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#In den Trümmern des Krieges

„In den Trümmern des Krieges“

Am 3. April stellte sich der Bürgermeister der von den Russen belagerten Großstadt Tschernihiw in seinem Arbeitszimmer vor eine Fernsehkamera. Wladyslaw Atroschenko wirkte genervt und sagte, er und seine Mitbürger hätten diese Fragen der Journalisten satt. „Denn unsere Stadt ist zu 70 Prozent zerstört. Die Menschen interessiert jetzt nicht mehr, wie viele Minen die Stadt getroffen haben, ob 20 oder 30. Die Journalisten fragen ständig: Wie oft wurde beschossen und mit welchen Auswirkungen? Die Auswirkungen sind sehr schlimm, wie in Butscha und in Charkiw auch und vielleicht wie in Mariupol. Die dringendste Frage der Einwohner von Tschernihiw ist die nach dem morgigen Tag.“

Gerhard Gnauck

Politischer Korrespondent für Polen, die Ukraine, Estland, Lettland und Litauen mit Sitz in Warschau.

Einige Tage zuvor hatte Atroschenko trotz einiger Verbindungsprobleme zu Kommunalpolitikern in anderen Teilen Europas sprechen können. Der Europarat hatte eine Videokonferenz für ukrainische Kommunen und ihre Partnerstädte organisiert – für Tschernihiw ist es Memmingen. Atroschenko beschrieb, dass russische Kampfflugzeuge immer wieder bei Tage und in niedriger Höhe die Stadt überflogen und Bomben abwarfen. „Die Piloten können die Schilder an den Geschäften und die Aufschriften auf den Häusern lesen. Sie schmeißen Bomben auf Wohnhäuser.“ Das sei kein Kampf Armee gegen Armee, „hier richtet sich das Feuer auf die Zivilbevölkerung“. Ein „Genozid“ sei das. „Aber wir werden hier nicht weggehen. Wir werden bleiben und mit allem, was wir können, die Soldaten unterstützen. Und ich bin sicher, wir werden siegen.“

Riesige Krater im Boden

Inzwischen hat der morgige Tag, die Zukunft, für Tschernihiw tatsächlich begonnen. Mit dem 3. April endete der russische Beschuss. An jenem Tag wusste der Bürgermeister selbst noch nicht so recht, was er von der plötzlichen Stille in der Stadt halten sollte – und von wie vielen Häusern nur ein Haufen Steine, Scherben und Beton geblieben war. Moskauer Politiker hatten jedenfalls verkündet, die „Aktivität“ ihrer Armee im Norden der Ukraine werde „reduziert“. Es geschah noch mehr: Die Russen zogen ab, die Tschernihiw einen Monat lang fast umzingelt und Tag für Tag beschossen hatten. Was ist von dieser schönen Stadt geblieben? Ist sie nur noch ein Haufen Schutt und Asche?

Überreste der Kämpfe: ein zerstörter Panzer in Tschernihiw


Überreste der Kämpfe: ein zerstörter Panzer in Tschernihiw
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Bild: Yulia Serdyukova

Ein Besuch in Tschernihiw zeigt: Die prächtigen Kirchen im Zentrum und auch das „Kollegium“, eine der ersten Bildungsstätten der Region, stehen noch und sind fast unbeschädigt. Aber der Innenstadtbereich hat Treffer abbekommen. In das „Hotel Ukraina“ haben offenbar Fliegerbomben durch viele Zimmer hindurch ein riesiges Loch geschlagen. Nicht weit davon, bei einem prächtigen Kinogebäude von 1939, in dem sich zuletzt das Bezirksjugendzentrum befand, stehen nur noch Außenmauern und Säulen. Eine russische Rakete hat das Herz des Gebäudes getroffen; im größten Saal klafft im Boden jetzt ein riesiger Krater. In den Räumen drum herum fegen Frauen gerade Schutt und Staub zusammen, junge Leute schleppen verkohlte Balken hinaus. DVDs und Bücher liegen herum; wo noch eine Decke vorhanden ist, tropft Regenwasser hindurch. Auf einer Plakatwand ist zu lesen, dass zur Weihnachtszeit Tschaikowskys „Nussknacker“ im Filmprogramm war. So schnell wird hier keine Musik mehr ertönen, weder russische noch andere.

Wer die Stadt weiter durchstreift, entdeckt im Boden weitere kleine Krater oder ausgebrannte Apartments in Wohnblocks. Der öffentliche Nahverkehr ruht; ein großer Teil der Flotte ist zerstört, bei vielen Bussen sind die Scheiben kaputt oder der Tank durchlöchert. Treibstoff ist rationiert und natürlich viel teurer als vor dem Krieg. Daher fahren viele in der Stadt jetzt Fahrrad.

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