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#Fingernagelabdruck mit Tiefgang

Fingernagelabdruck mit Tiefgang

Der Weihetempel alteuropäischer Kunst in den Vereinigten Staaten ist das Museum des Getty Centers in Los Angeles: architektonisch im hoch auf einer Hügelspitze über der Stadt gelegenen Monumentalbau von Richard Meier und qualitativ durch eine erlesene Auswahl von Spitzenstücken, die vom Mittelalter bis an die Grenze zum zwanzigsten Jahrhundert reicht. Für die radikale Moderne danach hat man dort – bislang – nichts übrig. Aber als dann doch einmal ein Besucher einen Aufseher fragte, wo er denn in der Stadt gute moderne Kunst sehen könne, lautete die Antwort: „Gehen Sie ins Broad, denn da gibt es nicht nur das, was Sie erwarten, sondern auch Kiefer und Beuys.“

Zwei Deutsche also waren es, die besonders hervorgehoben wurden, der eine als Maler ein lebender Darling des internationalen Kunstmarkts, der andere ein seit mehr als dreißig Jahren toter Konzeptkünstler, beide aber weltberühmt durch den alchemistischen Umgang mit ihren Materialien: Kiefer als Meister des Bleis, Beuys als Virtuose des Fetts und Filzes. Die große Geste, das Pathos der Sprache verbindet sie und macht Kiefer und Beuys gerade in Amerika zu als prototypisch deutsch empfundenen Metaphysikern: Die schamanistischen Züge des Älteren, die raunenden Inszenierungen des Jüngeren faszinieren in dieser materialistisch geprägten Gesellschaft, die ansonsten im Broad Art Museum vor allem Werke bestaunt, die durch ihre exorbitanten Preise allgemeines Interesse erregen: etwa von Koons, Basquiat oder Rauschenberg.

Amerikanische Wertschätzung für deutsche Seltsamkeit

Nicht, dass Beuys billig wäre, geschweige denn Kiefer, aber den Preisvergleich mit dem, was rund um sie im Broad gezeigt wird, halten sie nicht aus. Trotzdem schickte der Getty-Aufseher seinen gegenwartskunsthungrigen Besucher speziell zu ihnen hinab ins Tal – Zeichen einer Wertschätzung immaterieller Art: der von Originalität, gerade in Abgrenzung von der überreichen Präsenz amerikanischer Künstler seit dem Abstrakten Expressionismus in den großen Gegenwartskunstmuseen der Stadt wie dem LACMA, dem MOCA oder eben dem Broad, einem 2015 eröffneten Privatmuseum, das finanziert und ausgestattet wurde durch das Milliardärsehepaar Edythe und Eli Broad. Letzterer ist in der vorvergangenen Woche im Alter von 87 Jahren gestorben, und mit ihm hat die internationale Kunstwelt einen ihrer größten Sammler verloren. Allein die Einträge mit Werken von Beuys im Besitz des Broad-Museums summieren sich auf mehr als fünfhundert, wobei allerdings Werkkomplexe, Portfolios oder Graphikserien mit ihren Einzelbestandteilen ausgewiesen sind. Trotzdem dürfte es sich um den größten Beuys-Bestand in Nordamerika handeln.

Der Verweis des Getty-Aufsehers auf Kiefer und Beuys gemeinsam war nur zu berechtigt; beide wurden damals im Broad in einem Saal zusammen gezeigt, und das hatte seine inhaltliche Berechtigung vor allem dank Kiefers Monumentalgemälde „Deutschlands Geisteshelden“, dem der Künstler 1973 die Namen ihn inspirierender Vorläufer eingeschrieben hatte, darunter als damals noch Lebender auch Joseph Beuys. Neben drei weiteren Kiefer-Großformaten im Saal fanden sich denn Dutzende ungleich kleinere Arbeiten von Beuys, obwohl auch dabei bisweilen Überlebensgröße, so etwa im Multiple „La rivoluzione siamo noi“von 1972, erreicht wurde. Oder zumindest Lebensgröße wie bei dem von Beuys durch Benennung und Signatur zu Kunstwerken geadelten Werkzeug wie „La Zappa“ (eine Hacke), „Pala“ (ein Spaten), „Sichel, 2. Version“ und zwei Besen (einer aus Silber, einer ohne Haare), die da an den Wänden lehnten.

Das Gewöhnliche zur Kunst zu machen

Diese Überführung von Alltäglichem ins Mystische verzauberte das amerikanische Publikum im Broad, besonders wenn es gerade erst nebenan unter der ums Dreifache vergrößerten Tischgruppe „Under the Table“ von Robert Therrien herumgewandert war. Der Kontrast zur Begegnung mit einer gewöhnlichen Flasche, in die Beuys 1981 verschmutztes Rheinwasser abgefüllt hatte, konnte kaum extremer erlebt werden: Therriens partizipative Kunst, die aber mit Überwältigung arbeitet, gegen hermetische Kunst von Beuys, die auf Einfühlung setzt. Oder diese im Vergleich mit den benachbarten Kiefers: emotionale versus intellektuelle Anteilnahme. Es war verblüffend, wie viel mehr Zeit die Besucher vor der in einer Filzbahn eingerollten Klinge („Samurai-Schwert“, 1982) von Beuys verbrachten als vor den wandgroßen Gemälden seines Bewunderers Kiefer. Das Gewöhnliche zur Kunst zu machen ist als Programm überraschender, als es mit dem Außergewöhnlichen zu tun – mit Adalbert Stifter, Arnold Böcklin, Richard Wagner, Theodor Storm oder auch Joseph Beuys, wie in „Deutschlands Geistesgrößen“ geschehen. Und ersichtlich schnell weggesehen.

„Käsereibe“ nennt der Volksmund in Los Angeles das Broad. Hinter der durchlöcherten Fassade liegt eine große Museumssammlung an Beuys-Werken.


„Käsereibe“ nennt der Volksmund in Los Angeles das Broad. Hinter der durchlöcherten Fassade liegt eine große Museumssammlung an Beuys-Werken.
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Bild: AP

Dass dieses Prinzip der Auratisierung des Alltäglichen auch in den Vereinigten Staaten funktioniert, zeigt den Rang von Beuys als eines ebenso ge- wie durchtriebenen Inszenators seiner eigenen Erfahrungen. Dass kein ähnlicher Mentalitäts- und Kulturhintergrund erforderlich ist, um von dieser Kunst affiziert zu werden, macht ihre Größe aus. Auch in Normalformat in einem ansonsten konsequent auf Überwältigung ausgelegten Museum wie dem Broad, dessen äußerer Anblick von den Bewohnern der Stadt Los Angeles als Käsereibe verspottet wird. Den Beuysschen „Fingernagelabdruck aus gehärteter Butter“ (1971) aber lieben sie. Selbst wenn manche Verächter meinen mögen, das wäre auch nur Käse.

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