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#„Immer mehr junge Menschen finden Gewalt akzeptabel“

Frau Dix, welcher Fall des Jugendschutzteams in Berlin-Gropiusstadt hat Sie in den vergangenen Wochen am meisten beschäftigt?

Julia Schaaf

Redakteurin im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Hm, schwierig. Wir haben jede Woche Fälle, wo wir uns wirklich Sorgen machen und sagen, das geht ans Herz.

Erzählen Sie von einem.

Kürzlich hat uns eine Sozialarbeiterin ein Gewaltvideo geschickt, das benutzt wurde, um ein Mädchen zu bedrohen. Zwei Mädels hatten sich gestritten und gegenseitig beleidigt, und dann hat die eine dieses Video verschickt und gesagt: Wenn du nicht aufhörst, machen wir das mit dir. Das Video war das erste, was ich morgens gesehen habe: zwei Mädchen, die ein anderes zusammenschlagen, von beiden Seiten, mehrfach. Das dritte Mädchen liegt am Boden und wird gegen den Kopf getreten, von dem einen ins Gesicht, von dem anderen gegen den Hinterkopf, sodass der Kopf immer ganz extrem von der einen auf die andere Seite fliegt. Ich habe Gänsehaut bekommen.

Wo kommt so ein Video her?

Dazu ermitteln wir noch, mein Team ist, während wir hier reden, in dieser Schule. Solche Videos kursieren im Internet. Denkbar wäre aber auch, dass es selbst gedreht ist.

Was setzt Ihnen daran zu?

Dass zunehmend keine Hemmschwelle mehr vorhanden ist. Gewalt an Schulen gab es schon immer, das ist kein neues Phänomen. Aber als ich zur Schule ging, war Schluss, wenn jemand am Boden lag. Der hatte klar verloren und wurde in Ruhe gelassen. Heute scheint es dann erst richtig loszugehen. Und immer diese Gewalt gegen den Kopf, gegen den Hals. Es wird häufig gewürgt. Das kann ganz schnell schief­gehen.

Kürzlich ist ein 15-Jähriger aus ­Berlin nach einem Fußballspiel in Frankfurt gestorben, weil ihm ein Gegenspieler einen heftigen Schlag auf den Kopf verpasst hatte. Wissen Kinder und Jugendliche nicht, wie gefährlich so was ist, oder machen sie es genau deshalb?

Anja Dix, 44, ist Polizeihauptkommissarin und Präventionsbeauftragte im Abschnitt 48 in Berlin-Neukölln. Das Konzept für das Jugendschutzteam hat sie mitentwickelt.


Anja Dix, 44, ist Polizeihauptkommissarin und Präventionsbeauftragte im Abschnitt 48 in Berlin-Neukölln. Das Konzept für das Jugendschutzteam hat sie mitentwickelt.
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Bild: privat

Ich glaube nicht, dass ihnen bewusst ist, dass es tödlich enden kann, wenn sie jemandem ins Gesicht schlagen. Aber wie gesagt, die Hemmschwelle hat sich verschoben. Das gilt auch für alles, was gesagt oder geschrieben wird. Da ist keinerlei Empathie. Zumindest bei den tatverdächtigen Kindern ist es oft schwierig, Gefühle rauszukitzeln. Empathie würde ja bedeuten, sich einzufühlen, wie es dem anderen in einer Situation gegangen ist. Viele Kinder können jedoch gar nicht sagen, wie es ihnen selbst geht. Wie hast du dich gefühlt in der Situation? Antwort: Schlecht. Wie schlecht? Hattest du Angst? Warst du traurig? Warum hast du dich schlecht gefühlt? Da kommt oft nichts. Wie aber soll jemand Empathie entwickeln, der selbst nicht ausdrücken kann, wie es ihm geht?

In der öffentlichen Debatte heißt es oft, die Täter würden immer jünger und die Taten brutaler. Nehmen Sie das auch so wahr?

Ja, beides. Neulich hatten wir einen Zweitklässler, der einen anderen bis zur Atemnot gewürgt hatte. Was muss passieren, dass ein so kleines Kind, gefühlt gerade raus aus der Buddelkiste, einem anderen Kind die Luft abdrückt? Oder eine Situation aus der Jungenumkleide nach dem Sportunterricht: In dem Moment, wo sich einer den Pulli über den Kopf zieht und nichts sehen kann, sind sie zu viert auf ihn los und haben auf ihn eingeschlagen – völlig ohne Grund. Das war dann einfach lustig, die hatten Bock auf Gewalt.

Was ist da Ihre Aufgabe als Polizei?

Grundsätzlich zieht jede Strafanzeige polizeiliche Ermittlungen nach sich. Wir hier in Neukölln-Süd jedoch, und das ist in Berlin in dieser Personalstärke einmalig, legen den Fokus auf Kinder- und Jugendgewalt und haben zum Schuljahr 2021/22 ein fünfköpfiges Jugendschutzteam gegründet, das frei von anderen Aufgaben ist. Wenn eine Schule eine Gewalttat anzeigt, kann sie uns direkt auf dem Handy anrufen, und wir versuchen, so unmittelbar wie möglich mit dem tatverdächtigen Kind oder Jugendlichen, mit den Eltern und Vertretern der Schule ein normenverdeutlichendes Gespräch zu führen. Meistens klappt das innerhalb von zwei, drei Tagen.

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