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#Frauen sollten ihren Zorn häufiger als Antrieb nutzen

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Frauen sollten ihren Zorn häufiger als Antrieb nutzen

Wut ist klein und rot und von gedrungener Statur, und wenn sie auf Touren kommt, schießt ihr eine Flamme aus dem Kopf. So jedenfalls stellt es der Pixar-Animationsfilm „Alles steht Kopf“ von 2015 dar, der seine Zuschauer in die Gefühlswelt des Mädchens Riley einlädt. Zu den als bunte Figuren auftretenden Emotionen, die miteinander ringen und sich letztlich stets zusammenraufen, zählt auch das rote Kerlchen namens Wut, das Riley mit seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn in heikle Situationen bringt, das sich manchmal aber auch so steuern lässt, dass etwas Produktives herauskommt.

Jörg Thomann

Jörg Thomann

Redakteur im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Wut ist klein und rot – und männlich. Sie spricht mit tiefer Stimme und trägt mit weißem Hemd und Krawatte die klassische Kluft des männlichen Büroangestellten. Von den insgesamt fünf Gefühlen, die Riley beherrschen, ist Wut eines von nur zweien, welche die Filmemacher als männlich markieren; das andere ist interessanterweise die Angst. Die Wut ist laut, rücksichtslos, sie neigt zur Gewalt. Hätten sich die Pixar-Leute, was schwer vorstellbar ist, für eine weibliche Wut entschieden, sie hätten ihr womöglich eine etwas andere Natur gegeben oder gar einen anderen Namen, beispielsweise Hysterie.

Die amerikanische Journalistin und Aktivistin Soraya Chemaly will Wut und Weiblichkeit miteinander verbunden wissen. „Rage Becomes Her“ heißt ihr vergangenes Jahr in Amerika erschienenes Buch, und mit dem Verzicht auf eine direkte Übersetzung hat der Verlag eine Pointe liegenlassen: „Wut steht ihr gut“. Einen solchen Reim aber hätte man wohl als für das ernste Thema zu launig empfunden. Schon weniger leuchtet ein, dass man den englischen Titel für den deutschen Markt durch einen anderen englischen Titel ersetzt hat, nämlich „Speak out!“, was die eigentliche Botschaft abschwächt. Chemaly geht es ja nicht nur darum, dass Frauen ihre Meinung sagen, sondern dass sie ihre Wut als Antrieb nutzen. Und da kann das offene Sprechen schon mal zum Schreien werden.

Bis heute strukturell benachteiligt

Die Wut ist für Soraya Chemaly eine zu Unrecht geschmähte Emotion. Eigentlich, schreibt sie, handele es sich um „ein durchaus hoffnungsvolles und nach vorn gerichtetes Gefühl: Sie ermöglicht es uns, Leidenschaft zu zeigen und in Kontakt mit der Welt zu bleiben, und bewirkt so Veränderungen.“ Wut – nicht zu verwechseln mit ungezügelter Aggression – sei die Emotion, „mit der wir uns am besten gegen Gefahren, Ungerechtigkeiten und Diskriminierung verteidigen können“. „Indem Frauen und Mädchen diese Emotion verstehen und sie systematisch einzusetzen lernen, vollziehen sie den Schritt von Passivität, Angst und Rückzug hin zu Aufklärung, Aktivismus und Wandel.“

Die Wut verstehen, das jedoch fällt Frauen schwer, weil sie ihnen, wie Chemaly meint, von klein auf aberzogen wird. Das weibliche Geschlecht gelte in unserer Gesellschaft als dasjenige, das für den sozialen Zusammenhalt zu sorgen habe. Wer sich dem vermeintlich widersetze, weil er seine Wut äußere, der werde als unweiblich, unattraktiv und egoistisch kritisiert. In Erwartung negativer Reaktionen schluckten daher viele Frauen ihre Wut herunter oder wendeten sie nach innen, um den Preis des eigenen Glücks und der Gesundheit. Akzeptiert werde bei Frauen die Wut nur dann, wenn sie aus der Position der Mutter oder der Lehrerin geäußert werde, also in einer streng reglementierten Rolle.

Noch das stärkste Gefühl freilich trüge allein kein knapp vierhundert Seiten dickes Buch, weshalb Chemaly akribisch zusammenstellt, wie und wo Frauen bis heute strukturell benachteiligt werden – von der Marktwirtschaft, in der man Frauen für vergleichbare Produkte mehr Geld abknöpft, über den Gender Gap bis zur Medizin, die weiblichem Schmerz weniger Beachtung schenkt. Gar nicht zu reden vom „täglichen Schwall von Bösartigkeiten“, dem sich eine im Netz aktive Frau wie die Autorin ausgesetzt sieht. An alledem ist nur manches wirklich neu, die Bündelung aber beeindruckt und macht das Buch zu einer zutiefst deprimierenden Lektüre – oder besser, denn andernfalls wäre das Ziel verfehlt: zu einer, die wütend macht.

Glaubwürdig untermauern kann Chemaly ihre Kritik nicht zuletzt durch die Schilderung persönlicher Erlebnisse. Sie erzählt von ihrer Urgroßmutter, die mit vierzehn in eine Ehe gezwungen wurde, die mit 26 sieben Kinder hatte und deren Schicksal von den eigenen Nachfahren romantisch verklärt wurde. Sie schildert, mit welcher Selbstverständlichkeit sie, die Einwanderin von den Bahamas, vor der Verleihung eines Journalistenpreises, den am Ende sie bekam, von einem männlichen Gast dem Bedienungspersonal zugerechnet wurde.

Chemalys Hauptaugenmerk gilt den Vereinigten Staaten, in denen sie lebt und wo das Dasein vieler Frauen in mancherlei Hinsicht noch misslicher ist als bei uns. Die deutsche Ausgabe ist behutsam um ein paar hiesige Aspekte ergänzt worden; so hat es etwa Harald Martenstein ins Buch geschafft, der Zunftschreiber alter weißer Männer. Dass als Übersetzung für den bösen Neologismus „Feminazi“ die gute alte Emanze herhalten muss, erstaunt allerdings. Die Fußnoten hat der deutsche Verlag ins Internet verlagert, wobei das Register leider ganz eingespart wurde.

Überraschenderweise verzichtet Chemaly darauf, Greta Thunberg als Kronzeugin zu berufen, die ihre eigenen Erfahrungen mit den Reaktionen auf weibliche Wut gemacht hat. Anfangs konnten auch diejenigen, die den Klimawandel bagatellisieren, einigermaßen leben mit diesem Mädchen, das still und wohlerzogen wirkte. Das änderte sich dramatisch mit Thunbergs Wutrede beim UN-Klimagipfel vor einem Jahr, als sie den Mächtigen dieser Welt mit grimmiger Miene ihr „How dare you“ entgegenrief – und plötzlich viele sich im Gegenzug empörten, wie sie, die junge Frau, das nur wagen konnte. Doch die Wut hat Wirkung gezeigt: „How dare you“ ist Thunbergs berühmtestes Zitat geworden.

Soraya Chemaly: „Speak out!“ Die Kraft weiblicher Wut. Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann und Gesine Schröder. Suhrkamp Nova Verlag, Berlin 2020. 393 S., br., 20,– €.

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