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#Herkunft und Corona: Verdrängt, verdruckst, versäumt

Herkunft und Corona: Verdrängt, verdruckst, versäumt

Politik ist nicht immer kompliziert. Häufig müssen aus trivialen Gründen schnell Entscheidungen getroffen werden. In der Corona-Pandemie verhinderten gleich zwei Lebenslügen konsequentes Handeln: Das Coronavirus ist keineswegs der große „demokratische Gleichmacher“, wie zu Beginn behauptet wurde. Pandemien haben in der Geschichte die soziale Frage immer neu gestellt. Erst wurde dieser Aspekt der Seuchen ignoriert, dann aber auch noch verdrängt, dass Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist. Die Lebensverhältnisse und damit die Pandemieverhältnisse in Berlin-Neukölln unterscheiden sich von denen in München-Bogenhausen fundamental.

Sozialmedizinisches Basiswissen spielte in der Corona-Politik dennoch eine untergeordnete Rolle. Seuchen treffen Arme und sozial Benachteiligte immer härter als Wohlsituierte, wie überhaupt viele Erkrankungen vom Status der Patienten abhängen: von sozialer Herkunft, Bildung, beruflicher Position und Wohnverhältnissen. Dieser Aspekt wurde auch regelmäßig ausgeblendet, wenn über das Tübinger Schnelltestmodell diskutiert wurde. Was in einer kleinen, herausgeputzten Universitätsstadt richtig ist, muss nicht für Duisburg-Marxloh das Beste sein.

Daten blieben unter Verschluss

Fast ein Jahr tabuisierten Gesundheitspolitiker die soziale Frage der Pandemie, indem stadtteilbezogene Daten zum Teil unter Verschluss gehalten wurden – obwohl einzelne Mediziner oder Kommunalpolitiker immer mal wieder versuchten, das Thema in internen Runden oder (etwas verdruckst) öffentlich anzusprechen. In der dritten Corona-Welle ließ sich die Sache aber nicht mehr unter den Teppich kehren: Bis zu 70 Prozent der Patienten auf Intensivstationen hatten einen Migrationshintergrund.

Das zu träge und unterfinanzierte öffentliche Gesundheitssystem ist bis heute nicht in der Lage, die notwendige Aufklärungsarbeit in Brennpunktvierteln und Einwandererquartieren zu leisten. In Gesundheits- und Integrationsministerien hätten spätestens nach der ersten Pandemiewelle Taskforce-Einheiten zur besseren Aufklärung von Einwanderern geschaffen werden müssen. Erst in dieser Woche zogen Impfteams in Brennpunktviertel wie Köln-Chorweiler oder die Neckarstadt in Mannheim, um dort schwerpunktmäßig zu impfen.

Erklärt wird der enorme zeitliche Verzug bei der Aufklärung in Einwanderervierteln über die Risiken von Corona und die plötzliche Modifikation der Impfstrategie unter anderem damit, dass man zu wenig gewusst habe. Aber allein ein Blick nach Übersee hätte helfen können, die soziale Dimension der Pandemie zu erkennen. Im März vergangenen Jahres gab es schon Berichte über besonders hohe Infektionszahlen unter Wanderarbeitern in Südostasien. Im April waren etwa in Chicago 72 Prozent der Covid-Toten Afroamerikaner, weit überwiegend aus Brennpunktvierteln. Warum sollte das in Deutschland so anders sein?

Auch zwei britische Studien vom August 2020 kamen zu einem alarmierenden Befund, der auf andere europäische Länder übertragbar war: Sowohl das Infektions- als auch das Sterberisiko ist danach in sozial benachteiligten Stadtvierteln doppelt so hoch wie in wohlsituierten Quartieren. Schlechte Jobs, mehrfache Vorerkrankungen, beengte Arbeits- und Wohnverhältnisse, ungesunde Ernährung, ein schlechter Zugang zum Gesundheitssystem, die Folgen lebenslanger harter körperlicher Arbeit sind die Ursachen. Sprach- und Bildungsbarrieren und kulturelle Unterschiede tragen zu den höheren Krankheits- und Todesraten bei Einwanderern und ethnischen Minderheiten bei. Der entscheidende Faktor aber, da sind sich alle Forscher einig, ist die schlechtere soziale Lage.

Migrantenverbände pochten auf mehr Aufklärung in Brennpunktvierteln

Unter Epidemiologen und auch in einigen Migrantenverbänden setzte deshalb schon im März vergangenen Jahres eine Diskussion über die sozialen Faktoren der Seuche ein. Die Epidemiologen verlangten immer wieder – ähnlich wie in Großbritannien –, über die Hausärzte schnell Daten über die Corona-Infizierten zu sammeln. Doch diese „Taskforce Covid-19-Evidenz“ kam nicht zustande. Von Migrantenverbänden gab es mehrfach Aufforderungen an die Bundesregierung, mehr für die Aufklärung in Brennpunktvierteln und den verschiedenen Einwandererminderheiten zu tun.

Die deutschen Gesundheitsminister ließen fleißig Aufklärungsbroschüren übersetzen – auf die Idee, in solche Viertel Aufklärungsscouts zu schicken oder Videos in den sozialen Medien zu posten, kamen sie viel zu spät. Lange sahen sie zu, wie Impfkritiker und Verschwörungstheoretiker gerade unter den durch die Pandemie ohnehin verunsicherten Einwanderern Anti-Impf-Propaganda verbreiteten. Nur wenn das Beispiel Köln-Chorweiler Schule macht und möglichst viele Menschen in den Problemquartieren geimpft und über das Virus besser aufgeklärt werden, wird es gelingen, Menschenleben zu retten und die Corona-Pandemie besser einzudämmen.

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