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In Ruhe ziehen lassen

Franz Otto Thiele schimpft auf das Regenwetter. „Schlecht für die Ernte“, sagt er, „früher war das nicht so.“ Das Wetter in Emden ist an diesem Winternachmittag eigentlich ganz schön – kalt, aber sonnig. Doch das meint Thiele nicht. Er redet von den Regenwolken im Brahmaputra-Flusstal in Nordindien. Denn von dort kommt sein Tee – aus Assam, dem größten zusammenhängenden Teeanbaugebiet der Welt. Eine große Karte der Region hängt in seinem „Labor“, in der er die Proben der neuen Ernte verkostet. Thiele ist Chef von „Thiele Tee“, dem letzten traditionellen Familienunternehmen im Teetrinkerland Ostfriesland. Der 63-Jährige ist Chefeinkäufer, Tea Taster und Marketingleiter in Personalunion. Bis zu 35 verschiedene Teesorten, die meisten davon kräftig malzige Assam-Tees, bilden seine ganz spezielle „Echt Ostfriesische Teemischung“ – etwas kräftiger und würziger als die von „Bünting Tee“, seinem großen Konkurrenten aus Leer. Beide zusammen beliefern einen sehr speziellen Markt. Über dreihundert Liter Tee nimmt der Durchschnittsostfriese im Laufe eines Jahres zu sich, elfmal so viel wie der Durchschnittsdeutsche. Mehr als die Engländer, als Russen, Türken oder Chinesen: Laut deutschem Teeverband sind die Ostfriesen Weltmeister im Teekonsum. Das Getränk begleitet den ganzen Tagesablauf, wird zum Frühstück, zum „Elführtje“ um elf Uhr vormittags, zur Nachmittags-Tee-Tied und gerne auch abends getrunken. 

Wenn Reisende in Ostfriesland alle naslang auf eine Teestube stoßen oder zur „Tee-Tied“ eingeladen werden, handelt es sich dabei um weit mehr als Folk­lore für Touristen. „Wenn meine Nachbarn bei mir vorbeischauen, setze ich erst mal einen Tee auf“, erzählt Sandra Maaßen, die Betreiberin der Teestube „Tüdelpott“ in Carolinensiel. „Unsere Häuser hier haben fast alle eine Hintertür, die immer offen ist. Die Nachbarn kommen oft einfach rein, ohne sich vorher groß anzukündigen.“ Maaßen ist aus Köln zugezogen und eine durchaus gesellige Natur – aber an das unangemeldete Auftauchen von Nachbarn in den eigenen Räumlichkeiten musste sie sich erst mal gewöhnen. „Dass die Ostfriesen Eigenbrötler sind, ist Quatsch. Am Anfang vielleicht ein bisschen zurückhaltend. Aber sonst immer für einen Schnack zu haben.“ Maaßen verbrachte die Urlaube ihrer Kindheit zumeist in Carolinensiel –  am Strand, an der Hafenmole, wo sie  Krebse fing. 

Die „Ostfriesische Teezeremonie“

So nah an der Küste sieht der Winter in diesen Tagen anders aus als noch in Emden: Beißend kalter Nebel hängt über den Marschen und Deichen, die Sonne ist oft nur ein bleicher Lichtball hinter dicken, grauen Schleiern, das Schnattern der ziehenden Wildgänse dringt  aus dem Off ans Ohr. Doch die trübe Stimmung hat ihren Reiz, erzeugt ihre ganz eigene Besinnlichkeit, auch im Freien: Man kann lange Deichspaziergänge machen, zu Sielstädten wie Ditzum oder Carolinensiel, ertüchtigende Märsche durchs Schlickwatt bis hinüber auf die Insel Spiekeroog – und natürlich Boßeln, das durchaus sportliche Weitwerfen spezieller Kugeln entlang der Straßen. 

Doch was auch immer man so treibt in seiner ostfriesischen Winterfrische: Davor und danach gibt es meistens Tee. Und das nicht einfach nebenbei, sondern als Abfolge sehr spezifischer Handgriffe, die zusammen die „Ostfriesische Teezeremonie“ ergeben. 

Wulkjes –  auf die richtigen Sahnewolken kommt es an.


Wulkjes – auf die richtigen Sahnewolken kommt es an.
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Bild: Olaf Tarmas

Am besten lässt sich das Ritual anhand der mit ihm verbundenen Geräusche und Gerätschaften erzählen: Es beginnt zumeist mit einem kräftigen „Klonk!“. So schwungvoll wird mancherorts der Kluntje – (hochdeutsch: Würfel-Kandis) vom Kluntjeknieper (der Kandiszange) in den Koppke (die Tasse) – fallen gelassen, dass man fast um das  Porzellan fürchtet. Denn klein und zart ist die Tasse gebaut, und sowohl in dieser Zartheit als auch im malvenrot hingehauchten klassischen Dekor der „Ostfriesischen Rose“ erahnt man noch den chinesischen Ursprung. Alsdann nimmt die Hausfrau und Herrin über Zucker und Sahne den Treckpott (die Kanne, wörtlich: Zieh-Topf) vom Stövchen und gießt den Tee über den Kluntje in die Tasse. „Knister!“ macht es, wenn sich feine Risse im Kluntje bilden –  ein Geräusch, das nicht fehlen darf, denn sonst ist der Tee zu kalt. Das Tässchen wird nur zu zwei Dritteln gefüllt, die Kluntje-Spitze soll noch aus dem dunklen Meer des Tees ragen –  „gerade so, dass eine Fliege darauf landen kann, ohne nasse Füße zu bekommen“. Aber an diese Feinheit halten sich längst nicht alle. Denn es folgt Eingießen der Sahne, und das kommt einem ostfriesischen Staatsakt gleich. Mitnichten wird die flüssige Sahne direkt aus dem Kännchen in die Tasse befördert – das gälte als roh. Vielmehr macht sie Zwischenstation im „Rohmlepel“ –  einer kleinen Sahnekelle, die meist schon am Kännchen hängt. Am besten aus Silber, versteht sich, wie auch der Knieper und manchmal sogar Stövchen und Kanne. „Bankrottpott“ wird der Treckpott auch genannt –  so viel ließen und lassen sich manche Familien dieses Statussymbol kosten. In der guten Ausführung ist die Silberkelle mit einer kleinen Tülle versehen. Damit gießt die sahneführende Person – in der Regel die Gastgeberin –  die cremige Flüssigkeit entgegen dem Uhrzeigersinn am Tassenrand entlang. So wird für die Dauer der Teezeremonie praktischerweise die Zeit angehalten. 

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