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#Ihr seid so anders

Ihr seid so anders

Liebe Ossis,

am Anfang dachte ich, uns unterscheide nur das Geld. Ihr hattet diese Aluminiumchips, wir hatten schwere Münzen mit Eichenlaub. Ostmark und Westmark. Das war keine Leistung von uns und kein Versagen von euch. Euer Teil von Deutschland wurde vierzig Jahre lang von den Sozialisten heruntergewirtschaftet, unser Teil florierte unter dem Marshall-Plan. Das, dachte ich, ist der Unterschied. Wir hatten Glück, Ihr hattet Pech.

Justus Bender

Justus Bender

Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Frank Pergande

Frank Pergande

Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Aber je länger ich Euch kenne, je ähnlicher die Lebensverhältnisse in Ost und West werden, umso mehr Unterschiede fallen mir auf. Politisch habt Ihr eine andere Kultur. Ganz so als beginne das mentale Osteuropa nicht erst in Polen, sondern schon im thüringischen Wartburgkreis, dem westlichsten Punkt von Ostdeutschland.

Als die Mauer fiel, war ich acht Jahre alt. Meine Eltern sahen Günter Schabowski im Fernsehen herumstottern und konnten nicht glauben, was er sagte. In der Nacht fiel die Mauer. Und gleich am nächsten Tag fuhren wir von Frankfurt aus an den Grenzübergang Herleshausen. Je näher wir der Grenze kamen, umso mehr Trabis kamen uns entgegen. Es war ein kalter Tag, aber alle hatten die Autoscheiben unten, die Leute in den Klappertrabis, und wir Wessis im dicken Mercedes. Wir winkten und hupten und lachten, und die Leute in den Trabis winkten zurück und hupten und lachten auch, und ab und zu weinte einer. Kaum waren sie im Westen, hielten die Trabis am Straßenrand, und Leute rannten hinter Büsche. Sie hatten stundenlang im Stau gestanden, niemand hatte sich getraut, in der DDR am Straßenrand zu pinkeln. An diesem Tag war einfach alles rührend. Auch Leute hinter Büschen.

Einige Wessis schenkten Ossis Bananen

Es war ein großer Trubel in Herleshausen. Hessens Ministerpräsident Walter Wallmann kam mit dem Hubschrauber angeflogen. Einige Wessis schenkten Ossis Bananen; ich war mir nicht sicher, ob das nett oder spöttisch gemeint war. Und plötzlich war da der Mann mit den Blumen. Er war aus dem Osten über die Grenze gefahren und hatte ganz viele Usambaraveilchen mitgebracht. Er strahlte über das ganze Gesicht und schenkte jedem Wessi, den er sah, ein Usambaraveilchen. Auch mir. Ich habe das nie vergessen. Wie ich mit acht Jahren in Herleshausen im Getümmel stehe, mit einem Usambaraveilchen in der Hand.

Ein Trabi überquert am 13. November 1989 die Glienicker Brücke in Berlin


Ein Trabi überquert am 13. November 1989 die Glienicker Brücke in Berlin
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Bild: dpa

Später sah ich, wie Ihr gelebt habt. Wir fuhren im Winter nach Karl-Marx-Stadt, das heute Chemnitz heißt. Ein Nebel lag über der Stadt, alles roch fürchterlich nach den Abgasen der Zweitakter. Die Häuser waren grau und verfallen. An vielen waren die baufälligen Balkone abgeschlagen. Das war billiger gewesen, als sie zu reparieren. Als wir an einem besonders heruntergekommenen Haus vorbeikamen, sagte mein Vater zu mir, ich solle die Straßenseite wechseln. Er hatte Angst, dass Teile der Fassade auf mich stürzten. Es war wie in einem Entwicklungsland. Ich weiß, dass das für Ostdeutsche arrogant klingen könnte. So ist es aber nicht gemeint. Es war immer klar: Das sind unsere Leute, wir sind ein Volk, und denen geht’s dreckig. Als Kind wurde mir nie vermittelt, dass die Ostdeutschen weniger tüchtig seien als wir.

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