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#Europas Netto-Null-Ziel erfordert mehr Investitionen

„Europas Netto-Null-Ziel erfordert mehr Investitionen

Die Europäische Union hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden und ihre Treibhausgasemissionen auf Netto-Null zu reduzieren. Doch um dieses Klimaschutzziel zu erreichen, reichen die bisherigen Investitionen in grüne Infrastruktur nicht aus, wie nun eine Metastudie aufzeigt. Demnach müssten die europäischen Länder rund 302 Milliarden Euro jährlich in klimarelevante Infrastrukturen investieren – das sind rund 87 Milliarden Euro mehr als im bisherigen Budget eingeplant. Besonders stark ansteigen muss dabei die Finanzierung für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, für Stromnetze und den Schienenverkehr. Aber auch Stromspeichertechnologien, emissionsarme Fahrzeuge und Wasserstoff-Infrastruktur benötigen mehr Geld.

Um den Klimawandel zu bremsen und damit auch die Klimafolgen möglichst in erträglichem Maß zu halten, ist eine drastische Dekarbonisierung in vielen Wirtschaftsbereichen nötig. Prognosen zufolge kann Europa seine Klimaschutzziele aber nur erreichen, wenn diese Transformation deutlich mehr Fahrt aufnimmt als bisher. Die EU hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, schon im Jahr 2030 rund 55 Prozent weniger klimarelevante Emissionen zu erzeugen als noch 1990. Doch dafür ist es nötig, auch entsprechend viel Geld in die Hand zu nehmen: Für die Stromerzeugung, die Stromnetze, Speicherkapazitäten und andere klimarelevante Infrastrukturen sind erhebliche Investitionen erforderlich. Wie hoch diese Investitionen aber in den nächsten 15 Jahren ausfallen müssen und welche Bereiche dabei am wichtigsten sind, war bislang erst in Teilen geklärt.

87 Milliarden Euro mehr pro Jahr nötig

Deshalb haben Bjarne Steffen und Lena Klaaßen von der ETH Zürich nun im Rahmen einer Metastudie untersucht, welche Geldsummen für den Technologiewandel und die Transformation der europäischen Infrastruktur nötig sind. “Um Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen, muss massiv in eine kohlenstoffarme Infrastruktur investiert werden, vor allem im Energie- und Transportsektor”, erklären sie. “Entscheider sind daher mit der dringenden Notwendigkeit konfrontiert, Finanzströme entsprechend umzuleiten.” Um herauszufinden, wo dabei der dringendste Bedarf besteht und wie hoch die nötigen Geldsummen sind, haben Steffen und Klaaßen 628 Zeitreihen aus 56 in den letzten Jahren erschienen Studien ausgewertet, darunter 18 Fachpublikationen, 15 Studien von Regierungen oder internationalen Organisationen und 23 aus der Industrie. In diesen wurde jeweils für verschiedenen Bereiche untersucht, welche jährlichen Investitionen bis zum Jahr 2035 nötig sind und welche Veränderungen finanziert werden müssen.

Die Auswertungen ergaben, dass die bisherigen Investitionen in grüne Infrastruktur in Europa nicht ausreichen, um das anvisierte Klimaschutzziel zu erreichen. Stattdessen müssen die Investitionen in grüne Infrastruktur deutlich zunehmen – und das ab sofort: “Der größte Sprung in den Investitionen muss schon in der Zeit von 2021 bis 2025 erfolgen”, berichten die Forschenden. Erforderlich wäre demnach eine sofortige Steigerung der bisherigen Investitionen auf 302 Milliarden Euro jährlich. Dies repräsentiert einen Anstieg um 41 Prozent gegenüber bisherigen Werten. Anders ausgedrückt: Bisher investieren die europäischen Länder insgesamt 87 Milliarden Euro pro Jahr zu wenig in eine klimaverträgliche Umgestaltung ihrer Infrastrukturen, wie das Team erklärt. Ab 2030 wird zudem ein zweiter Investitionssprung nötig, bei dem noch einmal rund 14 Prozent mehr Geld in die grüne Infrastruktur fließt.

Eine sofortige Erhöhung der Investitionen auf 302 Milliarden Euro jährlich klingt zwar in absoluten Zahlen sehr viel. Betrachtet man sie jedoch in Bezug auf die Wirtschaftsleistung Europas, relativiert sich dies: “Die nötigen Gesamtinvestitionen bleiben in allen Zeitperioden deutlich unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts”, betonen Steffen und Klaaßen. Das bedeutet: Verglichen mit den bisherigen Werten müssten sich der in die Infrastruktur gesteckte Anteil des Bruttoinlandsprodukts nur um maximal 0,5 Prozent erhöhen.

Stromsystem und Schienenverkehr am dringendsten

Die Studie legt auch offen, in welchen Bereichen die meisten Gelder nötig sind: “Am drastischsten und notwendigsten sind Veränderungen der Investitionen bei den Kraftwerken, den Stromnetzen und der Schienen-Infrastruktur”, berichten die Forschenden. Konkret veranschlagen sie für die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien und die Stromnetze jeweils einen Mehraufwand von jährlich 24 Milliarden Euro gegenüber den bisherigen Budgets. Für neue Stromspeicher zur Zwischenspeicherung von Strom aus Sonne und Wind wären zusätzlich rund vier Milliarden Euro pro Jahr nötig. “Diese Dynamik spiegelt eine neue Phase der Energiewende wider, in der sich der Übergang zu erneuerbaren Energien beschleunigt und qualitativ entwickelt”, erklären Steffen und Klaaßen. Es wäre daher dringend nötig, etablierte Finanzströme so umzuleiten, dass mehr Geld in die Transformation dieser Systeme fließt.

Im Transportsektor fallen die erhöhten Investitionen vor allem deshalb an, weil es bei bisherigen Bemühungen während der 2010er Jahre nur ungenügende Fortschritte gab. So seien allein für die Modernisierung und den Ausbau des Schienennetzes jährlich 25 Milliarden Euro mehr an Investitionen nötig. Sie werden vor allem dafür gebraucht, um die Digitalisierung und Elektrifizierung des Zugverkehrs und die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene auszuweiten. “Für die Dekarbonisierung des Straßenverkehrs ist zudem ein schnelles Hochfahren von Niedrigemissions-Fahrzeugen eine Schlüsselpriorität”, so das Team.

Was kann die Politik tun, damit schnell mehr Kapital für den Ausbau grüner Infrastrukturen zur Verfügung steht? “Politische Maßnahmen sollten auf die Finanzierung in jenen Sektoren zugeschnitten sein, in denen der größte Investitionsbedarf besteht”, erklärt Klaaßen.
Angesichts der Größe der europäischen Aktien- und Anleihemärkte sei das Geld dafür durchaus vorhanden. Die Herausforderung bestehe aber vor allem darin, die nötigen politischen Weichen schnell genug zu stellen, damit das Kapital in die richtigen Projekte fließt. Dabei ist es nach Ansicht des Teams auch wichtig, private Investoren wie Pensionsfonds und Banken zu berücksichtigen, die stark am Ausbau erneuerbarer Energien beteiligt sind. Die öffentliche Hand sollte deren Risiko durch Erlösgarantien und durch möglichst rasche und berechenbare Bewilligungsverfahren minimieren. Zudem können öffentliche Investitionen in neue Technologien wie zum Beispiel die CO2-Speicherung dazu beitragen, dass sich auch private Investoren in diese Bereiche vorwagen.

Quelle: Lena Klaaßen und Bjarne Steffen (ETH Zürich), Nature Climate Change, doi: 10.1038/s41558-022-01549-5

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