Wissenschaft

#Evolution: Die Rolle der Neugier im Visier

Manche sind ausgesprochen erkundungsfreudig, andere dagegen eher zurückhaltend: Forschende haben bei Vertretern der artenreichen Fisch-Gesellschaft des Tanganjikasees unterschiedlich stark ausgeprägte Neugierde festgestellt. Sie konnten das jeweilige Verhalten dabei mit weiteren Merkmalen der Fischarten sowie mit einer bestimmten genetischen Veranlagung verknüpfen. Die Ergebnisse werfen damit Licht auf die Rolle des Neugierverhaltens bei der Entwicklung neuer Spezies. Überraschenderweise könnten die genetischen Befunde sogar Hinweise auf menschliche Persönlichkeits-Veranlagungen geben, berichtet das Forschungsteam.

Wie entwickeln sich aus einer Tierart neue Spezies? Grundsätzlich geht man davon aus, dass dabei die innerartlichen Merkmals-Variationen eine wichtige Rolle spielen: Einige Individuen können besondere Eigenschaften aufweisen, die sich unter bestimmten Bedingungen günstig auswirken. Über viele Generationen hinweg kann ein Ausleseeffekt dann zur Artbildung führen. Neben körperlichen Eigenschaften kommen dabei auch individuelle Unterschiede im Verhalten als evolutionäre Treiber infrage. Ein bekanntes „Persönlichkeitsmerkmal“ von Tieren ist dabei das individuelle Niveau der Neugierde. Dabei handelt es sich um einen Verhaltensaspekt, der mit Vor- und Nachteilen verbunden sein kann: Besonders neugierige Individuen können neue Bereiche in ihren Lebensräumen zwar effektiver besiedeln als vorsichtigere Artgenossen. Gleichzeitig können sie sich allerdings auch vermehrt Gefahren aussetzten. Der eine oder andere Aspekt kann also unter bestimmten Umständen mehr oder weniger Bedeutung für den Lebenserfolg haben. Somit liegt nahe, dass das Neugierverhalten ein Faktor bei der Anpassung von Tieren an neue Lebensweisen darstellen kann.

Neugierverhalten als Evolutionsfaktor

Die Rolle dieses Verhaltens bei der Entwicklung von Biodiversität zu beleuchten, war nun das Ziel der Forschenden um Carolin Sommer-Trembo von der Universität Basel. Dazu haben sie ein besonderes “Modell-System” ins Visier genommen: die Gesellschaft der Buntbarsche des ostafrikanischen Tanganjikasees. Das Besondere bei diesen Fischen ist: Ausgehend von einem gemeinsamen Vorfahren haben sie sich in den letzten zehn Millionen Jahren in etwa 250 Arten aufgefächert. Sie brachten dabei eine große Vielfalt an Formen und Lebensweisen hervor, um die verschiedenen ökologischen Nischen des Sees zu besetzen. Um nun den möglichen Aspekt der Neugierde in der Entwicklungsgeschichte der Tanganjik-Buntbarsche zu beleuchten, haben die Forschenden das Explorationsverhalten von 57 Arten untersucht. Dazu erfassten sie durch Videoaufnahmen, wie sich im See gefangene Individuen in einer für sie neuen Umgebung verhielten: in großen Versuchsbecken.

Wie die Forschenden berichten, stellten sie tatsächlich deutliche Unterschiede im Neugierverhalten zwischen den einzelnen Buntbarscharten fest. Einige gingen demnach eher zurückhaltend bei der Untersuchung der Versuchsbecken vor – andere hingegen ausgesprochen erkundungsfreudig. Die Datenanalyse deckte dabei auch einen klaren Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Neugierverhalten und weiteren Merkmalen der Buntbarschart auf. Demnach sind ufernah lebende Arten mit gedrungener Körperform auffallend neugieriger als längliche Arten, die sich im offenen Wasser aufhalten. Die Forschenden sehen darin einen Hinweis darauf, dass die Neigung zu mehr oder weniger Neugier mit der Anpassung an unterschiedliche Lebensweisen verbunden gewesen ist und damit mit der Artbildung. „Dieses tierische Verhalten rückt als eine treibende Kraft hinter wichtigen evolutionären Prozessen in den Fokus“, sagt Sommer-Trembo.

Genetische Grundlagen aufgedeckt

Anschließend ging das Team den genetischen Aspekten der beobachteten Verhaltensunterschiede nach. Dazu wurde das Erbgut einiger der Fischarten analysiert und verglichen. Die Forschenden stießen dabei auf eine spezielle DNA-Variation, die eine nahezu perfekte Korrelation mit dem Neugierverhalten zeigt. Sie wird erstaunlicherweise nur durch eine einzelne Bausteinveränderung der DNA charakterisiert: Arten mit einer Thymin-DNA-Base an einer bestimmten Stelle sind demnach vergleichsweise neugierig, während Arten mit einer Cytosin-Base an diesem Genort weniger explorativ sind. Durch experimentelle Manipulationen mit der Genschere CRISPR/Cas9 konnten die Forschenden die Bedeutung dieser Varianten auch weiter bestätigen: Individuen mit bestimmten Eingriffen in die Sequenz zeigten im Vergleich zu Kontrolltieren ein verändertes Neugierverhalten.

Wie das Team hervorhebt, beisitzen die genetischen Studienergebnisse noch einen interessanten Aspekt: Der identifizierte DNA-Bereich ist demnach mit einer Erbanlage verbunden, von der auch bei anderen Wirbeltieren eine neuronale Bedeutung bekannt ist. Bestimmte Varianten des menschlichen Pendants werden dabei interessanterweise mit Persönlichkeitsstörungen in Verbindung gebracht, berichten die Forschenden. „Daraus ergibt sich die faszinierende Möglichkeit eines gemeinsamen genetischen Systems, das Persönlichkeitsmerkmalen bei Wirbeltieren zugrunde liegt“, schreiben die Autoren. Dazu sagt Sommer-Trembo abschließend: „Wir interessieren uns zwar primär dafür, wie sich Persönlichkeitsmerkmale im Tierreich auf Mechanismen der Biodiversität auswirken können. Doch wer weiß: Vielleicht lernen wir am Ende auch etwas über die Grundlagen unserer eigenen Persönlichkeit“, so die Forscherin.

Quelle: Universität Basel, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.adj9228

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