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#Grüne Schatten brauner Geschichte

Grüne Schatten brauner Geschichte

Wer dieser Tage den Münchner Kunstverein in den Hofgartenarkaden betritt, wird nicht schlecht staunen: Auf schilfgrün gestrichenen Wänden ist nichts weiter zu sehen als dunkelgrün aufgemalte, unterschiedlich große und scheinbar willkürlich verteilte Rechtecke. Flyer helfen dem Ratlosen weiter: Jedes grüne Rechteck steht für ein Bild, das einmal an derselben Stelle hing, 1937 nämlich, als die Nationalsozialisten in diesen Räumen erstmals präsentierten, was sie, während ihrer „Säuberungsaktionen“ aus Dutzenden deutscher Museen entfernt, als „Entartete Kunst“ verurteilten. Man erfährt, wo Wilhelm Lehmbrucks „Große Kniende“ im Treppensaal stand und dass dahinter Franz Marcs grandioser „Turm der Blauen Pferde“ hing, dessen bis heute ungewisses Ende hier seinen Anfang nahm: Nach Protest des Regiments, in dem Marc im Ersten Weltkrieg gefallen war, wurde das Gemälde aus der Ausstellung entfernt, und Hermann Göring verleibte es seiner Sammlung ein. 1945 soll es in Berlin noch einmal gesehen worden sein, seither ist es verschollen, vermutlich zerstört, wie so viele der damals in München gezeigten Werke.

Derselbe Saal versammelte Arbeiten von Lovis Corinth in Fülle, dazu von Max Beckmann, Oskar Kokoschka, Paul Klee oder auch Gerhard Marx; der nächste reihte, kreuz und quer durcheinander, Bilder von Kandinsky, Feininger, Schmidt-Rottluff, von berühmten und unbekannten Meistern. Insgesamt zitieren die grünen Stellvertreterflächen hundert Werke der Hasstirade auf die Avantgarde, die ursprünglich weitere, heute abgetrennte Räume füllte. Die Künstlerin Bea Schlingelhoff konnte für ihre aktuelle Ausstellung „No River to Cross“ auf Stephanie Barrons Standardwerk zur „Entarteten Kunst“ von 1992 zurückgreifen, auch die 1991 vom Los Angeles County Museum of Art geleistete Modell-Rekonstruktion der Femeschau war hilfreich.

Keine Mitgliedschaft für „Nichtarier“

An fehlender Forschung lag es somit nicht, dass nicht längst eine auf der Hand liegende Gedenkschau am historischen Ort stattfand. Eindringlich füllt Schlingelhoffs Intervention eine Erinnerungslücke. Die Fotos von damals im Kopf, kommen einem die reißerischen Schmähparolen auf den Wänden in den Sinn und die Besuchermassen, die wochenlang durch die Räume strömten, bevor die Schau in andere deutsche Städte weiterzog. Der Münchner Kunstverein bezog seinen heutigen Standort erst 1953, zu Zeiten der „Entarteten Kunst“ logierte dort das Archäologische Institut.

Besuchermassen, die wochenlang durch die Räume strömten: Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München.


Besuchermassen, die wochenlang durch die Räume strömten: Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München.
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Bild: picture-alliance

Mit ihrem zentralen Interesse an der Geschichte ihres jeweiligen Ausstellungsortes setzt Schlingelhoff von mehreren Seiten an; hier etwa untersucht die 1971 geborene Künstlerin sowohl die Örtlichkeit als auch die Institution auf ihr Verhältnis zum faschistischen Regime und leitet daraus strukturelle Konsequenzen ab. Zum künstlerischen Verfahren jeder ihrer Ausstellungen gehört das Aufsetzen eines Dokuments, das mit den Verantwortlichen die Bedingungen, gegebenenfalls auch Änderungen aushandelt, unter denen Kunst gezeigt werden soll.

Direktor in vorauseilendem Strebertum

Im Archiv des Münchner Kunstvereins, der die eigene Geschichte seit einigen Jahren intensiv erforscht, entdeckte Schlingelhoff eine Satzungsänderung von 1936, die „Nichtariern“ die Mitgliedschaft untersagte. Wieder, wie schon 1933, als man den Verein durch Gleichschaltung den nationalsozialistischen Vorstellungen unterwarf, war der damalige Direktor in vorauseilendem Strebertum mit Feuer und Flamme dabei. Bea Schlingelhoff verfasste einen offenen Brief, eine Bitte um Verzeihen des Kunstvereins für die Kollaboration mit dem NS-Regime, Direktorin Maurin Dietrich und Ausstellungskuratorin Gloria Hasnay unterzeichneten ihn. Entschuldigung bei jenen, die sie nicht mehr vernehmen können, sind Demonstrationen der Reue, bestenfalls aber auch Willensbekundungen, aus der Geschichte zu lernen.

Viele der als „entartet“ gebrandmarkten Werke sind heute verschollen: Blick in den Führer durch die damalige Ausstellung.


Viele der als „entartet“ gebrandmarkten Werke sind heute verschollen: Blick in den Führer durch die damalige Ausstellung.
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Bild: picture-alliance

Doch Schlingelhoff belässt es nicht dabei, sie schafft Tatsachen, die sie im letzten Raum dokumentiert. Dort hängt dann doch noch ein Exponat zwischen den grünen Leerstellen: Es ist der gerahmte Entwurf für eine Präambel der Vereinssatzung, sie enthält die dauerhafte Verpflichtung zu „den Grundsätzen der Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung gegenüber Mitgliedern und Nichtmitgliedern“; eine außerordentliche Mitgliederversammlung beschloss diese Satzungsänderung im vergangenen Sommer mehrheitlich. Von Dauer soll auch ein Memento an der Außenfassade des Kunstvereins sein; dort trägt eine Messingplatte die Namen von Maria Caspar-Filser, Jacoba van Heemskerck, Marg Moll und Emy Roeder, vier weitgehend vergessene Künstlerinnen, die die „Entarteten“-Ausstellung ebenfalls verunglimpfte.

Bea Schlingelhoff – No River to Cross. Im Kunstverein München; bis 21. November. Es erscheint eine erste umfassende Publikation zum Werk der Künstlerin.

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