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#Heute Nacht werde ich euer Baby sein

„Heute Nacht werde ich euer Baby sein“

Am Anfang sieht man lange nur einen Haarschopf, der knapp über dem Klavier auf der Bühne hervorlugt, manchmal auch ganz dahinter verschwindet. Und dann und wann ein paar Zentimeter Stirn und Lockenkopf, leicht wippend. Zusammen mit den beiden Leselämpchen, die wie Fühler am Instrument klemmen, ergibt das einen Anflug von Biene oder Hummel: als Figur in einem Kasperletheater, die sich lustig zur Musik bewegt. Dabei ist das der Kopf von Bob Dylan.

Gefühlt fünfzig Runden eines Blues-Schemas spielt die Showband um ihn auf Vintage-Instrumenten vor einem beige-gelben Vorhang, alles also ziemlich stilecht in den Richtung Fünfzigerjahre inszeniert, mit fast naturbelassenem Sound ohne Schnickschnack, bis das Lockenkopf-Wesen erstmals aufsteht und Töne von sich gibt. Sie liegen zwischen Sprechen und Gesang, genau versteht es auf Anhieb wohl niemand, aber es schälen sich endlich doch Silben, dann Worte heraus: „Oh, this ol’ river keeps on rollin’.“

Weit und breit keine Klassiker

Bob Dylan ist also wirklich nochmal gekommen, im Alter von 81 Jahren und nachdem die Pandemie seine angeblich nie endende Tour doch zur Strecke gebracht zu haben schien. Die bange Frage mancher Fans in der Berliner Verti Music Hall, die ihn teils ja schon seit Jahrzehnten begleiten und sehr oft gesehen haben, also die Frage, wie er wohl diesmal einige seiner Klassiker zurichtet, verfremdet, ja, unkenntlich macht – sie erübrigt sich bei diesem Konzert. Denn in diesem Abendprogramm sind weit und breit keine Klassiker in Sicht: Kein „Blowin’ in the Wind“, kein „Don’t Think Twice“, kein „Mr. Tambourine Man“. Demonstrativ gibt es überwiegend Spätwerk zu hören.

Ein Paar in der Reihe vor uns verlässt nach ein paar Liedern den Saal, sah man da auch ein leichtes Kopfschütteln? Ja, das mag schwer zu akzeptieren sein, wenn der erwartete Lebens-Soundtrack einfach nicht erklingt, die Melodien und Texte, die so manche Jugend unter den Anwesenden geprägt haben, ausbleiben. Aber es ist auch eine vielleicht gerade in Deutschland notwendige Erziehungsmaßnahme: Weil man besonders hier oft den Eindruck hat, viele Leute verbinden mit dem Namen Bob Dylan nur dessen bekanntestes Frühwerk. Dabei hat er einige seiner stärksten Alben erst im neuen Jahrtausend aufgenommen.

Die Band spielt die zweite Geige

Auf dem Plakat und im Mittelpunkt des Abends steht die jüngste Platte „Rough and Rowdy Ways“, ein klingendes Archiv der amerikanischen Dichtung und Musik, das Dylans legendären Lang-Songs (man denke etwa an „Highlands“) noch einige hinzugefügt hat. Ein erster Höhepunkt des Konzerts ist das Lied „I Contain Multitudes“, in dem Dylan sich Walt Whitmans Moderne-Manifest aneignet und es neu ausdeutet.

Nach einer halben Stunde haben wohl alle begriffen, dass die Band, so gut und dynamisch sie ihre Sache macht, natürlich nur zweite Geige spielt neben dem Hauptinstrument: Bob Dylans Stimme. Es ist über weite Strecken im Grunde ein Lyrikvortrag, dem man hier beiwohnt, stellenweise noch an die Symbiose aus Musik und Text bei den Beat-Dichtern erinnernd, die der Literaturnobelpreisträger ja öfter heraufbeschwört – aber zumeist spielt die Musik hier sogar eine noch untergeordnetere Rolle. Klar, es gibt hier und da ein kleines Gitarrensolo – aber während die Band manchmal fast wie in Trance spielt, sticht die Stimme daraus hervor, bellt, beißt, röchelt sich in den Vordergrund mit den vielen theatralischen Phrasen, den Zitaten von Shakespeare („winter of discontent“) bis Sinatra („in the wee small hours“) und altmodischen Reim-Witzen („Calliope – Why not give her to me?“).

Versuch’s doch mal mit Zärtlichkeit

Die Theatralik dient manchmal auch der Selbstparodie. „People tell me, I ought to try a little tenderness“, kräht er etwa, und die Version seines 1967 veröffentlichten Songs „I’ll Be Your Baby Tonight“, die er dann anstimmt, klingt so fisteldünn, dass es Mitleid erregt. Während er behauptet, ein Baby zu sein, spielt Dylan Klavier wie ein Kind. Macht ein Solo aus zwei Tönen. Klimpert manchmal auch ein bisschen daneben. Man fühlt sich fast an Helge Schneider erinnert, ehe einem klar wird: Es ist natürlich umgekehrt. Alles kommt von Dylan. Und der größte Songdichter der vergangenen sechzig Jahre sitzt da und nimmt sich selbst auf die Schippe. Als er endlich auch mal kurz in die Mitte der Bühne tritt, sieht das aus wie an Fäden gezogen, tänzelnd, strauchelnd in einem Westernhemd aus grünem Samt, das irgendwie auch Teil eines Pyjamas sein könnte. Alles also nur Spaß? Nein, weil ja das ernsteste Stück noch aussteht: Die Ballade „Key West (Philosopher Pirate“), die eine Bilanz der westlichen Kultur zieht und womöglich ihren Endpunkt beschreibt, nagelt Bob Dylan einem geradezu ins Ohr und ins Herz, hier sitzt jede Silbe. Die sämtlichen melancholischen Implikationen, die dieses Stück hat, vorgetragen in dieser Situation, sind einfach überwältigend.

Und dann passiert noch etwas, das man wirklich kaum für möglich gehalten hätte: Das von den hinteren Sitzen aufgestandene und nach vorne gekommene Publikum beginnt zu schunkeln. Es schunkelt zu Dylans neuem Lied „I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You“, das hier auf viele den Eindruck macht, der Sänger offenbare endlich sein wahres Gesicht: Ich gebe mich Euch ganz. Man müsste es eigentlich besser wissen, als so etwas bei ihm ernst zu nehmen – zumal er sich ja durch Foto- und Handyverbot auch manchen Annäherungen auf sympathische Weise weiter entzieht. Aber die in seinem Lied zitierte Melodie der Barcarole aus „Hoffmans Erzählungen“ tut das Übrige und wiegt die Menschen erst in der Gewissheit, dass er es aufrichtig meint, dann in den Abschied. Zum Glück dauert auch diese Tour Bob Dylans ja noch ein paar Jahre. Und von seinem noch älteren Folk-Kollegen Ramblin’ Jack Elliott, den die „New York Times“ gerade als sehr agil und lebenslustig porträtiert hat, wird Dylan wissen: Man kann auch mit 91 noch singen und tanzen.

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