der keine Patienten mehr behandelt und stattdessen selbst ein Fall für die Therapeutin, seine Freundin Dörte (Nele Mueller-Stöfen), ist, hat bald noch sehr viel mehr Grund, beunruhigt zu sein. Jessens Vater Conrad (Dietrich Hollinderbäumer) liegt im Krankenhaus im Koma. Der alte Herr sei die Treppe hinuntergefallen, heißt es. Joe Jessen glaubt das nicht, er zieht von Natur aus und beruflich seit jeher alles in Zweifel. Meist liegt er richtig, das hat sich in der Zusammenarbeit mit Kommissar Vincent Ruiz (Juergen Maurer) immer wieder bestätigt. Und die Dame am Krankenbett des Vaters kennt Jessen auch nicht. Als sich Olivia Schwartz (Aglaia Szyszkowitz) als dessen Ehefrau vorstellt, ruft Jessen die Polizei.

Der Stiefbruder zieht das Messer

Was wir nun erleben, ist die Dekonstruktion der Figur des gebrochenen Psychiaters, der anderen hilft, nur sich selbst nicht. Sein Vater, unter dessen Missachtung Jessen als Junge litt, hat jahrzehntelang ein Doppelleben geführt, an zwei verschiedenen Orten, mit zwei Frauen und zwei – Söhnen. Seinen Stiefbruder Kolja (Maximilian Mundt) lernt Jessen bald kennen. Der junge Mann hat sich an seine Tochter Charlotte (Lilly Liefers) herangemacht, latscht halb nackt aus dem Badezimmer und bedroht Jessen mit einem Messer. Er hat schließlich seine Mutter, die der Junge für eine „Heilige“ hält, bei der Polizei angezeigt. Jessen wiederum ist der Überzeugung, er habe es mit einer „schwarzen Witwe“ zu tun. Olivias erster Mann starb bei einem Verkehrsunfall, sie saß am Steuer.

Die Handlung der Episode „Die andere Frau“ der Reihe „Neben der Spur“ hat noch mehr Volten auf Lager. Zu verdanken ist das dem australischen Schriftsteller Michael Robotham, nach dessen Romanfigur Joseph O’Loughlin das ZDF die Geschichten von Joe Jessen und seinem Gang durch die Welt gestaltet hat. 2015 löste er seinen ersten Fall, mit Kommissar Ruiz als Kompagnon; dieser Fall nun, der sich allein in Jessens Familie abspielt, ist der letzte. Und für das Finale, so hat man den Eindruck, räumt der Regisseur Josef Rusnak, der auch das Drehbuch geschrieben hat, mit allem auf, was an scheinbaren Verlässlichkeiten da ist. Lebenslüge türmt sich auf Lebenslüge. Jessens Mutter Maria (Barbara Focke) wusste schon lange alles und leidet still vor sich hin, Olivia zieht eine Patientenverfügung aus der Tasche und übernimmt den Vorsitz der Jessen-Stiftung, ihr Sohn Kolja ist wirklich „neben der Spur“, Jessens Tochter läuft vor der Trauer um ihre verstorbene Mutter davon, Karl Reiser (Rolf Becker), der Anwalt und Freund von Jessens Vater, hat für diesen krumme Dinger gedreht. Kein Wunder, dass sich Kommissar Ruiz fragt, wo er denn da mit den Ermittlungen ansetzen soll.

Hätten wir es nicht mit einer bestechenden Besetzung zu tun, mit Ulrich Noethen als Meister der stillen Präsenz im Zentrum (Juergen Maurer hat als Kommissar Ruiz leider nur einen randständigen Part), und sorgten die Einstellungen der Kamera (Peter Joachim Krause) sowie das Szenenbild (Marcus A. Berndt) nicht für stimmungsvolle Räume – den Hamburger Hafen sehen wir von unten und oben und als Schauplatz einer Verfolgungsjagd –, käme einem der Handlungsbogen so überspannt vor, wie er ist. Die hier angedeuteten Plotpoints sind noch längst nicht alles, sie stehen einer halbwegs nachvollziehbaren psychologischen Figurenzeichnung dermaßen im Weg, dass man ein ums andere Mal denkt: Jetzt bitte nicht auch das noch. Die Bitte wird nicht erhört. Dass sie „neben der Spur“ sind, müssen in diesem Stück alle Figuren beweisen. Sprüche vom Psycho-Grabbeltisch („Eine Trennung hat auch etwas Gutes“, „Auch die dunkelste Stunde hat nur 60 Minuten“) sind gratis.

Am Ende macht Johannes „Joe“ Jessen einen großen Sprung. Seine Tochter macht einen, der verpeilte Stiefbruder, die „schwarze Witwe“ und Jessens Eltern vielleicht sogar auch. Das Lügen- und Gefühlschaos scheint sich zu lichten. Aber als Schlusspunkt dieser bewusst außerplanmäßig angelegten Serie, die im ZDF in jedem Jahr mit einer Folge aufschien, wirkt das ein wenig mickrig. Der Vorhang fällt, ein paar Fragen hätten wir noch. Von Joe Jessen gibt es nun keine Antworten mehr.

Neben der Spur – Die andere Frau läuft an diesem Montag um 20.15 Uhr im ZDF.

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