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#In jedem Glamourgirl steckt die Wolfsnatur

„In jedem Glamourgirl steckt die Wolfsnatur“

Da die Nibelungenfestspiele von Worms nach zwei Jahren pandemiebedingter Einschränkungen wieder mit voller Tribünenbesetzung stattfinden konnten, hob die Landesmutter von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, die im traditionell festlich geschmückten Heylspark das Premierenpublikum begrüßte, die Bedeutung des Ereignisses hervor. Das eigentlich für 2020 geplante, nun endlich uraufgeführte Drama von Ferdinand Schmalz, „Hildensaga“, das dem Nibelungenstoff eine feministische Wendung gibt, sei inzwischen nur aktueller geworden, so Dreyer. Indem Schmalz die Geschichte von Eroberung, Verrat und Treue aus der Sicht der Protagonistinnen Brünhild und Kriemhild erzählt, falle ein weiblicher Blick auf die Machtspiele der Männer, die ganze Weltgegenden in Schutt und Asche legten, so die charismatische Ministerpräsidentin, die insbesondere an den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine er­innerte. Dazu komme die Erfahrung der Flutkatastrophe im Ahrtal vor einem Jahr, deren Betroffene sie am Vortag besucht habe. Das verleiht der Wasserwelt, in die der Regisseur Roger Vontobel die Nibelungensage verlegt, eine existenzielle Dimension.

Der Ausstatter Palle Steen Christensen hat über die gesamte Breite der Freilichtbühne vor dem Wormser Dom ein bald Island, bald den Rhein evozierendes Wasserbecken errichtet, durch das die Figuren hindurchwaten, worin sie auf- und abtauchen, das aber auch immer wieder zur Kampfzone wird. Links und rechts führen Treppen in die Herrschaftssphäre des Göttervaters beziehungsweise des Burgunderkönigs empor, Livekameras verdoppeln und vergrößern das Geschehen auf zwei Vertikalbildschirmen.

Die anfangs heile weibliche Natur wird von der Wotantochter Brünhild verkörpert, die Genija Rykova als tauchgewandte Wonder Woman gibt, welche als willensstarke Isländerkönigin den Drachentöter Siegfried nur gleichberechtigt lieben will, dadurch aber ihren Erzeuger in Rage bringt. Werner Wölbern, als sarkastischer Götterpatriarch ein tragender Schauspieler des Abends, besteht auf ihren dynastischen Pflichten und legt sich dabei gleich auch mit den fürs Schicksal zuständigen Nornen an – Sonja Beißwanger, Lia von Blarer, Susanne-Marie Wrage verkörpern sie als tätowierte Punkerinnen –, die mit elektronisch verzerrtem Sprechgesang und polyphonen Vokalisen kommentierend durchs Geschehen geistern.

Poollandschaft mit Luftmatratzen

Franz Pätzold, der dem dekadenten König Gunter eine queere Note verpasst, ist ein weiterer Publikumsliebling. Wie er mit voller Tauchermontur im rosa geblümtem Anzug (Kostüme: Ellen Hofmann) vor Island landet, erst in Panik umkehren will, um sich dann mit hochstaplerischer Arroganz als Inkarnation von Macht und Ordnung wichtig zu machen, das ruft bei den 1400 Zuschauern immer wieder Gelächter hervor. Felix Rech gibt einen fast schüchtern melancholischen Siegfried, der Brünhild für Gunter erbeutet, um dessen Schwester Kriemhild zu freien, die Gina Haller im goldenen Seidenkleidchen zunächst als elitäres Glamourgirl verkörpert.

Für den Wormser Hof wird die Szene zur Poollandschaft mit Badesteg und Luftmatratzen, wo die Doppelhochzeit in der Kathedrale per Video zu verfolgen ist. Da Gunter zum Amüsement seines Bruders Gernot (den Nicolas-Frederick Djuren zum jovialen Genussmenschen macht) seine Ehe nicht vollziehen kann, ist wieder Siegfrieds vergewaltigender Beistand erforderlich – woraufhin Pätzolds Gunter im rosa Bademantel und im vollen Einklang mit sich und der Welt aus dem Schlafgemach herabtänzelt.

Repressive Männerordnung

Kriemhild und Brünhild, die ungleichen Heldinnen, sind als Schicksalsschwestern angelegt. Kriemhild behält ihren Grimm auf die repressive Männerordnung zunächst für sich und kultiviert ein Dasein im Schein, weil ihr, wie sie von hoher Bühnenzinne herab verrät, geweissagt wurde, ihre Liebe würde zerrissen werden wie ein Falke von zwei Adlern. Der Schrei eines Falken, der dann in Gunters erfolgreicher Hochzeitsnacht ertönt, kündet zugleich vom tiefen Trauma der abermals gedemütigten Brünhild.

Anstatt sich einen Zickenstreit darüber zu liefern, wer von beiden königlicher ist, solidarisieren sich die beiden Frauen als Opfer einer Männerordnung, die sie zum Verschwinden bringt. Und beschließen, die männerbündlerische Nibelungentreue gegen das patriarchale Establishment arbeiten zu lassen.

Also verlangt Brünhild von Hagen (den Heiko Raulin undämonisch als nüchternen Machtpragmatiker verkörpert), den Geheimnisverräter Siegfried zu töten, doch Kriemhilds Forderung, Blutrache am Mörder ihres Mannes zu üben, stößt auf taube Ohren. Im Finalteil versetzen schwarze Baumsilhouetten auf der Domfassade in ein Waldesdickicht, wo per Computeranimation Zauberpflanzen wuchern (Videodesign: Clemens Walter) und das Antlitz der mythischen Riesin Angrboda mit den Zügen von Mario Adorf von der Wolfsnatur des Menschen orakelt. In fransigen Ghillie-Tarnparkas robben die Burgunder durch rabenschwarze Sümpfe, wo etliche einen grausigen Theatertod sterben.

Rächende Frauen bringen nicht weniger Unheil als gewalttätige Männer, ist die wenig tröstliche Botschaft. Blutunterlaufene Videoporträts der Heldinnen veranschaulichen, wie der Mensch zur Bestie wird. Schade nur, dass der Personenregie im Finalteil die Ideen ausgehen. Langer Jubel im Stehen für eine großartige Ge­samtleistung.

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