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#Familientreffen in Metal-Variante

„Familientreffen in Metal-Variante“

Ines Schenk ist nicht bange. „Ich kenne die doch, das sind alles or­dentliche Leute“, sagt sie und deutet auf das Büchlein auf dem kleinen Tisch. „Danke, Sie haben meinen Tag schöner gemacht“, hat dort je­mand hineingeschrieben. Auch die anderen Kommentare aus den vergangenen Ta­gen sind freundliche Grüße an die blonde Frau, die ihren kleinen Hofladen „Die Diele“ auch während des Festivals geöffnet hat und Eier, Milch, Kartoffeln, saure Gurken und etwas Obst und Ge­müse verkauft – mit einer Vertrauenskasse, in die jeder Kunde den Betrag legt, den er ihr schuldet. „Das klappt super“, sagt die Sechsundvierzigjährige. „Hier klaut keiner, das ist doch wie eine große Familie hier in Wacken.“

Wacken ist wieder im Festivalmodus

Seit drei Jahren sind die Familienmitglieder, von denen Ines Schenk spricht, nicht da gewesen, die Pandemie hat sie ferngehalten. Aber jetzt laufen sie wieder in Scharen über die Hauptstraße, trinken im Landgasthof Bier, sitzen vor „Ali’s Bistro-Imbiss“ auf Bänken und futtern Döner oder stehen bei „Eis Baldassar“ Schlange, um „Wacken-Minze“ zu probieren, eine Spezialsorte zum Open-Air in Schwarz, 1,80 Euro die Kugel. Und sie kommen auch in „Die Diele“ und besorgen sich Joghurt, Honig, Saft und Kaffee fürs Frühstück am nächsten Morgen.

Wacken ist wieder im Festivalmodus. Zweimal ist das Heavy-Metal-Open-Air, das den kleinen Ort in Schleswig-Holstein weltbekannt gemacht hat, wegen Co­rona ausgefallen, zweimal herrschte am ersten Augustwochenende kein Ausnahmezustand, zweimal mussten die bis zu 85.000 Fans und Mitwirkenden, die sonst Jahr für Jahr in die norddeutsche Provinz kommen, zu Hause bleiben. Zweimal war es „ganz schön komisch“, wie Ines Schenk es formuliert. „Viele von uns Wackenern kennen das Dorf doch nur mit Festival.“

Fans beim Auftritt der britischen Band Judas Priest auf dem Wacken Open Air.


Fans beim Auftritt der britischen Band Judas Priest auf dem Wacken Open Air.
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Bild: dpa

Begonnen hat die Festivalära für den 2000-Seelen-Ort vor mehr als 30 Jahren. Zusammen mit Freunden aus dem Dorf organisierten die beiden heutigen Fes­tival-Veranstalter Thomas Jensen und Holger Hübner in der „Kuhle“, einer Senke am Rande des Dorfs, 1990 ihr erstes Open Air. Knapp 800 Besucher ka­men zu der wilden Freiluftparty, sechs Bands spielten, auch Skyline, die Gruppe von Jensen und Hübner, die heute noch jedes Festival eröffnet.

„Das ist doch jedes Mal wie ein Familientreffen“

Die Kunde von der rockigen Wackener Dorfjugend verbreitete sich wie ein Lauffeuer, zwei Jahre später kamen schon 3500 Zuschauer, um 26 Bands zu sehen, 1996 folgte der erste Riesenstau im Dorf. Ein Jahr später kamen 10.000 Fans, 1998 waren es schon 20.000. Das Festivalgelände wurde auf die umliegenden, von den Bauern ge­mieteten Wiesen ausgedehnt. Für den end­gültigen Durchbruch und enorme Aufmerksamkeit und Präsenz in den Medien sorgte dann 2006 Sung-Hyung Cho. Mit dem mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „Full Metal Village“ der aus Korea stammenden ­Fil­memacherin wurden das Dorf und das Open Air auch außerhalb der Metal-Szene bekannt. Seither kommen Jahr für Jahr gut 2000 Journalisten, Fotografen und Fernsehteams aus aller Welt.

Spätestens seit „Full Metal Village“ gehört das W.O.A, das „Wacken Open Air“, zu den großen Festivals im Land, in der Szene hat es einen Namen wie kein zweites. Aus ganz Europa reisen die Fans an, vor allem aus Skandinavien, den Niederlanden und Belgien, aber auch aus Süd- und Osteuropa kommen sie, viele zudem aus Übersee, aus Amerika, Brasilien, Japan und Mexiko.

Metal-Fans feiern auf dem Wacken Open Air.


Metal-Fans feiern auf dem Wacken Open Air.
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Bild: dpa

Auch in der Star-Tankstelle an der Hauptstraße, nur ein paar Schritte von Ines Schenks Hofladen entfernt, freuen sich Hilke Schmittat und ihre Kollegin darüber, dass die langhaarigen, tätowierten Metaller mit ihren Nietengürteln, Kutten und schwarzen Band-T-Shirts wieder da sind. „Hier hat es noch nie Stress gegeben, das ist doch jedes Mal wie ein Familientreffen“, sagt die 52 Jahre alte Wackenerin und freut sich darüber, dass die Gäste in dem kleinen Verkaufsraum für ordentlich Betrieb sorgen, Mineralwasser, Eis, Dosenbier und Zigaretten kaufen.

Nur getankt wird in diesen Tagen nicht: Die Hauptstraße ist seit Montagmorgen gesperrt, wie in einer langen Prozession ziehen seither die Metal-Horden durchs Dorf, zum Edeka-Markt, zum Bäcker, zur Sparkasse und zum Landgasthof, in dem in diesem Jahr zum ersten Mal auch eine Bühne eingerichtet wurde – die insgesamt neunte des Festivals. Auf dem eigentlichen Gelände am Rande des Dorfs spielen die Bands seit Mittwoch. Bis Samstagnacht sind fast 300 Auftritte geplant, zu den großen Headlinern zählen Judas Priest, Avantasia, Grave Digger, In Extremo, The Halo Effect und Slipknot.

Aber nicht nur die gastfreundliche Dorfbevölkerung mit ihrem rustikalen holsteinischen Charme freut sich über den Neustart nach der Corona-Zwangspause. Auch die Fangemeinde ist euphorisch und lässt sich durch nichts abschrecken, nicht von den kilometerlangen Staus bei der Anreise oder dem stundenlangen Warten bei der Ausgabe der Festival-Bändchen, die in diesem Jahr zum ersten Mal per Chip auch als bargeldl­oses Zahlungsmittel fungieren. Sie lassen die brutale Hitze am Mittwoch und Donnerstag über sich ergehen, den Re­gen am Freitag und auch die mitunter et­was verwirrende Neuordnung von Teilen des Geländes. Es überwiegt die Freude darüber, dass das W.O.A. endlich überhaupt wieder stattfinden kann.

Thorvi Tveit ist mit ihrem Mann aus Norwegen gekommen. Zum zwölften Mal sind die beiden hier. Eigentlich hatten sie sich vor drei Jahren vorgenommen, dass es ihr letztes W.O.A. gewesen sein sollte. Zu alt, zu müde und nicht mehr bereit, die große Festivaltortur auf sich zu nehmen, so hatten sie sich damals als Mittfünfziger gefühlt. Doch jetzt sind die beiden trotzdem wieder da und laufen über die Hauptstraße. „Die Sehnsucht war einfach zu groß“, sagt Thorvi. Damit ist sie nicht die Einzige. Auch der Autor dieser Zeilen ist trotz aller großen Abschiedsworte und Schwüre vor drei Jahren wieder nach Wacken gekommen – in die Arme der großen Metal-Familie.

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