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#Evolutionsvorteil durch gleichgeschlechtliche Sexualität?

Evolutionsvorteil durch gleichgeschlechtliche Sexualität?

Wie konnte gleichgeschlechtliches Sexualverhalten in der Evolution bestehen bleiben, obwohl homosexuelle Individuen weniger Kinder haben? Eine große Genom-Assoziationsstudie liefert nun eine mögliche Erklärung: Demnach könnten die gleichen Genvarianten, die gleichgeschlechtliches Sexualverhalten begünstigen, bei heterosexuellen Individuen dazu führen, dass sie mehr Sexualpartner haben – und somit einen größeren Fortpflanzungserfolg.

Etwa zwei bis zehn Prozent der Männer und Frauen weltweit geben an, dass sie Sex mit Partnern des gleichen Geschlechts haben, entweder ausschließlich oder zusätzlich zu gegengeschlechtlichem Sex. Frühere Studien haben darauf hingedeutet, dass dieses Sexualverhalten – das nicht gleichbedeutend mit einer bestimmten sexuellen Identität oder Orientierung ist – mit einer Reihe von genetischen Varianten assoziiert ist und somit eine erbliche Komponente hat. Doch wie konnten in der Evolution Genvarianten bestehen bleiben, die mit einer verringerten Reproduktion einhergehen?

Gegensätzlicher Einfluss auf den evolutionären Erfolg

Eine mögliche Erklärung für dieses scheinbare Paradoxon hat ein Team um Brendan Zietsch von der University of Queensland in Australien mit Hilfe einer großen Genom-Assoziationsstudie gefunden. „Wir haben gezeigt, dass genetische Effekte, die mit gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten assoziiert sind, bei Personen, die noch nie einen gleichgeschlechtlichen Partner hatten, mit einer größeren Anzahl von Sexualpartnern des anderen Geschlechts zusammenhängen“, berichten die Forscher.

Die gleichen Genvarianten, die bei manchen Individuen dazu führen, dass sie mit Partnern gleichen Geschlechts Sex haben und keine Kinder zeugen, könnten demnach bei anderen den evolutionären Erfolg erhöhen, da sie mehr Fortpflanzungspartner des anderen Geschlechts und somit größere Chancen auf viel Nachwuchs haben. Forscher sprechen in diesem Fall von einer sogenannten antagonistischen Pleiotropie. Das bedeutet, dass eine Genvariante mehrere gegensätzliche Auswirkungen hat – und sich durchsetzt, sofern die positiven Einflüsse auf die Fortpflanzung gegenüber den negativen überwiegen.

Tendenz zu mehr Partnern bei Heterosexuellen

Für ihre Studie nutzten die Forscher die Daten von fast einer halben Million Menschen aus Großbritannien und den USA, die ihre genetischen, gesundheitlichen und lebensstilbezogenen Informationen für die UK Biobank oder die amerikanische Add Health Studie zur Verfügung gestellt hatten – zwei große Datensammlungen, die für viele verschiedene Forschungsfragen genutzt werden. Zietsch und seine Kollegen werteten aus, welche genetischen Varianten mit gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten assoziiert sind und wie diese bei Personen, die nur mit Partnern anderen Geschlechts Sex haben, mit der Anzahl der Sexualpartner zusammenhängen.

Aus Sicht der Forscher ist die Anzahl der Sexualpartner in diesem Fall aussagekräftiger für den möglichen Reproduktionserfolg als die Anzahl der Kinder. „Moderne Empfängnisverhütung und In-vitro-Fertilisation haben das Sexualverhalten in einer Weise von der Fortpflanzung entkoppelt, wie es in unserer Evolutionsgeschichte noch nicht der Fall war“, schreiben sie. Wer also heute viele Partner hat, hat nichts zwangsläufig auch viele Nachkommen. In unserer Evolutionsgeschichte dagegen könnte die Neigung, sich mit vielen Partnern fortzupflanzen, den reproduktiven Erfolg erhöht haben. Auf diese Weise könnten sich also Varianten, die auch mit Homosexualität assoziiert sind, evolutionär „gelohnt“ haben.

Warum allerdings Genvarianten, die mit gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten assoziiert sind, auch einen Fortpflanzungsvorteil für heterosexuelle Individuen bedeuten, ist weiterhin unklar. „Wir fanden heraus, dass die Persönlichkeitsmerkmale Risikobereitschaft und Offenheit für Erfahrungen einen Teil, aber nicht die gesamte genetische Korrelation erklären können“, berichten die Forscher. Zudem fanden sie Hinweise darauf, dass Individuen mit den entsprechenden Genvarianten womöglich als körperlich attraktiver eingestuft werden und somit einen größeren Erfolg bei möglichen Fortpflanzungspartnern haben könnten.

Starke gesellschaftliche Einflüsse

Zietsch und seine Kollegen weisen allerdings auch darauf hin, dass ihre Studie zahlreichen Einschränkungen unterliegt. Da die Daten nur Personen aus Großbritannien und den USA umfassten, bilden sie nur einen kleinen Teil der genetischen und verhaltensbezogenen Vielfalt der Menschheit ab. Überdies sind sowohl homosexuelles Verhalten als auch Sex mit vielen verschiedenen Partnern gesellschaftlich stark reglementiert – viele Probanden wurden zu einer Zeit geboren, als Homosexualität in ihren Ländern noch als illegal galt. Was also auf genetische und was auf gesellschaftliche Einflüsse zurückgeht, ist somit schwierig auszumachen.

Auch die genetischen Effekte sind komplex: „Sowohl für das gleichgeschlechtliche Sexualverhalten als auch für die Anzahl der Sexualpartner beruhen diese Variationen nicht auf einzelnen Genen mit großem Effekt, sondern auf einer sehr großen Anzahl von Genen mit sehr geringer Wirkung, die über das gesamte Genom verteilt sind“, so die Forscher. Es gibt also nicht ein „Homosexualität-Gen“, sondern auch auf genetischer Ebene zahlreiche verschiedene Einflussfaktoren.

Missbrauchspotenzial bedenken

In einem begleitenden Beitrag zur Studie, der ebenfalls im Fachmagazin „Nature Human Behaviour“ veröffentlicht wurde, machen Ethiker um Julian Savulescu von der University of Oxford darauf aufmerksam, dass Forschungen wie diese ungewollte Konsequenzen haben können. Bis heute werden Menschen, die mit Partnern gleichen Geschlechts Sex haben, in vielen Ländern verfolgt und teilweise mit dem Tod bedroht. Genetische Merkmale, die auf mögliche Verhaltensweisen hindeuten könnten, werden in diesem Zusammenhang zum Risiko.

„Es wäre vorstellbar, dass technologisch fortgeschrittene repressive Regimes, in denen Homosexualität verboten ist, Gentests an Embryonen und Föten verlangen und diese abtreiben lassen, sofern die Gene auf eine entsprechende Neigung hindeuten“, schreiben Savulescu und seine Kollegen. Auch wenn die aktuelle Studie dafür keine Grundlage liefert, müsse das Missbrauchspotenzial auch bei zukünftigen Forschungen bedacht werden. „Wir müssen einen soliden ethischen Rahmen für die verantwortungsvolle Nutzung dieses Wissens schaffen“, so die Autoren.

Quelle: Brendan Zietsch (University of Queensland, Australien) et al., Nature Human Behaviour, doi: 10.1038/s41562-021-01168-8

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