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#Bernhard Jussens Buch „Das Geschenk des Orest“

Vor fast genau fünfzehnhundert Jahren, um 530 nach Christus, setzte ein römischer Aristokrat seiner Mutter in einer Katakombe vor den Stadtmauern Roms ein Grabdenkmal in Form eines Freskos. Das Bild, das 1595 wiederentdeckt und im zwanzigsten Jahrhundert restauriert wurde, zeigt die verstorbene Turtura neben Maria und dem Jesuskind, die auf einem juwelenbedeckten Thron sitzen, und den Märtyrern Felix und Adauctus, die am selben Ort begraben sind. Darunter ließ der Sohn eine Inschrift anbringen, auf der die lange Witwenschaft der Mutter mit einem Wortspiel gepriesen wird: „Turteltaube (lateinisch turtura) hast du geheißen, und du warst wirklich eine Turteltaube, die nach dem Tod des Mannes keinen zweiten geliebt hat.“ In der christlichen Lesart, die auf Aristoteles zurückgeht, ist die Turteltaube das Sinnbild weiblicher Treue.

Im selben Jahr 530 schickte ein anderer römischer Aristokrat namens Rufius Gennadius Probus Orestes aus Anlass seines Amtsantritts als Konsul eine Klapptafel aus Elfenbein an einen seiner Freunde. Beide Tafelteile zeigen das gleiche Relief: Im Mittelgrund, zwischen den Stadtgöttinnen von Rom und Konstantinopel, Orestes mit Prunktoga und „mappa“, dem Tuch, das der Konsul zu Beginn der Zirkusspiele fallen ließ, darunter zwei nackte Knaben mit Kornsäcken als Insignien des Überflusses, darüber die Herrschermedaillons des gotischen Kindkönigs Atha­na­rich und seiner Mutter Amalaswintha. Ein gewohntes Bild – und ein Abschiedsbild. Orestes war der vorletzte Konsul von Rom, unter seinem Nachfolger erlosch das Amt. 552 wurde Orestes von gotischen Kämpfern ermordet, die ihn als Geisel im Krieg ge­gen Konstantinopel genommen hatten.

Bernhard Jussen: „Das Geschenk des Orest“. Eine Geschichte des nachrömischen Europa 526–1535.


Bernhard Jussen: „Das Geschenk des Orest“. Eine Geschichte des nachrömischen Europa 526–1535.
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Bild: C.H. Beck Verlag

Für den Frankfurter Mediävisten Bernhard Jussen sind das Grabfresko der Turtura und die Klapptafel des Orestes ­komplementäre Zeichen eines Epochenwandels: Das eine weist in die Zukunft, das andere in die Vergangenheit. Die Witwe Turtura verkörpert die christliche Sittenlehre, die mit ihren Idealen von Keuschheit und Mo­no­ga­mie die Weichen für die weitere Entwicklung Westeuropas – Jussen spricht von „La­tein­europa“ – stellt, während der Konsul Orestes die römische Tradition der Zivilmagistrate und der Ahnenpflege verkörpert, die im sechsten Jahrhundert im Westen endet. In seiner Studie über „Das Geschenk des Orest“ führt Jussen in drei Schritten aus, was daraus folgt.

Zum einen trennen sich seit dem Frühmittelalter geistliche Macht und weltliche Herrschaft, sodass die Kunst aus ihrer Bindung an die Liturgie befreit wird, an die sie in Byzanz, wo die spätantike Gesellschaft fortbesteht, gebunden bleibt. Zum an­de­ren werden Klöster zu Or­ten der Tot­en­sor­ge und familiären Erinnerungskultur, an denen sich säkulare und klerikale Lebensweisen begegnen. Schließlich verschmilzt in den Gilden, Zünften und Räten der aufstrebenden Stadtkommunen seit der Jahrtausendwende das monastische Ordnungsprinzip mit den Strukturen von Handel und Handwerk zu einer Form gesellschaftlicher Organisation, die das Ende des christlichen Weltbilds überlebt.

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