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#Es ist doch eh längst zu spät, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen (Die neuen Klimamythen 12) – Astrodicticum Simplex

Es ist doch eh längst zu spät, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen (Die neuen Klimamythen 12) – Astrodicticum Simplex

Als ich vor vier Jahren meine erste Serie über Klimamythen geschrieben habe, hat sie mit genau diesem “Argument” geendet: Es ist schon von viel zu spät, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Und damit endet auch die aktuelle Serie über die neuen Klimamythen. Denn diese Behauptung war damals falsch und ist es heute immer noch.

Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Irgendwann wird es zu spät sein. Es ist auf jeden Fall schon zu spät, die Klimakrise komplett zu verhindern. Das hätten wir vielleicht noch schaffen können, wenn wir uns nach der ersten Weltklimakonferenz im Jahr 1979 zusammengerissen hätten. Oder nach dem Bericht “Die Grenzen des Wachstums” des Club of Rome aus dem Jahr 1972. Das haben wir aber nicht. Deswegen stecken wir nun eben auch mitten in einer in der Geschichte der Erde bisher beispiellosen schnellen und heftigen Veränderung des Klimas. Einer Veränderung, die negative Folgen auf unser Leben auf dem Planeten haben wird. Das können wir nicht verhindern. Wir KÖNNEN aber verhindern, dass diese Folgen katastrophal werden. Wir können das beim Pariser Abkommen beschlossene Ziel, die Erwärmung der Erde gegenüber der vorindustriellen Zeit auf 1,5 Grad zu beschränken, noch erreichen. Und damit zum Beispiel unsere Chancen erhöhen, dass nicht zu viele Kippelemente im Klimasystem ausgelöst werden. Was wir dringend verhindern sollten!

Ich bin nur einer. Kann ich was tun oder nicht?

Mittlerweile ist es nicht mehr einfach, dieses Ziel zu erreichen. Aber es ist nicht unmöglich. Wir müssen halt JETZT SOFORT anfangen, etwas zu tun. Aber, höre ich da schon den einen oder die andere sagen, wie soll das denn gehen? Ich, als einzelner Mensch, kann doch nichts tun, was irgendeinen Einfluss hat. Und die Politik tut halt nix, was soll man da machen?

Diese fatalistische Einstellung ist nicht völlig ohne Grundlage. Aber sie ist auch nicht angebracht. Denn auch als einzelner Mensch hat man Einfluss! Es ist ein bisschen so wie beim vorherigen Artikel dieser Serie: Ein Land wie Deutschland oder Österreich hat zwar nur einen geringen Anteil an den globalen CO2-Emissionen. Aber daraus folgt nicht, dass sich so ein Land komplett aus der Angelegenheit raushalten kann. Für uns einzelne Menschen gilt das genau so. Ja, es stimmt schon: Ob ich persönlich jetzt mit dem Fahrrad durch die Gegend fahre oder mit einem SUV, interessiert das Weltklima genau gar nicht. Aber es geht ja nicht nur um mich, es geht um mich und alle anderen Menschen auf dieser Welt. Wir haben das CO2 ja auch alle gemeinsam in die Atmosphäre gebracht. Mit jeder Autofahrt, die wir als Individuen in den letzten Jahrzehnten unternommen haben, mit jedem Flugzeug das wir bestiegen haben. Mit den Produkten die wir gekauft haben, mit der Nahrung, die zu kaufen und zu essen wir uns entschieden haben. Mit den politischen Parteien, die wir gewählt haben. Und so weiter: Unzählige einzelne Entscheidungen, über Jahrhunderte hinweg, haben uns in die Situation gebracht, in der wir jetzt sind. Und wir müssen auch alle gemeinsam wieder einen Weg dort raus finden.

Man muss allerdings aufpassen: Die Klimakrise ist ein so umfassendes und gewaltiges Problem, dass eine Lösung ohne maßgebliche Eingriffe von “der Politik”, “der Wirtschaft”, usw nicht erreicht werden kann. Aber das sind ja keine un/übermenschlichen Wesenheiten. Wir alle sind – zum Teil – “die Politik” und “die Wirtschaft”. Wenn wir in ausreichender Zahl darauf bestehen, bestimmte Produkte nicht mehr zu kaufen und dafür andere schon, dann hat das Auswirkungen auf das, was “die Wirtschaft” produziert. Wenn wir in ausreichender Menge die eine Partei wählen und die andere nicht, ändern wir “die Politik”. Und so weiter. Es ist absolut nicht zulässig, wenn diejenigen, die in der Lage sind entsprechend globale Entscheidungen zu treffen, die Verantwortung auf die einzelnen Menschen abzuwälzen. Die Politik muss mehr tun, als schicke Kampagnen zu entwerfen, die Menschen davon überzeugen soll, die Kühlschranktür nicht offen zu lassen oder weniger Essen wegzuwerfen (oder was auch immer da für entsprechende Kampagnen existieren). Die Politik und die anderen entscheidenden Gremien der Welt müssen handeln. Woraus aber ebenso wenig folgt, dass wir als Individuen das nicht tun müssen und vor allem nicht folgt, dass wir diese Handlungen nicht einfordern können.

Bleiben wir zuerst noch einmal bei dem, was man tatsächlich als einzelner Mensch tun kann und/oder soll. Dazu gibt es eine nette Forschungsarbeit von Seth Wynes und Kimberly Nicholas von der Uni Lund in Schweden. In “The climate mitigation gap: education and government recommendations miss the most effective individual actions” haben sie sich angesehen, welche Auswirkungen auf das Klima verschiedene individuelle Aktionen haben und wie das mit den diversen Empfehlungen offizieller Stellen zusammen passt. Sieht man sich die Liste an, dann steht an erster Stelle der effektiven Maßnahmen der Verzicht auf ein Auto. Das spart pro Jahr und Person im Schnitt 2,5 Tonnen CO2-Emissionen. Das ist ein durchaus relevanter Anteil an den circa 9,5 Tonnen CO2, die pro Kopf in Deutschland in jedem Jahr emittiert werden (und ein noch größere Anteil an den circa 8 Tonnen pro Kopf und Jahr in Österreich). Fast ebenso effektiv ist der Verzicht auf einen transatlantischen Flug (~1,5 Tonnen CO2). Ebenfalls unter die Maßnahmen mit “großen Auswirkungen” einsortiert wurden Aktivitäten wie der Wechsel auf grüne Energie und auf eine vegane Ernährung. Eher weniger individuelle Aktionen sind Dinge wie der Verzicht auf Wäschetrockne oder der Einsatz effektiverer Glühbirnen.

Bild: Wynes & Nicholas (2017))

(Kurzer Einschub: Eigentlich steht auf Nummer 1 der Liste: “Have one fewer child”. Das habe ich ausgeklammert; das ist wieder eine völlig andere Diskussion, die zum Teil auch hier geführt wurde, zum Teil auch sehr komplex ist: Denn auch die Zukunft braucht Menschen; vor allem Menschen, die sich ums Klima kümmern.)

Wir können nicht erwarten, dass sich irgendetwas ändert, wenn wir selbst uns nicht ändern. Würden wir alle auf unsere Autos verzichten, würden wir alle die unnötigen Flugreisen sein lassen, und so weiter: Dann hätte das einen relevanten Einfluss auf das Klima. Wenn wir aber nur darauf warten, dass die anderen was tun, bevor wir selbst etwas tun, dann wird aber genau gar nichts passieren. Und keine Sorge: Ich bin nicht so naiv, zu glauben, dass mit ein paar schönen und dramatischen Worten alle Menschen auf einmal zu radfahrenden Veganerinnen und Veganern werden. Es wird – wie weiter oben gesagt – auch politische Entscheidungen brauchen. Aber, und auch das ist wissenschaftlich untersucht: Wir Menschen orientieren uns an anderen Menschen. Dort wo eine Person ein klimafreundliches Leben führt, sind andere eher bereit, sich auch so zu verhalten. “Sei ein Vorbild!” ist also nicht nur eine pathetische Forderung, sondern tatsächlich eine Strategie, die man verfolgen kann.

Auch mit dem Fahrrad kommt man vorwärts

Die Klimakrise ist ein globales, umfassendes und komplexes Problem, das alle Menschen in allen Lebensbereichen trifft. Es ist daher nicht überraschend, dass es nicht die eine Lösung gibt. Wir müssen die Krise mit jeder Menge großen und kleinen Strategien angehen; es braucht den Willen aller einzelnen Menschen und viele individuelle Veränderungen in unserem Alltag. Und es braucht die großen, politischen Entscheidungen. Und genau die können wir auch als Individuen mit beeinflussen. Greta Thunberg ist das beste Beispiel dafür: Eine Schülerin, die alleine vor dem Parlament in Stockholm zu demonstrieren begonnen hat, hat mittlerweile eine globale Klimaschutzbewegung ausgelöst, die mit ihren jetzt sehr vielen beteiligten Menschen, durchaus auch Einfluss auf die politischen Entscheidungen hat.

Die Klimakrise ist noch nicht durch. Es ist tatsächlich noch nicht zu spät. Wer sagt, es gäbe keine Hoffnung mehr, hat entweder keine Ahnung oder will nur von den Maßnahmen ablenken, die wir ergreifen müssen. Wir müssen sie aber auch ergreifen! Besser heute als morgen. Verzichtet doch mal auf das Auto. Lasst mal das Fleisch beim Essen weg. Und wenn ihr jetzt denkt: Ja, aber der öffentliche Verkehr bei mir ist so mies. Oder: Ich kann mir die teuren veganen Sachen nicht leisten. – ja, dann kann man überlegen, sich dafür einzusetzen, dass zu ändern! Es ist ja kein Naturgesetz, dass Zug und Bahn unpünktlich und überfüllt sein müssen. Es ist nicht gottgegeben, dass überall Straßen für Autos existieren, aber keine brauchbaren Radwege und Bahnlinien. Das sind politische Entscheidungen und die kann man beeinflussen! Man kann sich engagieren, man kann demonstrieren und man kann protestieren. Es gibt genug Menschen, die genau das tun, und die man unterstützen kann.

Es gibt natürlich Fridays for Future, in Österreich, in Deutschland und der Schweiz. Es gibt Scientists for Future, Parents for Future, Entrepreneurs for Future und jede Menge andere Unterstützergruppen. Es gibt Extinction Rebellion, Germanwatch, den BUND und unzählige globale, regionale und lokale Gruppen und Organisationen. Da findet sich sicher irgendwo eine, die zu euch passt. Oder geht direkt in die “etablierten” Partien: Sie sind es ja, die derzeit die Politik machen. Und dort kann man die Politik auch direkt mitgestalten. Je mehr Leute in die Parteien eintreten, denen Klimaschutz wichtig ist, desto eher wird dieses Thema mehr Aufmerksamkeit bekommen. Das muss jetzt übrigens nicht heißen, dass alle bei den Grünen eintreten sollen! Geht in die SPD, die CDU oder die FDP. Geht zur ÖVP, zur SPÖ oder zu den NEOS (bei den rechtsextremen Parteien ist es wohl eher aussichtslos). Oder welche Parteien in euren Ländern halt eben existieren und wo ihr euch ideologisch zu Hause fühlt. Klimaschutz muss ein parteiübergreifendes Interesse sein; wir werden nur dann vorwärts kommen, wenn allen politischen Strömungen bewusst ist, dass hier etwas getan werden muss. Wenn ihr keine Zeit dafür habt, dann spendet den Organisationen Geld. Wenn ihr kein Geld habt, dann fragt, wie ihr ansonsten helfen könnt. Es gibt mehr als genug Möglichkeiten, etwas zu tun. Wir haben noch eine Chance. Wir dürfen allerdings nicht mehr warten. Wenn wir etwas tun wollen, dann müssen wir es jetzt tun!

Die komplette Serie

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