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#„Geiseln für den Austauschfonds“

In Russlands jüngerer Geschichte sind die Spionagevorwürfe gegen den amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich, den ein Moskauer Gericht am Donnerstag ohne Zuschauer, anwaltlichen und konsularischen Beistand in Untersuchungshaft nehmen ließ, beispiellos. Bis Gershkovich am Mittwoch in Jekaterinburg verschwand und am Donnerstag unter einer Kapuze in Moskau vor Kameras für einen Moment wieder auftauchte, galten beim Außenministerium des Landes akkreditierte – und damit auch dem Geheimdienst FSB bekannte – Korrespondenten ausländischer Medien als gefeit vor der „Spionomanie“. So nennt man die Hatz in Präsident Wladimir Putins Auftrag, in der der FSB häufig Russen als „Staatsverräter“, seltener Ausländer als „Spione“ fasst.

Um einen Vorläufer für das Vorgehen gegen Gershkovich zu finden, muss man in die sowjetische Zeit zurückgehen. 1986 nahm der FSB-Vorgänger KGB den Korrespondenten von „U.S. News & World“, Nicholas Daniloff, ebenfalls unter Spionagevorwürfen fest.

Ein Bekannter hatte Daniloff einen Umschlag mit Material über Zentralasien gegeben. Darunter Fotos von Soldaten in Afghanistan und einer Karte, auf der „streng geheim“ stand, wie Daniloff später erzählte. Alles deutete auf eine Inszenierung hin, um die kurz zuvor erfolgte Festnahme des für die Vereinten Nationen in New York arbeitenden sowjetischen Physikers Gennadij Sacharow unter Spionagevorwürfen zu vergelten.

Parallele zur Sowjetzeit

Daniloff verbrachte 13 Tage im Lefortowo-Untersuchungsgefängnis, in dem wohl auch Gershkovich jetzt festgehalten wird. Daniloff führte den Umstand, dass er rasch wieder freikam, darauf zurück, dass sich der damalige Präsident Ronald Reagan einschaltete. Sacharow wurde verurteilt und ausgewiesen; die Ermittlungen gegen Daniloff wurden eingestellt, und zusätzlich zu dem Journalisten konnten ein Dissident und dessen Frau die Sowjetunion verlassen.

Als Michail Gorbatschow 1992 in den Vereinigten Staaten war, fragte Daniloff den früheren Sowjetführer, wer die Idee gehabt habe, ihn festnehmen zu lassen. Gorbatschow habe erklärt, das seien die Regeln des Kalten Krieges und eine Antwort auf die Festnahme Sacharows gewesen.

Noch eine Parallele: Der 1934 geborene Daniloff ist ein Nachfahre russischer Emigranten; die Eltern des 1991 geborenen Gershkovich waren aus der Sowjetunion in die Vereinigten Staaten gekommen. In Russland arbeitet Gershkovich seit 2017 für englischsprachige Medien, seit Anfang 2022 für das „Wall Street Journal“.

Der FSB wirft ihm nun vor, „im Interesse der amerikanischen Regierung“ geheime Informationen über einen Rüstungsbetrieb gesammelt zu haben. Putin selbst muss in die Operation eingebunden sein: Nur so ist die Aussage seines Sprechers zu verstehen, es gehe nicht um einen „Verdacht“ gegen den Journalisten, man habe ihn vielmehr „auf frischer Tat ertappt“.

Wobei genau, ließ Dmitrij Peskow offen. Spionageverfahren sind geheim. Zudem ist der Tatbestand der Spionage, der zehn bis zwanzig Jahre Haft vorsieht, im Juli 2022 ausgeweitet worden: Erfasst wird nun schon jedes Sammeln von Informationen, die einem „Gegner“ übergeben werden sollen und gegen die russische Armee, andere militärische Verbände oder Staatsstrukturen verwendet werden könnten. Die Vagheit ist Programm.

Putin soll einen „Preis“ zahlen

Russische Kollegen Gershkovichs sehen die Einschüchterung der in Russland verbliebenen Auslandskorrespondenten eher als Kollateralschaden der Operation. Es gehe Moskau um künftige Häftlingsaustausche mit den Vereinigten Staaten. „Sie nehmen Geiseln für den Austauschfonds“, schrieb etwa Sergej Smirnow vom Newsportal „Mediasona“.

Der jüngste Austausch fand im Dezember statt: Moskau bekam den Waffenhändler Viktor But und ließ dafür die wegen Kleinstmengen Cannabisöls verurteilte amerikanische Basketballspielerin Brittney Griner frei. Washingtoner Bemühungen, zusätzlich den unter Spionagevorwürfen in Russland inhaftierten früheren amerikanischen Soldaten Paul Whelan zu bekommen, scheiterten.

Moskau dürfte noch eine Reihe von Russen freibekommen wollen. In den Vereinigten Staaten besonders den im Februar verurteilten Hacker und Finanzbetrüger Wladislaw Kljuschin. Zudem wurde dort vorige Woche der mutmaßliche russische Agent Sergej Tscherkassow angeklagt; ein Auslieferungsersuchen an Brasilien, wo er zu 15 Jahren verurteilt worden ist, dürfte folgen. Im Dezember sind zwei weitere mutmaßliche russische Agenten in Slowenien festgenommen worden. Und in Deutschland verbüßt der wegen des sogenannten Tiergartenmordes verurteilte Wadim Krassikow eine lebenslange Haftstrafe, in einem Fall, den das Berliner Kammergericht als „Staatsterrorismus“ wertete.

Das „Wall Street Journal“ forderte nun, Putin einen „Preis“ für die Inhaftierung Gershkovichs bezahlen zu lassen: Amerika solle den russischen Botschafter und alle russischen Journalisten ausweisen. Letzteres wies Putins Sprecher zurück. In Russland setzten „alle“ akkreditierten Korrespondenten ihre Arbeit „ohne Behinderungen“ und „ausgezeichnet“ fort. So wäre es „absurd und falsch, redliche Journalisten in ihren Rechten zu beschränken“. Peskow bekräftigte aber, Gershkovich habe unter „journalistischer Tarnung“ Spionage betrieben.

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