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Sein Weg führte nach Westen

Kaum haben wir Proust anlässlich der letztjährigen 150. Wiederkehr seines Geburtstags ausgiebig gefeiert, sind wir schon im Gedenkjahr seines hundertsten Todestags angelangt. Und die Pariser Museen haben sich ihre großen Ausstellungen für 2022 aufgespart. Als Erstes tritt das Musée Carnavalet an, mit „Marcel Proust – Un roman parisien“ (Ein Pariser Roman). Eine thematisch naheliegende Wahl für dieses Haus, denn es handelt sich bei ihm ja um das historische Museum der französischen Hauptstadt. Und wie Luzius Keller, der größte lebende deutschsprachige Proust-Philologe, es so markant formuliert hat: „Die Kapitale spielt in der Recherche eine kapitale Rolle.“ Zwar geht es in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ auch an die fiktiven Orte Combray und Balbec sowie nach Venedig, aber eigent­licher Schauplatz des Riesenromans bleibt Paris. Es wird erzählt vom Wandel, den diese Stadt im Handlungszeitraum von etwa 1870 bis 1922, also während Prousts Lebensspanne, erlebte – gesellschaftlich, kulturell, architektonisch. Ein gefundenes Fressen für das Carnavalet und dessen reiche Bestände zur Lokalgeschichte.

Zudem beherbergt das Museum die ultimative Pariser Pilgerstätte für ­Proustianer: das anhand von Teilen des Originalmobiliars rekonstruierte Schlaf- und somit auch Sterbezimmer – und Arbeitszimmer, denn Proust pflegte im Bett zu schreiben. Nun steht dieses Bett bis April statt in der Dauerausstellung im Sonderausstellungsbereich, zusammen mit Prousts Chaiselongue, seinem Wintermantel, einem Spazierstock und dem einzigen erhaltenen Bruchstück jener Korkverkleidung, mit der sich der Schriftsteller gegen akustische Belästigungen der Außenwelt abgeschottet hatte. Und als das Museum im vergangenen Jahr seinen Proust-Raum neu gestaltete, erhielt es noch ein weiteres Überbleibsel der verlorenen Zeit als Geschenk: ein Fragment der blauseidenen Überdecke aus Prousts Schlafzimmer. Es dürfte wenige andere Schriftsteller geben, deren noch kleinste Lebensschnipsel eine ähnliche Reliquienwirkung zeitigen. Für sein Publikum gilt eben nicht, was er 1919 im Vorwort zu einem Buch seines Malerfreundes Jacques-Émile Blanche als dessen (und auch die eigenen) Faszinosa beschrieb: „alles, was aus der sichtbaren Welt ins Unsichtbare ausgewandert ist, alles, was in Erinnerung umgewandelt, unserem Denken eine Art Mehrwert verleiht“. Wir Leser schätzen dagegen durchaus auch das, was von Proust gegenständlich ge­blieben ist.

Was vom Autor übrigblieb

Davon ist geradezu unverschämt viel in der Ausstellung versammelt: eine dem Toten abgeschnittene Haarsträhne (es gibt etliche davon auf der Welt, und wenn sie alle so üppiges Volumen hätten wie diese, wäre Proust kahl beerdigt worden), Notizbücher, seine Taschenuhr, Widmungsexemplare, Briefe, Fotos, Visitenkarten, natürlich auch Blanches ikonisches Porträtgemälde von Proust aus dem Jahr 1892, das für die Dauer der Ausstellung aus dem Musée d’Orsay auf die andere Seine-Seite gewechselt ist, im Sammelsurium der Schau aber eher wie abgeschoben wirkt. Es ist zu viel in der eng ge­bauten Raumflucht versammelt, auch zu viel Besuch für die meist kleinformatigen Objekte und die Bildschirme, auf denen stadtatmosphärische Ausschnitte aus Proust-Verfilmungen laufen, was aber durch die undurchdringlichen Menschentrauben davor eher akustische Leitthemata schafft als eine Visualisierung des Schauplatzes der „Recherche“. Eine dieser Videostationen zeigt allerdings jenen erst 2017 aufgetauchten 76 Sekunden langen Film von der Hochzeit einer Tochter der mit Proust gut bekannten Greffulhe-Familie im Jahr 1904, auf dem man glaubte, den Schriftsteller in der Gästeschar identifiziert zu haben. Die Meldung vom ersten Bewegtbild Prousts ging damals um die Welt (F.A.Z. vom 17. Februar 2017), wird jetzt aber vom Carnavalet als höchstwahrschein­liche Fehlinterpretation abgetan.

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