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#Ein Krypto-Klassiker: Der YOG’TZE-Fall – Cipherbrain

Ein Krypto-Klassiker: Der YOG’TZE-Fall – Cipherbrain

Der Tod des Lebensmittel-Technikers Günter Stoll ist zweifellos einer der rätselhaftesten Kriminalfälle in der Geschichte der Bundesrepublik. Kurz vor seinem Ableben soll Stoll die Buchstabenfolge YOG’TZE auf einen Zettel geschrieben haben.

English version (translated with DeepL)

Zunächst einmal möchte ich erwähnen, dass das ICCH-Forum, in dem alle zwei Wochen ein interessanter Vortrag zur Geschichte der Kryptologie gehalten wird, jetzt eine Webseite hat. Patrick Hayes, ein Cipherbrain-Leser, hat sie erstellt. Ich finde sie äußerst gelungen.

 

ICCH

Auf der neuen ICCH-Seite ist unter anderem nachzulesen, dass George Lasry, ebenfalls ein Leser dieses Blogs, heute um 18 Uhr (deutsche Zeit) einen Vortrag über Vatikan-Chiffren halten wird. Die Einwahl-Daten sind aus Sicherheitsgründen jedoch nicht auf der Webseite verlinkt. Wer teilnehmen will (es ist kostenlos), kann mir gerne eine Mail schicken. Wer regelmäßig dabei sein will, sollte die Crypto-Collectors-Mailingliste abonnieren. Dort gibt es den Einwahl-Link jeweils zwei Tage vor dem Vortrag.

Auch mein nächster ICCH-Vortrag ist bereits angekündigt. Am 20. März 2021 werde ich mit Jerry McCarthy über den Zschweigert-Kryptografen referieren.

Quelle/Source: Patent

 

Der YOG’TZE-Fall

Kommen wir nun zum eigentlichen Thema. Einer der meistgelesenen und meistkommentierten Artikel in der Geschichte dieses Blogs behandelt den so genannten YOG’TZE-Fall aus dem Jahr 1984. In dessen Mittelpunkt steht der damals arbeitslose und von psychischen Problemen geplagte Lebensmittel-Techniker Günther Stoll aus Anzhausen im nordrhein-westfälischen Siegerland.

Stoll fühlte sich über längere Zeit hinweg verfolgt. Am 25. Oktober 1984 rief er in Anwesenheit seiner Ehefrau: „Jetzt geht mir ein Licht auf!“ Anschließend schrieb er die sechs Buchstaben YOG’TZE auf einen Zettel. Er strich sie sofort wieder durch.

YOGTZE-Lego-1

Quelle/Source: Schmeh

Danach ging Stoll in eine Stammkneipe. Dort brach er zusammen, obwohl er nur wenig getrunken hatte. Um ein Uhr nachts klingelte er bei einer älteren Frau, die ihm als sehr religiös bekannt war. Angesichts der nächtlichen Stunde wies diese ihn ab.

Was in den nächsten zwei Stunden passierte, ist nicht bekannt. Um etwa drei Uhr wurde Stoll schwer verletzt in seinem von der Straße abgekommenen Auto am Rande der Autobahn A45 aufgefunden. Er war unbekleidet (das Bild unten ist leider nicht korrekt, da es den Toten bekleidet und neben seinem Auto zeigt).

YOGTZE-Lego-2

Stoll starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Die Polizei fand heraus, dass die tödlichen Verletzungen des Opfers nicht vom Unfall stammten. Stattdessen muss Stoll an einem anderen Ort von einem Fahrzeug überfahren und auf dem Beifahrersitz seines Autos zum Fundort gebracht worden sein.

 

Der XY-Film

Die mit Abstand wichtigste Quelle für den YOG’TZE-Fall ist ein Beitrag der Fernsehserie „Aktenzeichen XY … ungelöst“ aus dem Jahr 1985. Diesen Film gibt es in zwei Teilen auf YouTube. Hier ist Teil 1:

Und hier Teil 2:

 

Das YOG’TZE-Kryptogramm

Die interessanteste Frage für Cypherbrain-Leser ist sicherlich, was YOG’TZE bedeutet. Es gibt anscheinend keine Sprache auf der Welt, in der dieses Wort vorkommt. Dafür gibt es zahlreiche andere mögliche Erklärungen:

  • Wenn das G als 6 gelesen wird, erhält man das Wort YO6’TZE. YO6TZE ist ein rumänisches Funkzeichen.
  • Der Apostroph in der Mitte des Wortes passt zu niederländischen Auto-Nummernschildern.
  • Wenn YOG’TZE auf dem Kopf stehend gelesen wird, erhält man 3ZL,90X. Was das bedeuten soll, ist allerdings ebenfalls unklar.
  • TZE steht für einen künstlichen Aromastoff, die auch für Joghurt (abgekürzt YOG) verwendet wird. YOG’TZE könnte also ein Ausdruck sein, den der Lebensmittel-Techniker Stoll von Berufs wegen kannte.
  • YOG’TZE könnte für die Anfangsbuchstaben von sechs Wörtern stehen.
  • YOG’TZE könnte ein verschlüsseltes Wort sein. Der Klartext wäre in diesem Fall jedoch unbekannt.

Stolls Original-Aufschrieb ist leider nicht erhalten geblieben. Meine Leser haben darauf hingewiesen, dass Stolls Ehefrau erst mit einem halben Jahr Abstand über dieses Kryptogramm berichtet hat und dass sie dieses selbst wohl nur kurz gesehen hat.

Es kann durchaus sein, dass YOG’TZE nur eine bedeutungslose Buchstabenfolge ist. Menschen, die an einer Psychose leiden, geben oft unsinnige Dinge von sich oder schreiben sie auf. Die Chancen, die Buchstabenfolge YOG’TZE jemals entschlüsseln zu können, dürften daher eher gering sein. Das sehen auch viele meiner Leser so.

 

Wie es gewesen sein könnte

Zugegebenermaßen ist der YOG’TZE-Fall interessanter als das YOG’TZE Kryptogramm. Warum Stoll getötet wurde und ob es Mord war, sind offene Fragen. Ich habe mir dazu meine (laienhaften) Gedanken gemacht und diese 2015 in einem Blog-Artikel veröffentlicht. Dieser Beitrag wurde sehr oft aufgerufen und 96-mal kommentiert. Auch Jahre nach dem Erscheinen gingen noch Kommentare ein.

Ursprünglich ging ich davon aus, dass Stoll ermordet wurde. Die Tatsache, dass sein Fall in “Aktenzeichen XY ungelöst” präsentiert wurde, legt dies nahe. Nach einigem Nachdenken änderte ich jedoch meine Meinung. Seitdem halte ich einen Unfall für viel wahrscheinlicher. Wie ich 2015 im Artikel schrieb, könnte sich die Sache wie folgt abgespielt haben:

  • Günther Stoll litt unter einer Psychose. Möglicherweise waren Drogen Schuld daran. Dass Stoll sich ständig verfolgt fühlte, lässt sich durch die Psychose leicht erklären.
  • Wie im Film zu sehen, wurde Stoll in seiner Stammkneipe kurz ohnmächtig. Auch das ist durch eine Psychose erklärbar.
  • Wie ebenfalls im Film zu sehen, suchte Stoll nachts um 1 Uhr eine ältere Frau auf, um mit ihr zu reden. Auch ein solches Verhalten dürfte bei einer Psychose nicht allzu sehr überraschen.
  • Anschließend fuhr Stoll mitten in der Nacht mit seinem Auto an einen Ort, der in der Nähe des späteren Fundorts lag. Zielloses Umherirren ist ein gängiges Verhalten für jemanden, der an einer Psychose leidet.
  • Irgendwo hielt Stoll an, zog sich nackt aus und lief umher. Auch dieses Ausziehen ist nicht ungewöhnlich bei einem solchen Krankheitsbild.
  • Während er umher lief, wurde Stoll von einem Auto erfasst. Vielleicht litt er an einer Wahnvorstellung und glaubte, vor das Auto spingen zu müssen oder es aufhalten zu können. Auch dies lässt sich mit einer Psychose erklären.
  • Der Fahrer des Unfallwagens versuchte, Stoll ins nächste Krankenhaus oder zu einem Arzt zu bringen. Da es damals noch keine Handys gab, mit denen man Hilfe hätte holen können, gab es zu einem solchen Verhalten kaum eine Alternative.
  • Der Fahrer des Unfallwagens nutzte zum Transport des Schwerverletzten nicht sein eigenes Auto, sondern Stolls VW Golf. Mögliche Gründe dafür gab es viele. Möglicherweise war das Unfallauto vom Zusammenprall beschädigt. Oder es war zu klein (Sportwagen) für einen Verletztentransport. Oder es war vollgepackt. Oder der Fahrer hatte etwas Illegales (Drogen?) geladen. Oder der Fahrer wollte seinen Wagen nicht mit Blut verschmutzen. Es ist außerdem denkbar, dass noch eine zweite Person im Unfallwagen saß, die nicht mit ins Krankenhaus fuhr und stattdessen mit dem Unfallwagen weiterfuhr. Vielleicht war Stoll noch bei Bewusstsein und wies selbst darauf hin, dass sein Golf in der Nähe stand.
  • Auf dem Weg zum Krankenhaus verunglückte Stolls Auto. Dessen Fahrer bekam es nun mit der Angst zu tun (vermutlich war er an diesem zweiten Unfall schuld, und vielleicht war er alkoholisiert) und suchte das Weite.
  • Möglicherweise ist der geflüchtete Fahrer mit dem Anhalter identisch, der laut XY-Film in dieser Nacht unweit von Stolls Fundort gesehen wurde.

Dieser vermutete Tatablauf war schon damals nichts Neues und ist außerdem natürlich nur eine Hypothese. Er setzt außerdem voraus, dass der XY-Film die Begebenheiten korrekt wiedergibt (das ist keineswegs selbstverständlich, da die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen oft Dinge verschweigt oder falsch darstellt). Insgesamt erscheint mir ein Unfall jedenfalls wahrscheinlicher als ein Mord.

 

Eine weitere Hypothese

Blog-Leser “elli” schlug einen anderen Tathergang vor:

Am wahrscheinlichsten halte ich die Hypothesen im HOBBY-ERMITTLER-TEAM zu diesem Fall. Stichpunktartig: Die Ehe war nicht mehr gut. Als Günther (G) noch nach 23.00 Uhr wegging, war seine Frau nicht begeistert. Sie hatte bei der Beerdigung ein blaues Auge. Es dürfte daher nicht friedlich zugegangen sein. Sie schloss hinter G die Türe ab; er sollte sehen, wo er bleibt. Als G nach dem Papillon wieder zuhause rein wollte, ging das nicht mehr. Dann überlegte er und versuchte, bei der alten Dame unterzukommen. Das klappte nicht, und er fuhr zu einem Rastplatz bei Hagen, den er kannte, und wo er schon einige Male war. Dort herrschte des nachts ein spezielles Nachtleben, eine Art Cruiser-Prostitutions-Homosex-Szene, vielleicht auch Drogengeschäfte. Der Platz war in fester Herrschaft und kontrolliert. Nicht jeder war erwünscht. G war zuweilen dort, wurde aber abgelehnt und unfreundlich behandelt. Das waren grobe Kerle, die dort das Sagen hatten. Ob G dort Sexkontakte suchte, ob es um Drogen ging, oder um beides, bleibt offen. Dort hatte G seine Kleider abgelegt; das passte zur Szene. Aber man hatte ihm schon mehrfach gewarnt, dass man ihn dort nicht wollte. Nun hat man mit den Drohungen Ernst gemacht, die G befürchtete. Er wurde dort auf dem Platz absichtlich überrollt. Aber man musste ihn wegschaffen, weil man keine polizeilichen Ermittlungen auf diesem Platz wollte, um das Nachtgeschäft nicht zu gefährden. Die Szene stellte offenbar ein lukratives, weil kontrolliertes und sicheres, Geschäftsgebaren unter Ausgesuchten dar. So schaffte man G schwerverletzt an die Autobahn und überließ ihn dort seinem Schicksal. Also kein Unfall m.E.

Auch diese Variante klingt für mich plausibel.

 

Mehr zum Thema

2014 veröffentlichte ich einen Artikel auf FOCUS Online über den Fall. Inzwischen ist an gleicher Stelle ein weiterer Beitrag zum Thema erschienen. In diesem wird Ulrich Kayser, Leiter der zuständigen Kripo Hagen, zitiert: “Der Fall ist auserzählt, es gibt keine Spuren. Die Chancen, den Fall zu lösen, liegen bei null.“

Kaysers Aussage wundert mich, denn Kommissar Zufall ist nicht zu unterschätzen. Außerdem erfährt man gefühlt in jeder zweiten XY-Sendung (ich gehöre seit 35 Jahren zu den Stamm-Zuschauern), dass so mancher ungesühnte Straftäter dem psychischen Druck nicht standhält und sich deshalb irgendwann irgendjemandem anvertraut. Dies kann ein Freund, aber auch eine wildfremde Zufallsbekanntschaft sein. Vielleicht gibt es also Leute, die mehr wissen und dies irgendwann der Polizei melden. Ich würde also nicht darauf wetten, dass das letzte Wort hier schon gesprochen ist.

Und hier gibt es zwei weitere Artikel zum Thema:

Die beiden Artikel stammen vom (inoffiziellen) XY Blog von Kurt Wolfgang Schmidt. Dort kann man stets das Neueste zu dieser Fernsehsendung nachlesen. Das Buch „Aktenzeichen XY …ungelöst – Kriminalität, Kontroverse, Kult“ ist übrigens ebenfalls äußerst lesenswert.

Further reading: Codeknacker auf Verbrecherjagd – Schnelldurchlauf

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