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„Vom Staat verlassen“

„Ismail, Ismail, Ismail. Steh auf. Ein Erdbeben!“ Mit diesen Worten versuchte die 83 Jahre alte Zeynep Mikyaz, ihren Mann in der Nacht zum Montag vergangener Woche zu wecken. Im nächsten Moment fiel das Haus in einem Dorf bei Kahramanmaraş in sich zusammen. Zeynep konnte sich aus dem Haus befreien. „Meine Mutter kann nicht mal richtig laufen, ich weiß nicht, wie die Frau das geschafft hat“, sagt ihr Sohn Nusret stolz. Sein Vater Ismail hat es nicht geschafft. „Wenigstens konnten wir seinen Leichnam würdevoll bestatten. Nur ein Leichentuch hatten wir leider nicht.“

Als er von dem Erdbeben erfuhr, kam Nusret direkt aus Frankreich angereist. Seine Schwester aus Paris und sein Bruder aus Hannover seien auch da. Mutter Zeynep soll jetzt zu seinem älteren Bruder nach Deutschland. In dem kleinen Dorf Ördekdede ist kein Haus unbeschädigt geblieben. 33 Menschen sind hier ums Leben gekommen. „Unser Dorf hat es von allen umliegenden Dörfern am schlimmsten getroffen“, sagt Nusret.

Die Häuser in dem kleinen Dorf dienen zum Großteil als Zweitwohnsitz für die Anwohner. Sonst hätte das Erdbeben vielleicht noch mehr Opfer gefordert. Vor allem in den Sommermonaten seien viele Menschen in dem Dorf. Im Winter sei es einfach viel zu kalt, sagt Gürsel Incili. Der Dreiundsechzigjährige verbringt den Winter in der türkischen Großstadt Gaziantep, die rund 50 Kilometer südöstlich von Ördekdede liegt. Auch Gaziantep liegt in der Erd­bebenregion. Zum Zeitpunkt des Erd­bebens sei er dort gewesen. Sein Haus in Gaziantep sei unbeschädigt geblieben, „aber zurück können wir nicht“.

Mit bloßen Händen nach Opfern gegraben: zerstörtes Haus in Ördekdede in der Provinz Kahramanmaraş


Mit bloßen Händen nach Opfern gegraben: zerstörtes Haus in Ördekdede in der Provinz Kahramanmaraş
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Bild: Lucas Bäuml

In Ördekdede fühle er sich sicherer als in der Großstadt, obwohl sein Sommerhaus hier komplett zerstört wurde. Zusammen mit seiner Frau wohnt er in einem Zelt am Rand des Dorfs. „Die Zelte kamen erst sieben Tage nach dem Erdbeben an.“ Sonst sei auch noch keine staatliche Hilfe in das Dorf gekommen, das zur Gemeinde Pazarcik gehört. „Das Essen, die Kleidung, alles, was wir hier haben, bringen uns Verwandte und Bekannte.“ Sie hätten Glück, dass viele der Anwohner Verwandtschaft in Deutschland und Frankreich hätten. Auch der Arzt, der heute im Dorf sei, sei zum ersten Mal da.

Nicht alle Dörfer um Kahramanmaras herum sind mit dem Auto zu erreichen. Bei dem Erdbeben wurden viele Straßen so stark beschädigt, dass man sie kaum passieren kann. „Ich weiß, es ist gefährlich. Aber wenn wir nicht in diese Dörfer da hochfahren, dann wird denen da oben nicht geholfen“, schreibt Resmiye Birben auf Instagram und teilt dazu ein Video einer Straße, die stark beschädigt wurde. Das Auto muss auf ihrem Weg in die höher gelegenen Dörfer kilometerlang den riesigen Schlaglöchern und Kratern ausweichen. Oft führt aber nur diese einzige Straße in die Bergdörfer von Kahramanmaras.

Obendrein ist der Weg auch noch gefährlich. Resmiye und 31 weitere junge Helfer aus Deutschland sind seit über einer Woche in der Erdbebenregion unterwegs – und fahren vor allem in die Dörfer, in die sich sonst keiner traut. „Ich bin mit der Einstellung hergekommen, dass mir jederzeit was zustoßen könnte, dass wir angegriffen werden könnten oder dass wir sterben“, sagt die 25 Jahre alte Stuttgarterin. Vor allem Zelte und Holzöfen brauchten die Menschen dort. „Ich habe gehört, es soll ein Dorf mit 400 Leichen geben“, sagt Resmiye. „Ich weiß nicht mehr, wie es heißt, aber ich frage mich, wann sie Helikopter dahin schicken.“

Auch Hasan Usta hat sein Auto mit Sachspenden vollgepackt und ist von Waldshut bis in die Türkei gefahren, um zu helfen. Hier sei er aufgewachsen, hier wolle er helfen. In den Dörfern um Narli, wo der Zweiundvierzigjährige aufgewachsen ist, verteilt er seine Spenden und hilft bei den Aufräumarbeiten. „Tante“, fragt er eine ältere Frau in Ördekdede, „brauchst du einen Generator?“

Bagger und große Maschinen sind in keinem der Dörfer zu sehen. Wann diese hierherkommen, weiß niemand im Dorf. Die Leichen haben sie alle mit ihren bloßen Händen rausgeholt. „Wenn Erdogan sagt heute, dann heute. Wenn Erdogan sagt morgen, dann morgen. Vielleicht auch erst nächstes Jahr“, sagt ein Mann, der nicht mit Namen genannt werden will. Einige Tage nach der Katastrophe ist er aus London angereist, um für seine Familie da zu sein. „Erdogan kontrolliert einfach alles in diesem Land.“

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