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#Schon wieder Schoa? Ja, aber anders

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Schon wieder Schoa? Ja, aber anders

Man hört auf einmal Hemingway. Und das ist ein Skandal, denkt man, während man sich an den Amerikaner, an seine melancholisch-männliche Erzählerstimme einfach erinnern muss, obwohl man einen Deutschen liest und nicht mal einen Roman, auch keine Reportage. „Noah. Von einem, der überlebte“ ist ein Bericht. Trotzdem wird „Noah“ spätestens nach neunzig Seiten zur Literatur und nicht nur zur Imitation, zu keiner Ich-schreibe-jetzt-wie-Ernest-Pose. Denn dieses Buch hat seine eigene Kraft, Stärke, Reduktion, die einen plötzlich zwingen, an Hemingway zu denken. Das liegt auch an den rauhen Männern, von denen der Amerikaner oft erzählte. Im Buch des Deutschen sind es Bill Bernstein mit den roten Locken, Jossi „der Bomber“ Harel und John Stanley Grauel, der Priester ist und immer Brandy trinkt. Sie lebten wirklich. Wie alle Helden und Verbrecher, die in „Noah“ auftauchen, sterben, kämpfen, morden.

Anna Prizkau

Der Deutsche, der von ihnen erzählt, ist Takis Würger, der Journalist und Schriftsteller, der vor zwei Jahren einen Roman über eine ganz andere Art des Überlebens im Holocaust geschrieben hatte. Es ging damals – based on a true story – um eine jüdische Nazi-Kollaborateurin, die primitiv und schön war, und um einen jungen Schweizer, der sie liebte. „Stella“, so hieß das Buch, war ein Bestseller, obwohl es schwach und schwierig war; moralisch und vor allem literarisch. Denn es poetisierte die Schoa; naiv und kitschig. Jetzt und in „Noah“ aber ist alles anders. Es ist nicht einmal ein Roman, es sind die aufgezeichneten Erinnerungen eines Überlebenden. Das steht schon auf der ersten Seite: „Im Frühjahr des Jahres 2018 in Tel Aviv sitzt ein alter Mann unter einem Kumquatbaum im Garten eines Hochhauses und erzählt seine Geschichte. Sie geht so:“ Der alte Mann heißt Noah Klieger, der sich in Auschwitz für einen Boxer ausgab, um zu leben.

Noah Klieger (1925-2018), der sich in Auschwitz für einen Boxer ausgab.


Noah Klieger (1925-2018), der sich in Auschwitz für einen Boxer ausgab.
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Bild: Jonas Opperskalski/laif

Takis Würger traf Noah Klieger jeden Tag, sprach mehrere Monate mit ihm. Klieger hatte vor seinem Tod das Buch gelesen, korrigiert, und genauso ist es jetzt auch erschienen. Das steht in einem der gleich drei Nachworte. Sie aber sind unwichtig und klingen wie leere Alles-ist-richtig-recherchiert-Erklärungen, anscheinend sollen sie das Buch absichern. Doch die Angstgesten sind überflüssig. Schließlich geht es um Noah, geboren 1925 in Straßburg, Noah, der keine Angst kennt, keine Angst hat. Nicht mal in dieser Bar in Belgien – dort beginnt seine Story. Noah ist noch ein Teenager, doch schon ein Menschenschmuggler. Er hilft Juden über die Grenze in die Schweiz. Am Tag, an dem er sich selbst rausschmuggeln will, erwischen ihn die Deutschen. „Als Noah in das Lager gefahren wurde, wurde ihm zum ersten Mal bei einer Zugfahrt nicht übel durch das Ruckeln“, berichtet Takis Würger ohne ein Wort zu viel, ein Wort zu wenig. Das Lager heißt Auschwitz III.

Ständig stirbt jemand, wird ermordet

In kurzen, schnellen Sätzen, die schildern, nicht erzählen, erfährt man, wie Noah im Lager lebt und überlebt, wie dort und auf den Todesmärschen Menschen sterben. Das ist die Stärke dieses Buches; den Tod zu zeigen, wie ihn Noah sieht – als etwas Beiläufiges, Gewöhnliches, Normales. Zum Beispiel so: „Die Projektile trafen Perez in den Rücken. Er fiel auf den Sack mit dem Brot und war tot. Noah ging weiter zum Bahnhof.“ Oder so: „Neben Noah erfror ein Mensch und fiel um. Dadurch war etwas mehr Platz.“ Ständig stirbt jemand, wird ermordet. Und es ist gut, wie Takis Würger darüber in schneller, starker Lakonie erzählt und dass er von so vielen Toten schreibt. Denn wenn man heute zu Jahrestagen immer und immer wieder Interviews mit Schoa-Überlebenden in Zeitungen, in Magazinen liest, sieht man am Ende doch das Überleben. Aber die Wahrheit ist: Sechs Millionen sind ermordet worden, also beinahe ein ganzes Volk, mehr als die wenigen, die überlebten.

Spätestens jetzt muss man sich fragen: Mit welchen Mitteln kann man heute vom Holocaust erzählen, wenn man ihn selbst nicht erlebt hat? Mit Lyrik, klar, denn sie bezieht sich szenisch, punktuell auf das Geschehene. Mit einem Roman geht es nur, wenn man tatsächlich ein Jahrhundertautor ist. Das aber versucht Takis Würger gar nicht erst zu sein. Ein Glück. Und er beweist mit „Noah“ trotzdem, dass ein Bericht auch Literatur sein kann. Da gibt es Szenen, die so groß sind, dass man auf einmal einen Puls hört, Hoffnung schmeckt. Wie die Begegnung mit Artem, der vor Auschwitz mal Profischwimmer war und dessen Frau und Tochter gleich nach der Ankunft in Birkenau im Gas ermordet worden sind. Artem will jetzt mit Noah im Löschwasserbecken des Lagers schwimmen gehen. Noah will das nicht, er will nur eins: nicht sterben. Artem erklärt ihm, dass sie sich selbst beweisen könnten, dass sie noch Menschen sind, wenn sie nur ein paar Bahnen ziehen. „Noch Menschen?“, denkt jetzt Noah. „Graue Wesen mit aufgedunsenen Gesichtern am Morgen und hohlen Gesichtern am Abend. Gestalten, die nach 20 Minuten im Krematorium zu zwei Händen Asche zerfielen. Konnten Nummern Menschen sein?“

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