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#Für immer Homeoffice?

Für immer Homeoffice?

Ende der neunziger Jahre verbrachte ich ein paar Monate als Visiting Scholar am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Weil man nicht so recht wusste, was man mit mir anstellen sollte, wurde ich in ein gerade im Aufbau befindliches „Center of Industrial Performance“ gesteckt. Dort hatte man Professoren unterschiedlicher Fakultäten zusammengewürfelt – darunter einen Atomphysiker, eine Politikwissenschaftlerin, einen Maschinenbauer und einen Ökonomen –, um die Bedingungen von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu erforschen.

Rainer Hank

Rainer Hank

Freier Autor in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Was mich am MIT faszinierte, war das flexible Organisations- und Arbeitsprinzip dieser Universität. In einem schmucklosen Gebäude auf dem ohnehin schmucklosen Campus wurde im Handumdrehen eine Büroetage freigeräumt (es gab sogar Räume ohne Tageslicht). Unabdingbar war es, dass die Wissenschaftler am Center ihre angestammten Plätze in den Fakultäten verließen, um in unmittelbarer Nachbarschaft zu fachfremden Kollegen zu arbeiten. Menschen sind taktile Wesen, Kreativität hat auch eine räumliche Komponente. Die Kargheit der Büroumgebung war weniger Ausdruck von Sparzwang (das MIT ist bekanntlich ziemlich reich), sie hatte System: Leere Räume sind eine Art Container, in denen sich Neues entwickeln lässt. Von Innenarchitekten stylish möblierte Büros geben hingegen zu viel vor und ermüden den Geist.

Was ich damals intuitiv spürte, hätte ich einem 1994 erschienenen Buch von Stewart Brand entnehmen können: „Wie Gebäude lernen. Was passiert, nachdem sie gebaut wurden?“ Brand, ein verrückter kalifornischer Aktivist und Buchautor, vertritt die These, dass Gebäude nicht nur Kreativität ermöglichen (oder verhindern), sondern auch ihre Geschichte an die nachfolgenden Nutzer weiterreichen. Das klingt esoterisch, ist es aber nicht. Brands Vorzeigebeispiel ist das „Building 20“ auf dem MIT-Campus, eine Art Baracke, ursprünglich während des Zweiten Weltkriegs hastig errichtet zum Zweck der militärischen Radarforschung. Die Baracke hat sich, anders als geplant, bis 1998 gehalten und über die langen Jahre bahnbrechende Forscher beherbergt. Die MIT Electronic Research Society (MITERS) zum Beispiel erkundete die Grundlagen dessen, was man später „Hacker Culture“ nennen sollte. Der berühmte Linguist und linke Aktivist Noam Chomsky erforschte die Tiefenstrukturen der generativen Grammatik in einem „schäbigen Loch“, wie er selbst sagte. Als sozialer Treffpunkt auf den Etagen diente ein schlichter Verkaufsautomat mit billigen Süßigkeiten. Für Grabenkämpfe und Kompetenzstreitereien bot diese Arbeitsumgebung keinen Anlass. Stattdessen erlaubte die provisorische Anlage der Räume, sie jeweils für aktuelle Forschungsideen zu „missbrauchen“, wie ein Beteiligter sagte.

Warum ich diese Geschichten über die kreative Kraft von Arbeitsräumen erzähle? Sie machen deutlich, was verloren geht, sollten wir uns in der Nach-Corona-Zeit dauerhaft in unsere häuslichen Büros in den Vorstädten Münchens, Frankfurts oder Berlins verkriechen. Natürlich habe ich ein extremes Beispiel gewählt. Ein KPMG-Team oder eine Abteilung der Deutschen Bank sind keine MIT-Forschungsgruppe. „Building 20“ ist das Gegenmodell zur eintönigen Power-Point-Kultur von heute. Aber der Grundsatz „Sage mir, wo und mit wem du arbeitest, und ich sage dir, wie aufregend die Arbeitsergebnisse sind“ gilt auch jenseits amerikanischer Eliteuniversitäten. Oder sagen wir es drastischer: „Remote“ im Reihenhaus zu arbeiten ist nichts anderes als die Steigerung jener Eintönigkeit, die heute schon in vielen Büros regiert – obwohl für deren Einrichtung zahlreiche Feng-Shui-Experten satte Honorare kassiert haben.

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