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#Gehirnsprung ins neue Zeitalter

Gehirnsprung ins neue Zeitalter

Was ist Kolonialismus? Landnahme, gewiss, und zwar, wie Klaus Theweleits „Pocahontas“-Projekt seit 1999 mit überzeugenden Argumenten ausführt, idealiter über den Körper von Königstöchtern: Vergewaltigung also, zunächst konkret, dann politisch. Kolonialismus aber ist für den Freiburger Kulturtheoretiker, der die Assoziation zu seinem wichtigen Erkenntnisinstrument erhoben hat, noch viel mehr: eine Lebensform, ubiquitär anzutreffen, wenn man genau genug hinsieht. In allen Winkeln unserer Kultur macht er verschwiegene Kontinuitäten und psychologische Muster dingfest.

Auch der „Pocahontas“-Abschlussband, der aufgrund des Konkurses von Theweleits Hausverlag Stroemfeld jetzt bei Matthes & Seitz erschienen ist, birst beinahe vor faszinierenden kulturtheoretischen Überlegungen, etwa zum antiken Bronzeguss mit der verlorenen Form, zum Schiffsbau der Griechen, zur Perspektive-Revolution in der Malerei oder zum Vom-Himmel-Holen des göttlichen Blicks durch Kartographen des sechzehnten Jahrhunderts. All das begegnet, wie üblich bei diesem Autor, im schönsten Pop-Sound und wird begleitet von klug ausgewählten, wiederum assoziativ mit dem Gesagten in Verbindung stehenden Abbildungen.

Da sich der Vielleser Theweleit nicht scheut, ausführlich aus Büchern und Zeitungsartikeln zu zitieren, wächst sich sein Buchprojekt zu einer gar nicht so kurzen Geschichte von fast allem aus. Anders als in den drei Vorgängerbänden geht es diesmal jedoch kaum um die legitimatorischen Beziehungen von Politik und (Sieger-)Mythologie – in der neuzeitlichen Variante: Literatur – , also um die blinden Flecken in der Kolonialgeschichtsschreibung, sondern um eine Analyse in Maximaldistanz zum Gegenstand. Dafür lässt sich der Autor stärker als zuvor – und letztlich unglücklich – auf eine gefräßige Generalthese ein. Doch der Reihe nach.

Technologischer Vorteil dank „Akten-König“

Bereits der Titel „Warum Cortés wirklich siegte“ impliziert, dass für den Autor weder die neuartige Feuerkraft der Eroberer noch die Legende, die Azteken hätten in den spanischen Konquistadoren Götter gesehen, hinreichende Erklärungen für die Unterwerfung des südamerikanischen Kontinents darstellen. Zwei größere Antwortkomplexe führt Theweleit ins Feld, beide der Literatur entnommen. Zum einen handelt es sich um die These, es seien eingeschleppte Haustierviren gewesen, die einen Großteil der indigenen Population hinwegrafften, während die Europäer in Jahrtausenden der Haustierdomestikation spezielle Immunitäten entwickelt hätten.

Kolonialismus ist eine Lebensform: Klaus Theweleit in seinem Arbeitszimmer.


Kolonialismus ist eine Lebensform: Klaus Theweleit in seinem Arbeitszimmer.
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Bild: Picture-Alliance

Für Theweleit ist das aber nur der Einstieg. Den größten Raum seines Buches nimmt die zweite Antwort auf die Leitfrage ein. Sie deckt sich in groben Zügen mit dem Postulat eines technischen Apriori durch den Berliner Kulturwissenschaftler Friedrich Kittler und seine Schule. Demnach hat insbesondere die technologische Überlegenheit der Europäer nach 1600 zur Unterjochung und Ausplünderung entfernter Reiche und Kulturen geführt. Dieser technologische Vorteil wird hier nicht nur in großer Detailkenntnis zusammengestellt – ein ganzes Kapitel widmet sich etwa den neuen Verwaltungsmechanismen im Spanien des „Akten-Königs“ Philipp II. –, sondern auch historisch weit zurückverfolgt. Technologische „Sprünge“ im eurasischen Kulturkreis seien nach der Domestikation des Pferdes um 4000 vor Christus etwa die Metallschmelze, der Schiffsbau, das griechische Vokalalphabet, die Linearperspektive („Geometrisierung des Raums“), die Vermessung der Welt in Planquadraten oder die modulare Arbeitsorganisation. Der Autor stellt die interessante Frage, ob sich Verwerfungen ergeben, wenn Kulturen, die nicht den langen Weg der Technologieeinübung genommen haben, sich in einer globalisierten Moderne behaupten müssen, in welcher der eurasische Standard weltweit gilt.

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