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#Es ist zu schön und lieb in Österreich

Es ist zu schön und lieb in Österreich

Johannes Brahms war Jäger und Sammler, zum einen von Druckgrafik und kostbaren Büchern (er besaß eine Ausgabe von Martin Luthers Tischreden, „gedruckt zu Franckfurt am Mayn 1567“), zum anderen von Autographen. Handschriften Mozarts, Haydns und Schuberts befanden sich in seiner Bibliothek; einen Brief Beethovens bewahrte er sich „als Reliquie“, wie er der Musikschriftstellerin Marie Lepsius am 27. Mai 1885 brieflich gestand, nicht ohne anzufügen: „Entsetzen aber muß ich mich, wenn ich bedenke, was so ein Brief Alles bedeuten und erklären soll!“

Was hätte Brahms wohl gesagt, wenn er nun die dicke Zitatensammlung „Johannes Brahms beim Wort genommen“ von Renate und Kurt Hofmann in Händen hielte? Wahrscheinlich wäre er hin- und hergerissen zwischen Rührung und Entsetzen: Rührung wegen der Kenntnis, Sorgfalt und Anhänglichkeit, die aus diesem Band sprechen; Entsetzen wegen der Fülle des Materials, das einer Nachwelt zur Deutung offenliegt, ohne dass er selbst diese Deutung steuern könnte. Denn genau dies, das Bild zu kontrollieren, das die Nachwelt sich von ihm macht, hatte er versucht, als er wenige Monate vor seinem Tod alle unfertigen Kompositionen, Skizzen, unveröffentlichten Werke und einen Großteil persönlicher Notizen verbrennen ließ.

Es ist genügend übrig geblieben: Neunzehn Bände zählt die Briefausgabe inzwischen, hinzu kommen die von Berthold Litzmann ausgewerteten Tagebücher Clara Schumanns und die große Fülle an Erinnerungen schreibbegabter Brahms-Freunde. Der Komponist war wie wenige seines Faches eingebettet in den wissenschaftlichen, politischen und künstlerischen Diskurs seiner Zeit. Der Chirurg und Politiker Theodor Billroth gehörte ebenso zu seinen Freunden wie der Schweizer Schriftsteller und Literatur-Nobelpreis-Anwärter Josef Viktor Widmann. Brahms stand im Austausch mit weiteren Literaten wie Gottfried Keller, Paul Heyse und Klaus Groth sowie Malern wie Adolph von Menzel, Arnold Böcklin, Max Klinger und Anselm Feuerbach. Für die historische Forschung ist das eine paradiesische Ausgangslage.

Renate und Kurt Hofmann: „Johannes Brahms beim Wort genommen“. Eine Zitatensammlung. Florian Noetzel Verlag
Wilhelmshaven 2020. 360 S., geb., 35,– €.


Renate und Kurt Hofmann: „Johannes Brahms beim Wort genommen“. Eine Zitatensammlung. Florian Noetzel Verlag
Wilhelmshaven 2020. 360 S., geb., 35,– €.

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Bild: Florian Noetzel Verlag

Zu dieser Quellenflut hat das Ehepaar Hofmann nun gewissermaßen eine Konkordanz zusammengestellt: geordnet nach Schlagworten zur Lebens- und Arbeitswelt des Komponisten, beim Schaffen noch unterteilt nach Werkgruppen und Genres. Innerhalb der Gruppen sind die Zitate, jeweils mit exakter Quellenangabe, wiederum chronologisch aufgeführt. Es braucht Erfahrung und Übersicht für eine solche Arbeit. Renate und Kurt Hofmann, die mit ihrer bedeutenden Sammlung den Grundstock für das heutige Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck legten, haben sie sich in einem halben Jahrhundert hochgeschätzter Forschungsarbeit erworben.

Man stößt in ihrer Konkordanz auf einen Menschen, der, von Hamburg mittlerweile nach Wien übergesiedelt, den preußisch-österreichischen Krieg 1866 nicht bejubelt, Preußen aber als Motor eines gesellschaftlichen Fortschritts im Reich anerkennt. 1888 wird er sich fast mit Widmann überwerfen, weil dieser den jungen Kaiser Wilhelm II. angegriffen hat; wieder einige Jahre später provoziert ihn der Wahlsieg von Karl Luegers Christlich-Sozialer Partei in Wien zu dem Ausruf: „Antisemitismus ist Wahnsinn.“

Erstaunlich differenziert, überwiegend verehrungsvoll, fallen seine Äußerungen zu Richard Wagner aus; unüberwindlich hingegen war seine Abneigung gegen England und Frankreich. Wer in Brahms immer nur den Norddeutschen sieht, der sich im Nebel der Tiefebenen verliert, den wird eine Äußerung vom August 1877 verwundern: „Ich gehe auch im Sommer nicht wieder aus Österreich hinaus. Es ist zu schön und lieb hier, und was soll man sich mit Norddeutschen und Schweizern herumschlagen?“

Der nächste Satz allerdings legt nahe, dass er seinen Adressaten foppen wollte: „Schade, daß es keine österreichischen Verleger gibt, das müßten reizende Leute sein!“ Gerichtet ist der Brief nämlich an seinen Berliner Verleger Fritz Simrock. Damit wird klar, dass diese Zitate adressiertes und perspektiviertes Material darstellen. Verlässlich sind die Quellen zwar, was sie aber „Alles bedeuten und erklären“, ist kontextabhängig. Für Kurt und Renate Hofmann steht diese Konkordanz am Ende ihrer jahrzehntelangen hingebungsvollen Arbeit. Für alle, die sich mit Brahms beschäftigen, ist dieses Buch eine große Hilfe und ein wichtiger Anfang, weiter zu fragen.

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