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#Im Grundriss der Geschichte

Im Grundriss der Geschichte

Der deutschsprachige Bücherherbst 2021 steht im Zeichen von vier Schriftstellerinnen. Höchst erfolgreichen, aber auch schreibskrupulösen, weshalb deren neue Werke nach jeweils langer Pause ungeduldig erwartet werden. In zehn Tagen erscheint Jenny Erpenbecks Roman „Kairos“; sechs Jahre sind seit dessen Vorgänger „Gehen Ging Gegangen“ vergangen. Zwei Wochen danach kommt „Am Menschen muss alles herrlich sein“ von Sasha Marianna Salzmann heraus, vier Jahre nach „Außer sich“, dem gefeierten Debütroman dieser Autorin. Und noch einmal einen Monat später folgt Julia Francks „Welten auseinander“, ein ganzes Jahrzehnt nach „Rücken an Rücken“. Den Auftakt aber zu dieser Sequenz langersehnter Bücher macht heute Eva Menasse mit „Dunkelblum“, ihrem dritten Roman. Acht Jahre liegt der zweite, „Quasikristalle“, mittlerweile zurück.

Es ist das einzige hochkomische Buch in diesem Quartett, doch zugleich ist es – dem Titel gemäß – eine tieffinstere Geschichte. Eine, die am Epocheneinschnitt von 1989 angesiedelt ist, und das auch noch an der ungarisch-österreichischen Grenze, die im damaligen Sommer zum Sehnsuchtsort wurde: Mit dem Zustrom von Flucht­willigen aus der DDR hierher und der zeitweisen Öffnung des Eisernen Vorhangs für sie begann der Kollaps des Ostblocks. Aber „Dunkelblum“ ist kein Wenderoman. Sein Thema reicht weiter zurück ins zwanzigste Jahrhundert.

„Jetzt ist schon wieder was passiert“

Vielen ist angesichts dessen unheimlich zumute in Dunkelblum, einer kleinen Grenzstadt im Burgenland, auch dem Bürgermeister Koreny: „Wahrscheinlich ist das nicht wichtig, aber die Tochter vom Malnitz, die jüngste, die goscherte, weißt eh, die fragt jetzt dauernd herum wegen irgendwelchen uralten Geschichten, die will ein Museum machen oder zumindest eine private Ausstellung auf dem Grundstück ihrer Mutter, in Ehrenfeld. Allerdings ist da gerade der Stadel abgebrannt . . . Unserer Frau Balaskó hat sie gesagt, sie sucht nach Dunkelblumer Kriegsverbrechern, stell dir das vor, Kriegsverbrecher, bei uns! Das Mädel ist Anfang zwanzig, früher haben sich die jungen Leute für was anderes interessiert, für Tanzen und Flirten . . .“ An diesem Zitat ist vieles charakteristisch für den ganzen Roman.

Eva Menasse: „Dunkelblum“. Roman.


Eva Menasse: „Dunkelblum“. Roman.
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Bild: Kiepenheuer & Witsch

Einmal die Mündlichkeit des Stils: „Dunkelblum“ ist ein Vielstimmengebilde, ein rundes Dutzend Haupt- und etliche Nebenfiguren kommen in Worten und Gedanken zur Sprache, und nicht selten klingt es, so wie hier, nach den „Brenner“-Kriminalromanen von Wolf Haas – natürlich schon der lokalbedingt zwingenden Austriazismen wegen, für deren Verständlichkeit beim bundesdeutschen Publikum ein siebenseitiges Glossar sorgt. Aber es gibt spät im Roman auch noch eine bewusst gesetzte Hommage an Haas, als dessen signature sentence „Jetzt ist schon wieder was passiert“ plötzlich in indirekter Rede aufblitzt. Eva Menasse stellt sich mit Tonfall und Tönung ihres Schreibens in eine lange spezifisch österreichisch schwarzironische Tradition von Kraus und Musil über Doderer und Lernet-Holenia bis hin zu Hans Lebert oder eben Haas, und den epischen Atem dieser Autoren hat sie auch. 524 Seiten beweisen es.

Grenzüberschreitend nicht nur im geographischen Sinne

Dann ist in der eben zitierten Passage der Gegensatz des Landsmannschaftlichen in Dunkelblum angesprochen. Das Burgenland kam erst nach dem Ersten Weltkrieg zu Österreich, vorher gehörte es zum ungarischen Reichsteil, und dorther stammen die Familiennamen Balaskó und Koreny. Malnitz dagegen ist slawischer Herkunft, und selbstverständlich hat es in Dunkelblum auch deutsche Namen: Rehberg etwa oder Reschen. Und Grün. Doch Antal Grün, der Greißler (Gemischtwarenhändler) des Ortes ist der einzige nach dem Krieg zurückgekehrte Jude. „Wir waren einundfünfzig, sagte Antal lächelnd und mit geschlossenen Augen, darunter ein achtzigjähriger Rabbi und mehrere Kinder. Und er erzählte dem Doktor Sterkowitz von seiner Nacht auf dem Wellenbrecher.“ Dieser Doktor praktiziert übrigen im Haus seines jüdischen Vorgängers.

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