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#Führungskräfte aus dem Cockpit

Führungskräfte aus dem Cockpit

Die Liebe zur Luftfahrt hat Mehrdad Lebaschi früh entwickelt. Er sei ein „Flughafenkind“ gewesen, erinnert sich der 41 Jahre alte Mann: Seine Mutter arbeitete in Hamburg beim Bodenpersonal. Den Beruf des Piloten, den er Jahrzehnte später ergriff, nennt er seine „Berufung“ – der er jetzt nicht mehr nachgehen kann. Weil seine Airline wegen der Corona-Pandemie Insolvenz anmeldete, ist der Vater zweier Kinder seit Anfang März arbeitslos.

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Johanna Christner

Vielen seiner Kollegen dürfte es ebenso ergehen, denn die Krise der Luftfahrt ist tief und anhaltend. Die Pilotenvereinigung EPA schätzt, dass von den rund 65.000 Flugzeugführern in Europa etwa 18.000 ihren Job verlieren werden. Es sind oft hochbezahlte Fachkräfte, die sich nun plötzlich mit Existenzsorgen konfrontiert sehen.

„Ich habe meinen Arbeitsvertrag und meine Uniform verloren“, sagt Mehrdad Lebaschi mit leiser Stimme. Dennoch will er sich nicht unterkriegen lassen, denn ein Pilot müsse stets „ahead of the aircraft“, stets einen Schritt voraus sein – im Beruf wie auch im Leben. Durch seine Ehefrau, eine Pilotin in Kurzarbeit, erfuhr der nahe Hamburg wohnende Lebaschi von einem neuen Programm der Hochschule Accadis in Bad Homburg, das Piloten zu Betriebswirten umschult: Das ein Jahr dauernde Studium soll aus den einstigen Kapitänen potentielle Führungskräfte machen.

Eine Perspektive für die Pandemie

„Das für mich Reizvolle an dem Studium ist, dass ich mir ein zweites Standbein aufbauen könnte und meine neugewonnene Expertise bei einer Fluggesellschaft oder in der freien Wirtschaft anwenden könnte“, sagt Lebaschi. „Diese Möglichkeit gibt mir Motivation und eine Perspektive – und Perspektiven aufgewiesen zu bekommen, ist in der Pandemie ungemein wichtig.“ Umziehen müsste Lebaschi für das Studium nicht, da es zum größten Teil online stattfindet.

Es ist das erste Mal, dass sich Lebaschi an einer Hochschule eingeschrieben hat, und doch ist es ihm möglich, gleich den Masterabschluss anzustreben. Zu verdanken hat er das dem Hessischen Hochschulgesetz, das ein solches Studium in besonderen Fällen auch ohne ersten akademischen Abschluss zulässt.

Studienprogramm mit Praixbezug

Trotz der hohen Anforderungen, die professionelle Flugzeugführer erfüllen müssen, ist die Verkehrspilotenlizenz in Deutschland kein anerkannter Berufsabschluss. Und nur die wenigsten Piloten erwerben vor dem Beginn ihrer Ausbildung einen Uni-Abschluss. Das erschwert es ihnen, später den Beruf zu wechseln. „Im Rhein-Main-Gebiet hört man häufig im eigenen Bekanntenkreis von der misslichen Lage der Piloten, daher entstand im Dezember die Idee zur Pilotenklasse“, sagt Florian Pfeffel, Präsident der Accadis-Hochschule. „Denn Piloten sind keine Ungelernten, sondern Führungskräfte aus dem Cockpit.“

Auch am Frankfurter Flughafen ist die Corona-Krise deutlich zu spüren.


Auch am Frankfurter Flughafen ist die Corona-Krise deutlich zu spüren.
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Bild: dpa

Inhaltlich unterscheidet sich das Programm nur wenig vom MBA-Studium der privaten Hochschule. Allerdings soll den Piloten, die in ihrer Ausbildung das wissenschaftliche Arbeiten nicht gelernt haben, ein Programm mit Praxisbezug geboten werden. „Wir stoßen mit dem Angebot auf sehr positive Resonanz, haben schon Bewerbungen erhalten und Beratungsgespräche geführt“, sagt Pfeffel. „Piloten bekommen täglich eine Maschine mit Passagieren anvertraut und entscheiden nicht wie herkömmliche Manager etwa über Marketingfragen, sondern über Leben und Tod – was ihnen nur noch fehlt, sind BWL-Kenntnisse, die wir innerhalb eines Jahres problemlos vermitteln können.“

Auf die erfolgreiche Beendigung der Pilotenklasse folgt ein staatlich anerkannter Master-Abschluss, wie ihn auch andere Quereinsteiger an der Hochschule Accadis erhalten. Am Programm teilnehmen kann allerdings nur, wer mindestens zwei Jahre Arbeitserfahrung vorzuweisen hat. Flugschülern oder Jungpiloten kann somit nicht geholfen werden, zumal letztere mitunter noch die zur Flugausbildung aufgenommenen Schulden abbezahlen müssen. Die Studiengebühr von 16.800 Euro ist überdies für viele von ihnen und für ehemalige Kapitäne kleinerer Airlines, die darüber hinaus eine Familie zu ernähren haben, kaum bezahlbar.

Ohne finanzielle Hilfen kann sich auch Mehrdad Lebaschi das Studium nicht leisten. Ein Schreiben der Hochschule und das Curriculum des Studiengangs überzeugten das örtliche Jobcenter nicht: Es handele sich nicht um eine Weiterbildung, sondern um ein Aufbaustudium, das nicht staatlich gefördert werden könne. Stattdessen, berichtet Lebaschi, sei ihm ein unentgeltliches Coaching angeboten worden, das seine Stärken und Schwächen ermitteln solle. „Ich fühle mich von der Agentur für Arbeit im Stich gelassen“, sagt Lebaschi, der nun auf Zuschüsse aus einem Bildungsfonds der Hochschule Accadis hofft. „Ein Bekannter von mir war vor der Pandemie Reisebürokaufmann und wurde zum Immobilienkaufmann umgeschult – aber mit uns Piloten geht man anders um.“

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