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Ihr Christus war eine Frau

Für Filme, die in vergangenen Welten spielen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt die Sache vollkommen ernst, oder man lässt jeden Ernst beiseite. Das gilt für Regisseure wie Zu­schau­er: Sie schließen ei­nen stillen Pakt, damit das Spiel funktioniert. Insofern hat das An­schau­en von Kostümfilmen etwas von ei­nem Glaubensakt. Man erlebt das Wunder der Zeitreise, oder man ge­nießt den Bluff. Schlimm wird es nur, wenn der Film ir­gend­wo dazwischen liegt, wenn er weder im Rekonstruieren noch im Bluffen konsequent ist. Dann sieht man weder das ganz andere der Vergangenheit noch eine spielerische Vorstellung davon. Stattdessen tritt man in einen Themenpark, der sich als Na­turkulisse tarnt. Auf den ersten Blick wirken die Dinge und Menschen darin echt. Bei näherem Hinsehen sind sie aus Plastik.

Der niederländische Regisseur Paul Verhoeven hat einen Film gedreht, der an das Leben der Nonne Benedetta Carlini angelehnt ist. Carlini lebte Anfang des siebzehnten Jahrhunderts in der Kleinstadt Pescia in der Nähe von Florenz. Die letzten fünfunddreißig Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Einzelhaft. Sie wurde verurteilt, weil die Kirchenoberen ihre Visionen, in denen sie von Christus Aufträge empfing, für Eingebungen des Teufels hielten. Die Un­ter­such­un­gen zogen sich über sechs Jahre hin. Am Ende gab die Aussage einer Mitschwester namens Bar­tolomea den Ausschlag, die be­rich­te­te, dass sich Be­nedetta nachts auf sie gelegt und sich an ihr befriedigt habe. Die Kleriker, für die lesbische Liebe nicht vorstellbar war, schrieben auch dieses Verhalten den Machenschaften der Hölle zu.

Verhoevens „Benedetta“ beginnt mit ei­ner Szene im Freien. Auf dem Weg ins Klo­s­­ter von Pescia wird der Konvoi mit der künftigen Novizin von einer Räuberbande überfallen. Benedetta, die vor einem Ma­ri­en­bild kniet, betet zur Madonna, sie möge Hilfe schicken. Ein Vogel fliegt vorbei und lässt seinen Kot auf einen der Räuber fallen. Sie verstehen den Wink und ziehen ab. Dann sieht man, wie Benedettas Eintritt in den Konvent ausgehandelt wird. Die Äb­tis­sin, die von Charlotte Rampling mit zerbrechlicher Würde gespielt wird, verlangt hundertfünfzig Goldscudi, der Vater des Mädchens will nur hundert zahlen. Er solle nicht wie ein Jude feilschen, herrscht ihn die Äbtissin an, und er gibt klein bei.

Die beiden Triumphe weiblicher Beharrlichkeit über männliche Dominanz sind ein dramaturgisches Versprechen. Der Film, so scheint es, will den Frauenkosmos des Klo­s­ters ganz neu erkunden. In den folgenden Szenen sieht man, wie eine Theorbe ge­spielt, wie Seidenfäden gesponnen werden und wie die Buchhaltung funktioniert. Ei­ne Marienstatue stürzt um und begräbt Be­ne­det­ta unter sich. Sie überlebt, aber von einem Wunder ist noch nicht die Rede. Doch dann, nach einem Zeitsprung, setzen Benedettas Visionen ein. Es ist der Mo­ment, in dem der Film von der Außen- in die Innenperspektive seiner Heldin kippt. Und es ist der Augenblick, in dem Paul Verhoeven macht, was er am besten kann: Actionkino. Giftschlangen kriechen an Be­ne­det­tas Körper empor, und Jesus schlägt ih­nen die Köpfe ab. Ein Ritter versucht, Benedetta zu vergewaltigen, aber Jesus tö­tet ihn. Es wirkt, als hätte Verhoeven diese Szenen aus einem anderen Film herauskopiert. Es ist deshalb auch der Augenblick, in dem der Film seine Heldin verrät.

Ein Jesus mit weiblichem Schamdreieck

Die Tragik von Benedetta Carlinis Ge­schich­te liegt darin, dass sie an ihre Traumgeschichte geglaubt hat. Verhoeven dagegen glaubt keine Sekunde lang daran, für ihn gibt es nur die Realität des Begehrens. Deshalb inszeniert er die Begegnung von Be­ne­det­ta (Virginie Efira) und Bar­tolomea (Daphné Patakia) von Anfang an als lesbische Lovestory und die Visionen als deren symbolische Verarbeitung. Der Höhepunkt dieser Überschreibung ist eine Er­schei­nung des Gekreuzigten, der Benedetta auffordert, sich auf ihn zu legen. Die Ka­me­ra fährt an seinem Körper herunter und er­blickt ein weibliches Schamdreieck.

In einem Film, der es ernst meint mit der Macht des Unbewussten, wäre diese Blasphemie ein bleibendes Bild. Hier verzischt es, denn Verhoeven interessiert sich nicht für die Gefühlswelt seiner Heldin, aus der es stammt. Auch die Liebe ist für ihn in erster Linie ein Vorgang, ein Akt, für den Ma­ri­en­sta­tu­et­ten in Dildos verwandelt und in Messbüchern versteckt werden, und als Be­ne­detta ihre Stigmata empfängt, legt er die Scherben, mit denen sie sich Hände und Füße durchbohrt hat, so deutlich aus wie ein Chirurg seine Instrumente. Diese ra­bi­ate Oberflächlichkeit ist ein Grundzug von Verhoevens Kino, aber in seinen besseren Filmen hat er Hauptdarstellerinnen gefunden, die seinem Voyeursblick die Intensität ihres Spiels entgegensetzten. Zuletzt, in „Elle“, war es Isabelle Huppert. Der Belgierin Virginie Efira, die wie eine zu spät ge­kom­me­ne Hitchcock-Blondine durch „Be­ne­detta“ läuft, fehlt dafür die Statur.

Das Herz dieses Films steht also schon still, bevor die Geschichte richtig in Gang kommt. Und es beginnt auch nicht zu schla­gen, als Verhoeven das volle Pro­gramm des Schwert-und-Kutten-Gen­res ab­spult: eine Nonne, die vom Kirchendach stürzt; die Pest, die mit einem korrupten Nuntius (Lambert Wilson) nach Pes­cia kommt; eine missglückte Hexenverbrennung, die in einen Volksaufstand mündet. Dabei hat Verhoeven vor fast vierzig Jahren schon einmal etwas ganz Ähnliches erzählt – nur nicht als saures Klosterdrama, sondern als bunten historischen Karneval. Damals ging es um einen Söldner im Italien der Renaissance, aber Mönche, He­xen, Blondinen und die Seuche waren ebenfalls mit von der Partie. Der Film hieß „Flesh and Blood“. Fleisch und Blut: Das ist alles, was „Benedetta“ fehlt.

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