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#Im Schatten der Türme

„Im Schatten der Türme“

Die Autobahn teilt ein Häusermeer. In den Gassen schimmern Leuchtreklamen. Und zu Füßen der Wolkenkratzer sind Straßengangs beheimatet, deren Mitglieder die Stadt tyrannisieren und in den Elendsquartieren ihre Geschäfte betreiben. Das ist nicht „Me­tropolis“, das ist Neo Tokyo – Japans Hauptstadt im Jahr 2019, wie sie sich Comiczeichner in den Achtzigerjahren vorstellten.

Dieses Comic-Tokio ist eine auf nu­klear verseuchten Trümmern gebaute Metropole, eine Projektionsfläche für gesellschaftliche Abgründe – ein dystopisches „Gotham City“, dem der Mangazeichner Katsuhiro Ōtomo mit der Comicreihe und dem Anime „Akira“ ein Denkmal gesetzt hat. Die Tchoban Foundation in Berlin zeigt nun erstmals die Architekturzeichnungen aus Ōtomos Manga und dem Trickfilm, die die Geschichte zweier Outlaws erzählen. Die brutalistische und skurrile Architektur der Stadt spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Erinnerung an Caspar David Friedrich

Zum Zeitpunkt seiner Entstehung im Jahr 1988 war „Akira“ der teuerste Anime aller Zeiten und markierte einen Höhepunkt in der Gestaltung realistischer Hintergrundmalereien. Die Verfilmung des Mangas war für den in den Neunzigerjahren einsetzenden internationalen Boom des japanischen Zeichentrickfilms verantwortlich. Die Schau zeigt 59 Produktionshintergründe, Layoutzeichnungen, Konzeptzeichnungen und Imageboards und führt in die Möglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten der architektonischen Gestaltung von Manga und Anime ein. Dabei wird nicht nur der Entwicklungsprozess eines Trickfilms in seinem Facettenreichtum gezeigt, sondern auch vorgestellt, welche Werke aus Architektur- und Kunstgeschichte die Mangazeichner zu ihren Werken inspirierten.

Ansichten aus der Großstadt, basierend auf dem Comic „Akira“ von Katsuhiro Otomo.


Ansichten aus der Großstadt, basierend auf dem Comic „Akira“ von Katsuhiro Otomo.
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Bild: ROOM/ AKIRA COMMITTEE

Da der größte Teil des Budgets für die Produktion eines Animationsfilms auf die Personalkosten entfällt, ist ausgefeilte Darstellung von Architektur eine besondere Herausforderung. Abgesehen von der ausgeklügelten Architekturgrafik, waren bei „Akira“ sowohl der Schnitt als auch die Animation anders als alles, was man bis dahin gesehen hatte. Denn der Film, einschließlich der Spezialeffekte, wurde ausschließlich auf Papier produziert. Für die architektonische Aus­gestaltung wurden Tausende Skizzen angefertigt, die die Betrachter in die surreale Stadtlandschaft eintauchen lassen.

Eine Zeichnung der Müllkippe, auf der Neo Tokyo errichtet ist, unterstreicht das: Trümmer ragen aus dem Moder heraus, im Hintergrund fällt ein Sonnenstrahl durch den schwarzen Himmel. Violett-weiß leuchten in einer weiteren Zeichnung die Wolkenkratzer im Hintergrund auf. Sie strahlen das Versprechen jeder großen Stadt aus: Freiheit und Anonymität. Im Vordergrund stehen die Gebäude der Vergangenheit: Art-déco-Häuser, stumme Zeugen der Zwanzigerjahre. Eine andere Zeichnung zeigt Brücken, die über die Straßenschluchten führen und Hochhäuser miteinander verbinden. Sie sind in Neongrün angestrahlt, dahinter erhebt sich ein geradezu babylonischer Turm. Rötlich schimmern hingegen die Straßen. Auf den Bürgersteigen liegen Abfall und Trümmer. Es gibt nur eine Zufahrt nach Neo Tokyo, und die Skizze, die sie zeigt, deutet eine Inspirationsquelle für den Manga-Hintergrund an: Zerfallene Türme stehen wie Monolithen und Eissplitter auf der Insel, die Straßen sind leer. Das erinnert an Caspar David Friedrichs „Eismeer“. Hinzu kommen Skizzen für Bahnhöfe, Tempel und Regierungsgebäude.

Erinnert an Gotham City: aus der Ausstellung, basierend auf dem Comic „Akira“.


Erinnert an Gotham City: aus der Ausstellung, basierend auf dem Comic „Akira“.
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Bild: ROOM/ AKIRA COMMITTEE

Ōtomos Stil ist stark von französischen Comiczeichnern wie Jean Giraud alias Moebius beeinflusst. Die sonst im Manga vorherrschende expressive Übertreibung von Mimik und Gestik ersetzte Ōtomo durch einen sachlichen Hyperrealismus. Charakteristisch ist die düster dargestellte urbane Zukunft, die genaue Darstellung von Maschinen und die ständig eskalierende Gewalt.

Dabei ist die Geschichte von „Akira“, die die Genres Horrorfilm und Science- Fiction miteinander verbindet, noch viel weitreichender. 1988 kam es demnach zu einer atomaren Explosion in Tokio, welche die ganze Stadt auslöschte und zum Ausbruch des dritten Weltkriegs führte. Dreißig Jahre später ist sie wiederaufgebaut. Die futuristische Metropole glänzt in Teilen mehr denn je, doch es gibt auch Armut, Banden und Gangs, die die Stadt tyrannisieren und sich ihr Stück vom Kuchen erkämpfen wollen. In den Straßen kommt es immer wieder zu Verbrechen, Unruhen und Bombenanschlägen.

Das Tokio unserer (Alb)Träume

Doch die Bücher sind nicht nur eine hoffnungslose und kulturpessimistische Zukunftsdystopie, sondern auch die intime Geschichte des Jugendlichen Shōtarō Kaneda, Anführer einer Motorradgang, und seines besten Freundes Tetsuo Shima. Durch eine Genmutation hat dieser übernatürliche Fähigkeiten, die erst vom Militär und dann von den verfeindeten Gangs entdeckt werden. Sie sorgen dafür, dass sich eine Robin-Hood-Geschichte entwickelt, eingebettet in die Architekturzeichnungen.

Großen Einfluss auf das Design von Neo Tokyo hatte die Arbeit des Architekten Kenzo Tange. Die Idee, neue Quartiere für die schnell wachsende Stadt auf einer Mülldeponie in der Bucht von Tokio zu errichten, stammt direkt aus dessen städtebaulichem Plan von 1961. Die steil aufragenden Wolkenkratzer, die im Hintergrund vieler Einstellungen aus Untersicht dargestellt werden, sind zudem von der Stadtgestaltung von Fritz Langs „Metropolis“ inspiriert. Das Tokio unserer (Alb)Träume, das zeigt die Tchoban-Schau, ist nirgendwo so schön, so voller Referenzen und gleichzeitig so unheimlich wie bei „Akira“.

Akira – Die Architektur von Neo Tokyo. In der Tchoban Foundation, Berlin; bis zum 4. September. Das Begleitbuch „Anime Architecture – Imagined Worlds and Endless Megacities“ von Stefan Riekeles (erschienen bei Thames & Hudson) kostet 37 Euro.

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