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#Genaktivität lebender Zellen erfasst

„Genaktivität lebender Zellen erfasst

Forscher haben die genetischen Untersuchungsmöglichkeiten buchstäblich auf die Spitze getrieben: Durch den Einsatz hochfeiner Nadeln ist es ihnen gelungen, Einzelzellen Flüssigkeit abzuzapfen und ihre Genaktivität zu untersuchen, ohne sie dabei zu töten. In dem Verfahren steckt damit erhebliches Potenzial für die Forschung: Beprobte Zellen lassen sich später erneut untersuchen, um Aktivitätsveränderungen unter bestimmten Umständen zu erfassen. Diese Möglichkeit haben die Wissenschaftler bereits am Beispiel von Immun- sowie Fettzellen verdeutlicht.

Wie auf einer Art Computerfestplatte tragen alle Körperzellen den gesamten genetischen Code unseres Organismus in sich. Sie unterscheiden sich allerdings dadurch, welche genetischen „Programme“ in ihnen ablaufen. Gene sind dabei aktiv, wenn der jeweilige Code in Boten-RNA umgesetzt wird. Diese Informationsträger prägen dann die jeweiligen Merkmale der spezialisierten Körperzellen eines Organismus. Außerdem werden Gene durch bestimmte Reize an oder abgeschaltet und ermöglichen so flexible Reaktionen von Zellen. Dieses System ist allerdings auch störungsanfällig: Wenn bei der Genregulation etwas schiefläuft, kann es zu Erkrankungen kommen.

Schon lange haben Forscher deshalb Verfahren entwickelt, um die Genaktivität zu erfassen. Mittels der sogenannten Einzelzell-RNA-Sequenzierung war es dabei sogar bereits möglich, die Muster in den kleinsten Einheiten zu erfassen. Dabei werden die in der Zellflüssigkeit vorhandenen Boten-RNA-Moleküle entziffert und damit den jeweiligen aktiven Gensequenzen zugeordnet. Doch bisher hatten die Verfahren zur Erfassung des Transkriptoms von Einzellzellen einen Haken: „Die zu untersuchenden Zellen mussten isoliert, aufgelöst und somit abgetötet werden“, sagt Julia Vorholt von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Dadurch ließ sich nicht untersuchen, wie sich die Genaktivität einer bestimmten Zelle weiterentwickelt. „Diese Einschränkung galt bisher als unvermeidbar“, so Vorholt.

Für Proben schonend angezapft

Doch mit dem sogenannten Live-seq-Verfahren, das sie und ihre Kollegen präsentieren, lässt sich nun doch das Transkriptom erfassen, ohne die untersuchte Zelle abzutöten. Möglich ist dies, indem sie wie bei einer Biopsie minimalinvasiv beprobt wird. Die Grundlage des Verfahrens bildet das an der ETH entwickelte Mikroinjektionssystem FluidFM, das winzige Flüssigkeitsmengen unter einem Mikroskop manipulieren kann. Dabei kommen mikroskopisch kleine Kanäle zum Einsatz. Vorholt und ihre Gruppe haben aus diesen „kleinsten Injektionsnadeln der Welt“ bereits zuvor eine Zell-Extraktionsmethode entwickelt, die es ermöglicht, einzelnen Zellen winzige Mengen Flüssigkeit abzuzapfen, ohne sie dabei zu töten. In der aktuellen Studie zeigen sie nun, dass sich vollwertige Einzelzell-Transkriptome aus derart gewonnenen Proben erstellen lassen: Es gelang ihnen, die RNA aus diesen winzigen Mengen an Zellflüssigkeit auszulesen.

Um das Potenzial ihres Live-seq-Verfahrens zu demonstrieren, analysierte das Team erfolgreich das Transkriptom verschiedener Zelltypen und -zustände. Allein dass die analysierten Zellen nicht sterben, ist den Forschern zufolge schon ein Vorteil: „Man kann die beprobten Zellen weiter unter dem Mikroskop beobachten – wie sie sich entwickeln und verhalten“, sagt Vorholt. Außerdem können sie in ihrem physiologischen Kontext belassen werden. „Die Mikroumgebung und die Zell-Zell-Interaktionen bleiben dann bestehen“, sagt Co-Autor Orane Guillaume-Gentil von der ETH.

Verläufe der Genaktivität erfassbar

Vor allem kann Live-seq aber die Aktivität Tausender Gene in einer einzelnen Zelle durch wiederholte Messungen auch über die Zeit hinweg aufzeigen. „So wandelt sich die Einzel-Zell-Analyse von einem Endpunkt zu einem zeitlichen und räumlichen Analyseverfahren“, sagt Vorholt. Um dies zu demonstrieren, erfassten die Forscher die Transkriptome einzelner Immunzellen vor und nach der Stimulation durch bestimmte Substanzen. Zudem untersuchten sie die Genaktivität in Fettstromazellen – einer Art von Stammzellen – bevor und nachdem sie sich in Fettzellen differenzierten. Dabei konnten sie erfolgreich Veränderungen im Transkriptom aufzeigen.

So wurde bereits grundlegend deutlich, dass die Methode helfen kann, neue biomedizinisch relevante Fragestellungen zu untersuchen. „Mit Live-seq können wir nun beispielsweise untersuchen, warum sich bestimmte Zellen differenzieren und ihre Schwesterzellen nicht, oder warum bestimmte Zellen gegen ein Krebsmedikament resistent sind und andere wiederum nicht“, verdeutlicht Seniorautor Bart Deplancke Deplancke von der  Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne abschließend das Potenzial des neuen Verfahrens.

Quelle:  Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne ETH Zürich, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-022-05046-9

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