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#In der Krise Sicherheit gefunden

In der Krise Sicherheit gefunden

Irgendwann hatte sie keine Lust mehr, Tomatensaft über den Wolken zu servieren. Juliane Fehst hat ihren Job als Flugbegleitern gekündigt und sich als Pflegeschülerin am Bürgerhospital beworben. Ihre Ausbildung hat sie, genau wie Marcel Klein, im Frühjahr begonnen. Zu einem Zeitpunkt, als die ersten Corona-Fälle in Deutschland bekanntwurden. Beide haben erste Praxiserfahrungen gesammelt, als im Gesundheitswesen über fehlende Schutzausrüstung geklagt und für das Krankenhauspersonal abends applaudiert wurde. Anerkennung auf der einen, der stressige Arbeitsalltag auf der anderen Seite.

Marie Lisa Kehler

Marie Lisa Kehler

Stellvertretende Ressortleiterin des Regionalteils der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Juliane Fehst und Marcel Klein erleben in ihrem ersten Ausbildungsjahr den Ausnahmezustand. „Weil wir nichts anderes kennen, ist das unsere Normalität“, sagt die Sechsundzwanzigjährige. Gemeinsam mit den anderen Auszubildenden ihres Jahrgangs hat sie sich bewusst für einen Beruf entschieden, der zwar durch die Corona-Krise mehr denn je als „systemrelevant“ anerkannt wurde, dessen Image aber angekratzt ist: Schichtdienst, eine hohe physische und psychische Belastung, schlechte Bezahlung. Nur um drei der gängigsten Vorurteile zu nennen.

Wieso lassen sich junge Menschen trotzdem auf die dreijährige Ausbildung zum Pflegefachmann oder zur Pflegefachfrau ein? Marcel Klein hat diese Frage schon oft beantworten müssen. Vier Jahre habe er geholfen, seine Uroma zu pflegen, erzählt er dann. Irgendwann habe er sich vorstellen können, etwas Ähnliches auch beruflich zu machen. Nur einen anderen Schwerpunkt hat er gewählt. Er will auf der Kinderstation arbeiten, wird deshalb, genau wie Fehst, primär im Clementine Kinderhospital eingesetzt. Als Mann mit Lederjacke und radikalem Kurzhaarschnitt ist er mehr als einmal in Rechtfertigungszwang geraten. Ein echter Kerl geht doch nicht in die Pflege. Und dann auch noch auf die Kinderstation.

Zu groß die Angst vor einer Ansteckung

Doch, tut er. Und zwar aus Überzeugung. Nach einem Pflegepraktikum habe er im Februar seine Bewerbung abgeschickt. „Zwei Tage später saß ich im Unterricht.“ Seither hat sich sein Leben verändert. Früh- und Spätdienste in der Praxiszeit, die Unterrichtsblöcke finden wegen Corona überwiegend digital statt. Manches wirke in diesem besonderen Ausbildungsjahr etwas improvisiert, sagt er. Seine Freundin sieht er, wenn er gerade wieder im Krankenhaus arbeitet, selten. Sie gehört einer Risikogruppe an. Wenn Klein durch die Arbeit viele Kontakte zu Patienten hat, trifft sich das Paar nur draußen. Zu groß sei die Angst seiner Partnerin vor einer möglichen Ansteckung, sagt er. Dabei sei er als Auszubildender nicht in den Corona-Zimmern eingeteilt.

Die Online-Flatrate: F+


Dass die Arbeit im Krankenhaus seit dem Ausbruch der Pandemie auch Auswirkungen auf das Privatleben hat, berichten dieser Tage viele Pflegekräfte. Aber auch, dass ihre Arbeit eine Aufwertung erfahren habe. Besonders nach den Tarifverhandlungen und der Einigung Ende Oktober in Potsdam. Wolfgang Heyl, Geschäftsführer des Bürgerhospitals, hat als Verhandlungsführer der Krankenhäuser die Gespräche begleitet. Dass nicht die Intensivbetten, sondern die Pflegekräfte aktuell darüber entscheiden, wie Deutschland durch die Corona-Krise kommt, sei das Resultat von Versäumnissen in der Vergangenheit, sagt er. Das Berufsbild habe im Ansehen gelitten. Dabei, sagt Heyl, seien die Konditionen nicht so schlecht, wie oft dargestellt.

Wer sich weiterqualifiziere, könne durch Zuschläge, Sonderzahlungen und den Schichtdienst ein gutes Gehalt verdienen. Rund 3450 Euro erhalte beispielsweise ein Pfleger mit sieben Jahren Berufserfahrung vom 1. April 2021 an. „Eine Pflegekraft in Wechselschicht hat 39 Tage Urlaub“, fügt er hinzu. Damit gut ausgebildete Fachkräfte im Beruf bleiben und junge nachkommen, müsse es gelingen, Anreize zu schaffen. Für Umschuler, etwa Menschen, die durch die Corona-Krise ihren Job verloren hätten, berge das Gesundheitswesen zudem enorme Chancen.

Länderübergreifende Lösung nötig

Aber Heyl sieht auch, dass Geld allein das Image des Berufs nicht aufpolieren kann. Es müsse sich auch strukturell etwas ändern. So hält er die sogenannte Pflegepersonaluntergrenze für sinnvoll. Diese schreibt eine Mindestanzahl an Pflegekräften vor, die die Krankenhäuser in den jeweiligen Bereichen vorhalten müssen. In der Corona-Pandemie wurde dieser Schlüssel kurzzeitig für einige stationäre Bereiche, darunter die Intensivstationen, ausgesetzt. Krankenhäusern wurde ermöglicht, mit dem vorhandenen Personal mehr Patienten versorgen zu können. Im Sommer, als sich die Lage wieder entspannt habe, sei man wieder zu den geltenden Standards zurückgekehrt.

Da aber die Zahl der Neuinfektionen wieder steigt, können laut Heyl viele Krankenhäuser Patienten schon bald nicht mehr aufnehmen, ohne gegen die Pflegepersonaluntergrenze zu verstoßen und damit Strafzahlungen zu riskieren. Heyl fordert, abermals das Thema auf die bundespolitische Agenda zu setzen. „Wir bekommen die Situation nicht gestemmt, wenn die Untergrenze nicht ausgesetzt wird.“ Dafür ist seiner Ansicht nach keine länderübergreifende Lösung erforderlich. Vielmehr müsse flexibel auf das lokale Ausbruchsgeschehen reagiert werden. Gleichzeitig sei es wichtig, zu signalisieren, dass es sich beim Aussetzen der Untergrenze um eine zeitlich begrenzte Ausnahme handele. „Die Pflegekräfte sind genauso wichtig wie die Ärzte“, sagt Heyl.

Juliane Fehst würde solche Aussagen gerne öfter hören. Besonders, weil sie von ihrem Umfeld immer wieder gespiegelt bekommt, dass der Beruf zwar ehrenwert, aber doch nicht ausreichend sei. Sie solle lieber Medizin studieren, wurde ihr geraten. Fehst hat andere Pläne. Sie will ihre Ausbildung beenden und sich innerhalb des Berufsfelds weiterbilden. Darüber, dass sie nach ihrer Ausbildung ohne Arbeitsvertrag dastehen könnte, macht sie sich keine Sorgen. Die Übernahmechancen sind gut. Die ehemalige Flugbegleiterin lässt ihren Blick schweifen. Am Himmel ist kein Flugzeug zu sehen. „Ich habe gerade noch den Absprung geschafft.“

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