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#Everetts Viele-Welten-Theorie der Quantenmechanik Teil 2 – Alpha Cephei

Everetts Viele-Welten-Theorie der Quantenmechanik Teil 2 – Alpha Cephei

In Teil 1 habe ich einige Absonderlichkeiten der Quantenmechanik und insbesondere das Messproblem vorgestellt. Während die Kopenhagener Deutung erklärt, dass die Wellenfunktion wie eine Seifenblase kollabiert, wenn ein quantenmechanisches System mit der “realen Welt” in Form einer hinreichend großen Menge Materie in Berührung kommt (wie z.B. einem Messgerät), ohne dies anders erklären zu können als mit “das sieht man doch”, erklärt die Viele-Welten-Theorie das ganz anders: das Messgerät wird mit in die Überlagerung einbezogen. Es gibt keine Quantenwelt und eine davon separierte klassische Welt. Es gibt nur eine Welt, und die ist quantenmechanisch. Sagt Sean Carroll in seinem Buch “Something Deeply Hidden”, um das es auch in diesem Artikel geht.

 

Quantenüberlagerung zu Ende gedacht

Ist diese Idee wirklich so absurd? Everett sprach selbst nie von “vielen Welten”, es war sein Doktorvater James Wheeler, der die Idee so zu popularisieren versuchte, wobei er ihr womöglich keinen Gefallen tat, denn es klingt ziemlich esoterisch. “Viele Welten – was für ein Quatsch” dachten dann auch die meisten Physiker, damals wie heute. Aber tatsächlich ist die Theorie der Wellenfunktion bereits eine Viele-Welten-Theorie, denn sie besagt z.B., dass ein Elektron gleichzeitig durch zwei Spalte gehen kann. Ein anderes Beispiel sind die Feynman-Diagramme, mit denen sich nicht nur Teilcheninteraktionen qualitativ beschreiben lassen, sondern mit denen man auch die Wahrscheinlichkeiten ausrechnen kann, dass bestimmte Teilcheninteraktionen stattfinden. Man muss dafür aber alle Möglichkeiten aufsummieren (und obwohl es sich hier regelmäßig um unendlich viele Möglichkeiten handelt, kommt man normalerweise gut weg, wenn man nur die häufigsten Fälle betrachtet und den Rest ausklammert). Wenn ein Elektron sich im leeren, feldfreien Raum von A nach B bewegt, dann tut es das mit größter Wahrscheinlichkeit auf direktem Wege, da aber Ort und Geschwindigkeit nicht beide gleichzeitig bestimmt sind, geht es mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch sehr große Umwege, und zwar gleichzeitig, deren Wahrscheinlichkeit mit berücksichtigt werden muss. So rechnet man in der Quantentheorie schon seit Jahr und Tag – wenn das keine Viele-Welten-Theorie ist,  was dann?

Feynmandiagramme, die mehrere mögliche Varianten beschreiben, wie Elektronen aneinander streuen können. Die durchgezogenen Pfeile entsprechen Elektronen, die Schlangenlinien ausgetauschten Photonen. Linien, deren beide Endpunkte im Diagramm liegen, entsprechen virtuellen Teilchen (links unten z.B. entsteht ein virtuelles Elektron-Positron-Paar aus dem Photon und zerfällt wieder). Wenn man mit Hilfe solcher Diagramme Teilchenprozesse quantitativ berechnen will, muss man alle möglichen – oder wenigstens die häufigsten – Varianten der Interaktion berücksichtigen. Bild: Wikimedia Commons, Sgbeer, gemeinfrei.

Everett zieht die Theorie nur konsequent durch: statt den Messvorgang zu einem mystischen Prozess zu erklären, der Wellenfunktionen kollabieren lässt oder Dinge erst real werden lässt, wenn jemand hinschaut, bezieht er das Messgerät einfach mit in die Wellenfunktion ein: für jedes mögliche Messergebnis für den Zustand eines Quantenteilchens gibt es einen entsprechenden Zustand des Messgeräts mit dem jeweiligen Ergebnis, die alle einander überlagert sind. Die Überlagerung entsteht, wenn das Teilchen mit dem Messgerät (oder jedem beliebigen anderen Teilchen oder System von Teilchen) interagiert: dekohärieren bedeutet dann, dass es seinen Zustand mit dem des Messsystems verschränkt, das heißt beide haben fortan eine gemeinsame Wellenfunktion die sich nicht mehr unabhängig voneinander für beide entwickeln kann. So wie verschränkte Elektronen im Stern-Gerlach-Experiment keinen unabhängigen Spin mehr haben, so bilden gemessener Quantenzustand und Messgerät fortan eine Einheit. Man kann sich dies dann so versinnbildlichen, als ob die Welt sich in zwei (oder je nach Experiment/Prozess auch viel mehr) Zustände aufteilen würde – aus Sicht jeder dieser “Welten” steht der Quantenzustand des Teilchens somit ein für allemal fest. Man kann aber auch ganz einfach von überlagerten Zuständen der Wellenfunktion sprechen, wie man dies bei quantenmechanischen Systemen bereits tut. In letzter Konsequenz sind beide Deutungen gleichwertig, die “vielen Welten” sind nur etwas plastischer für die menschliche Vorstellung.

 

Wer bin ich?

Die quantenmechanische Wahrscheinlichkeit besteht dann nicht darin, was ein Teilchen in einem Experiment tun wird, sondern es ist klar, dass es alles tun wird, was es tun könnte. Die Wahrscheinlichkeit besteht vielmehr in der Unsicherheit, in welcher “Welt”, also in welchem überlagerten Zustand, sich ein Beobachter selbst lokalisiert. Das Prinzip funktioniert hier ganz analog zu den Boltzmann-Hirnen von neulich: wenn es unendlich viel mehr Boltzmann-Hirne gäbe als biologische Hirne, dann ist man fast sicher ein Boltzmann-Hirn. Und wenn eine stark überwiegende Zahl von Zuständen in der Überlagerung vorliegt, die ein Elektron auf dem kürzesten Weg von A nach B fliegen sehen, dann wird man bei der Durchführung eines solchen Experiments mit hoher Wahrscheinlichkeit genau dieses beobachten. Wenn man ab und zu etwas anderes beobachtet, dann sieht das wie die statistische Streuung des Quantenzustands bei der Messung aus. Wenn es, wie beim Stern-Gerlach-Experiment, nur zwei gleich wahrscheinliche Möglichkeiten gibt, dann spaltet sich die Welt in zwei Zustände mit gleichem Gewicht. Bei der Hintereinanderschaltung  von zwei Stern-Gerlach-Magneten, die um weniger als 90° zueinander verdreht sind, sind die Gewichte nicht gleich verteilt, sondern vom Winkel abhängig zwischen 100 : 0 und 50 : 50, so wie die Wellenfunktion es für diesen Fall vorschreibt (1-½ sin²(θ) : ½ sin²(θ) für den Winkel θ). Damit reproduziert sie exakt das, was die Kopenhagener Deutung voraussagt. Das ist eigentlich schon alles.

Fragt sich natürlich, warum man nichts von den überlagerten Zuständen sieht. Was würde man denn zu sehen erwarten? Was sieht man von einem Elektron in einem überlagerten Zustand? Der Spin-Zustand eines Elektrons offenbart sich, wie wir gelernt haben, genau dann, wenn man ihn misst, und dann ist er eindeutig. Feuert man ein Elektron auf einen Doppelspalt ab und weist man es auf einem Schirm dahinter nach, dann findet man es an einer eindeutigen Stelle. Der Charakter der Wellenfunktion oder die Häufigkeit der winkelabhängigen Spinmessungen im hintereinander geschalteten Stern-Gerlach-Versuch ergibt sich erst durch die vielfache Wiederholung desselben Versuchs. Eine Überlagerung kann man nicht “sehen” sondern nur indirekt erschließen.

Betrachtet man noch einmal Schrödingers Katze, so wird diese nach Everett in einem Überlagerungszustand von lebendig und tot enden (bei Carroll wird sie aus ethischen Erwägungen nur betäubt ? ). Sobald der radioaktive Atomkern, der den Mechanismus der Gasfreisetzung auslöst, mit der Umgebung dekohäriert, bilden sich zwei überlagerte Zustände aus, die mit der Umgebung jeweils verschränkt sind, so dass auch die Umgebung samt späterem Beobachter in zwei Zuständen vorliegt. Der zum Zustand “lebendige Katze” gehörige Beobachterzustand wird nur mit Photonen interagieren, die von eben diesem Zustand des Tieres ausgehen und der zum Zustand “tote/betäubte Katze” gehörige Beobachter entsprechend mit solchen von entsprechenden Tier. Gewissermaßen zwei parallele Welten, die sich rasch auseinanderentwickeln und daher auch nie mehr in Kontakt miteinander treten werden, obwohl dies theoretisch möglich wäre.

 

Und wenn ja, wie viele?

Carroll macht im Buch eine obere Abschätzung für die Zahl der Zustände, in die sich das Universum seit Beginn aufgespalten haben kann. Zunächst scheint diese Zahl unendlich zu sein, denn ein Elektron könnte ja außerhalb eines Atoms jeden Energiezustand annehmen oder sich bei scharf bestimmtem Impuls an jeder Stelle des Universums befinden. Wie er an späterer Stelle im Buch erläutert, legt eine quantenmechanische Deutung der Gravitation jedoch nahe, dass es nur endlich viele Quantenzustände gibt. Das beobachtbare Universum hätte dann ca. 210122 mögliche Freiheitsgrade, wobei ein Freiheitsgrad eine Größe ist, mit der man den Zustand eines physikalischen Objekts eindeutig beschreiben kann (in der Newtonschen Physik reichen drei Dimensionen für den Ort und drei für die Richtungen der Geschwindigkeit eines Teilchens, macht 6 Freiheitsgrade; für 2 Teilchen sind dann 2×6=12 etc. In der Quantenphysik ist der Spin ein weiterer Freiheitsgrad; demnach haben 2 verschränkte Teilchen weniger Freiheitsgrade als zwei unverschränkte).

Geht man von 1088 Teilchen im beobachtbaren Universum aus, von denen die weitaus meisten Photonen und Neutrinos sind, die ohne Interaktion durch das Vakuum sausen, und sich der Zustand jedes Teilchens im Schnitt eine Million Mal pro Sekunde in zwei Zustände aufteilt, dann kommt man bei einem Weltalter von rund 1018 Sekunden auf 210122 Aufteilungen. Das ist eine große Zahl, aber sie ist endlich und sie ist viel kleiner als die Zahl der möglichen Freiheitsgrade, die das beobachtbare Universum haben kann.

Ist das eigentlich noch Physik? Viele Physiker wenden ein, da man die Korrektheit der Everettschen Deutung nicht messtechnisch beweisen oder widerlegen kann, gehört sie nicht zur Physik. Das ist durchaus nachvollziehbar, gilt für die Kopenhagener Deutung aber genau so, und das hat sie nicht daran gehindert, ihren Weg in die Physik-Hörsäle zu finden. Wenn es dem Verständnis dient, ist es legitim, auf solche metaphysisch-philosophischen Modelle (wie z.B. auch das Multiversum) zurück zu greifen. Weil die Viele-Welten-Deutung mit weniger Zusatzannahmen als andere Deutungen auskommt, müsste sie, so Carroll, nach dem Prinzip von Ockhams Rasiermesser eigentlich die zu bevorzugende sein.

 

Schwein oder nicht Schwein? Das ist hier die Frage…

Carroll macht noch einen Exkurs in die Ethik, den ich hier aus Platzgründen nur ganz kurz anreißen kann: In einer Welt, in der alles passiert, was passieren kann, kann man da noch einen freien Willen haben? Und muss man sich noch an irgendwelche Normen halten, wenn man doch ohnehin in irgendeinem Überlagerungszustand mit Sicherheit ein Mörder wäre? Ja und ja.

Ad freier Wille: der hat zum Einen nichts damit zu tun, was quantenmechanisch passiert, sondern die Prozesse des Denkens finden in der Welt der klassischen Physik und Chemie statt, in der eine Aufspaltung von Quantenzuständen keine relevante Auswirkung hat – die Welt ist halt nicht durchgängig zur Potenzierung von Quantenprozessen ausgelegt, wie es Schrödingers Katzen-Gedankenexperiment ist (wer aber die Welt gezielt aufteilen will, kann das mit dieser App tun, indem er sein Handeln vom im Labor bei idQuantique in Genf gemessenen Quantenzustand eines Photons abhängig macht!). Zum Anderen geht es bei der Willensfreiheit überhaupt nicht darum, von irgendeinem Determinismus der Physik eingeschränkt zu sein, sondern von gefühlten Zwängen, die einen daran hindern, das zu tun, was man gerne würde. Es ist derjenige frei im Willen, der tun kann, was er mag (selbst wenn er dabei nicht merkt, dass dieser Wille von der Physik determiniert ist). Darüber hat Martin Bäker schon einen empfehlenswerten Artikel geschrieben, unter dem sich eine ebenso empfehlenswerte Diskussion findet.

Ad Ethik: Jede entstehende Kopie seiner selbst ist von einem Menschen mindestens so unabhängig wie sein Zwilling (eher noch mehr, weil sie nie mehr miteinander in Kontakt treten können), daher “kämpft jeder für sich alleine” und ethisches Handeln heißt, dass man dafür Sorge trägt, ethisch korrekte Überlagerungszustände mit möglichst viel Gewicht auszustatten. Dabei ist der heftige Gebrauch der oben genannten App zur Erzeugung zahlreicher Kopien allerdings kein geeigneter Weg hierzu, denn das Gewicht eines Zustands ändert sich nicht, wenn man ihn weiter verzweigt. Vielmehr müssten möglichst wenige unethische Zweige überhaupt erst entstehen, d.h. jeder muss seinen Zweig von vornherein sauber halten. Im Prinzip gilt also in jedem Zweig dasselbe, was im einzigen realen Zweig einer nicht-everettschen Deutung ebenfalls gilt.

 

Bringt Verschränkung die Raumzeit hervor?

Im letzten Teil des Buchs geht es dann um Carrolls aktuelles Forschungsthema, wie die Raumzeit und die Gravitation aus der Quantenfeldtheorie hervorgehen könnten. Bitte anschnallen, es ist mit Turbulenzen zu rechnen!

Was sind eigentlich “Raum” und “Zeit”? In der gewöhnlichen Mechanik sind sie einfach eine gegebene Bühne, in denen sich alle Vorgänge abspielen. In der Allgemeinen Relativitätstheorie sind ihre Geometrien abhängig von der enthaltenen Masse bzw. Energie (und einigen anderen Größen) und sie erzeugen so die Schwerkraft als Scheinkraft, aber dennoch sind sie auch hier zunächst einmal einfach “da”. Einsteins Feldgleichungen beschreiben dabei, wie Masse/Energie auf der einen Seite der Gleichungen und Raumkrümmung auf der anderen sich gegenseitig bedingen. Die Gravitation entsteht dann dadurch, dass ein Objekt in der gekrümmten Raumzeit den kürzesten Weg nehmen möchte, der für einen externen Beobachter beispielsweise wie ein Orbit oder eine Wurfparabel aussieht. Mit den Worten von John Wheeler: “Die Masse sagt dem Raum, wie er sich zu krümmen hat, der Raum sagt der Masse, wie sie sich zu bewegen hat”.

In der Quantenphysik können beliebig verschränkte Teilchen in beliebigen weiten Entfernungen verzögerungsfrei voneinander abhängiges Verhalten zeigen, die sogenannte “Nichtlokalität” der Quantenmechanik. Kann man sich darauf einen Reim machen? Carroll meint ja, wenn man Raum und Zeit auf der Basis der Viele-Welten-Theorie als Grad der Verschränkung von Quantenfeldern betrachtet.

Nach der Quantenfeldtheorie gibt es eigentlich gar keine Teilchen, sondern Teilchen sind vielmehr Anregungszustände von Feldern, die den Raum füllen. So ist das Photon ein Anregungszustand des elektromagnetischen Felds, das Elektron ein solcher eines Elektron-Felds. Man kann sich Anregungszustände ein wenig wie die Schwingungen und Oberschwingungen von Gitarrensaiten vorstellen, die im Grundzustand in voller Länge schwingen, in erster Oberschwingung bilden sie auf der Hälfte einen stillstehenden Knoten, um den die beiden Hälften schwingen, in dritter Oberschwingung drittelt sich die Saite etc. Das Vakuum ist von solchen Feldern im Grundzustand erfüllt, die ihm eine gewisse Energie verleihen. Nach der Quantentheorie ist der jeweilige Zustand eines Feldes an einem Ort aber einer Wellenfunktion unterworfen, die verschiedene mögliche Anregungszustände überlagert, und wenn man ihn misst, wird man zufällige angeregte Zustände finden, die bei der nächsten Messung ganz anders aussehen, deswegen wird oft nicht ganz korrekt vom “fluktuierenden Vakuumzustand” gesprochen, der in Wahrheit ganz friedlich vor sich hinschwingt.

Harmonische Schwingungen einer Gitarrensaite zur Versinnbildlichung verschiedener Anregungszustände eines Quantenfelds. Bild: Wikimedia Commons, Qef, gemeinfrei.

Nach der Viele-Welten-Theorie ist jeder Ort im Universum nun mit unterschiedlichem Grad untereinander verschränkt. Zwei benachbarte Vakuum-Regionen müssen dabei stark miteinander verschränkt sein, d.h. ihre Quantenfelder schwingen in Phase miteinander. Denn würden sie unabhängig voneinander schwingen, dann würde zwischen ihnen eine Diskontinuität entstehen, und solche führen in der Physik zwangsläufig zu Oberschwingungen hoher Frequenz, d.h. das Vakuum wäre nicht mehr im Grundzustand. Die Verschränkung nimmt dann mit wachsender Entfernung ab. Man kann die Sache aber auch umgekehrt betrachten und die Entfernung über den Grad der Verschränkung definieren. Orte sind dann einfach eine zunächst ungeordnete Menge von Punkten, die über Verschränkungen miteinander verbunden sind, und der Grad der Verschränkung lässt sie uns als nah oder weit entfernt erscheinen. Lokalität bedeutet dann, dass ein Vorgang nur Auswirkung auf stark verschränkte Orte hat. Zwar können Quantensysteme wie etwa verschränkte Elektronen nicht-lokales Verhalten zeigen, aber der Raum als solcher verhält sich strikt lokal. Was an einem Ort passiert, beeinflusst am stärksten die nächste Umgebung, alles weiter entfernte erst in abgeschwächter Form. Macht Sinn.

Um den Bogen von der obigen Entfernungsdefinition über die Verschränkung zu Einsteins Feldgleichungen zu ziehen, braucht es noch den Begriff der Verschränkungsentropie. Dieser von John von Neumann geprägte Entropiebegriff weist dem Grad der Verschränkung mehrerer Quantensysteme eine Entropie zu, die mit zunehmender Verschränkung größer wird. So hat auch das Vakuum als untereinander verschränkte Punktmenge eine Entropie. Betrachtet man ein Raumvolumen (definiert über Strecken gemäß dem oben eingeführten Maß der Verschränkung), das von einer Oberfläche nach außen begrenzt wird, dann ist die Verschränkung vom Inneren des Volumens nach außerhalb hin maßgeblich für die Verschränkungsentropie des Volumens und diese wächst demgemäß proportional zur einschließenden Oberfläche.

 

Viele-Welten – der Weg zur Quantengravitation?

Interessant wird das Ganze durch eine Arbeit von Ted Jacobson aus dem Jahr 1995. Jacobson bemerkte, dass eine Veränderung der Quantenfelder im Inneren eines Volumens (man denke: Vorhandensein von angeregten Zuständen = Teilchen a.k.a. Masse/Energie) die Verschränkung nach außen verringert. Damit verkleinert sich die einschließende Oberfläche in Abhängigkeit des Anregungszustands der im Volumen eingeschlossenen Quantenfelder, und das ist genau das, was in Einsteins Feldgleichungen die Masse mit dem umgebenden Raum macht. Die von einer Masse verursachte Raumkrümmung verkleinert die Oberfläche einer Kugel mit gegebenem Radius, weil sie die Geometrie des Raums verändert. Man überlege sich, dass etwa ein Kreis auf einer (positiv) gekrümmten Kugeloberfläche einen kleineren Umfang als 2πr hat, wenn der Radius r auf der Kugeloberfläche gemessen wird (der Äquator der Erde ist z.B. mit 40.000 km Umfang deutlich kleiner als 2π·10.000 km = 62.831 km, mit dem Abstand 10.000 km vom Äquator zum Nordpol), und das gilt analog eine Dimension höher für Kugeln im positiv gekrümmten Raum. So konnte Jacobson die von Einstein postulierten Feldgleichungen über die Entropie aus der Quantenfeldtheorie ableiten!

So könnte der Raum (ähnliches gilt für die Zeit, siehe Carrolls Buch) und somit also auch die Gravitation eine aus der Quantenfeldtheorie hervorgehende (emergente) Eigenschaft der Quantenwelt zu sein. Statt, wie in der Stringtheorie oder Schleifen-Quantengravitation zu versuchen, die Gravitation analog zum Elektromagnetismus irgendwie zu quanteln, was bisher niemandem gelang, könnte die Quantentheorie die Gravitation bereits enthalten und man findet sie, tief verborgen (wie Carroll sein Buch genannt hat), wenn man die Welt als von einer Wellenfunktion durchzogen betrachtet. Vielleicht ist das der Weg zur Quantengravitation, geebnet von der Viele-Welten-Theorie.

Wem das hier zu dicht und kompliziert war, dem empfehle ich die Lektüre des Buchs. Wobei das letzte Drittel auch im Buch einigermaßen kompliziert ist und es einiger Mühe bedurfte, dieses hier stark gerafft so darzustellen, dass man wenigstens eine Ahnung davon erhält, womit Carroll und sein Team sich beschäftigen (aber auch Leute wie Eric Verlinde). Vermutlich ging ihm zum Ende des Buches hin der Platz aus, den eine ausführlichere Erläuterung verbraucht hätte. Der Rest des Buchs liest sich jedoch deutlich leichter nachvollziehbar.

 

Referenzen

[1] Sean Carroll, “Something Deeply Hidden: Quantum Worlds and the Emergence of Spacetime“, ISBN-13: 978-1524743017, 2019.

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