Indonesien: Inselhopping trifft auf Glaubensvielfalt

Inhaltsverzeichnis
Indonesische Religionsvielfalt
Alle sind erleuchtet
Von PIA VOLK
8. April 2025 · Indonesien hat nicht nur über 17.000 Inseln, sondern auch sechs verschiedene Religionen. Eine Reise entlang der Inselkette, zwischen beseelter Natur und bedeutsamen Tempeln.
Islam auf Borneo
„Wir glauben an all das“, sagt Ozi und blickt um sich, sieht Nasenaffen im Sonnenuntergang, ihr Fell so orange wie der Himmel, sieht einen Orang-Utan im Baum kleben wie ein verlorener Fußball, hört die Grillen, das Rascheln des Windes in der Uferböschung und riecht den Fluss, das Herbe, Erdige. Mit „all das“ meint er die beseelte Natur im Tanjung-Puting-Nationalpark auf Borneo. Ozi heißt mit vollständigem Namen Muhammad Zainur Rosi, er ist Muslim in dem Land, das für sich beansprucht, die größte muslimische Bevölkerung der Welt zu haben: Indonesien.
Organisierte Rundreisen durch den Inselstaat vereinen oft Orang-Utans, Vulkane, Tempel, Strände und Warane, aber was die wenigsten wissen: Wer eine Reise entlang der Inselkette – überwiegend mit dem Flugzeug – von Java nach Flores unternimmt, macht nicht nur Inselhopping, sondern auch Religionshopping. Eine Religionszugehörigkeit ist verpflichtend für Indonesier, sie ist eines der fünf Prinzipien der Staatsphilosophie Pancasila, die im Vorwort der Verfassung festgeschrieben wurde. Neben dem Glauben an einen Gott gehören dazu auch die Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit und die Einheit Indonesiens. Rund 88 Prozent der Bewohner gehören dem Islam an.
„Bei meinen Eltern stellen wir jeden Donnerstag Wasser und Blumen vor die Haustür für die Geister.“
AFNI PRAWESTI
Mit Ozi auf dem Boot sitzt Afni Prawesti, auch Indonesierin und Tourguide, sie stammt aus Java. „Bei meinen Eltern stellen wir jeden Donnerstag Wasser und Blumen vor die Haustür für die Geister“, erzählt sie. „Wir geben den Seelen der Toten zu essen und feiern Feste zu Ehren des Gottes des Vulkans und des Meeres.“ Vulkan und Meer sind die beiden Kräfte, die das Leben auf den Inseln seit jeher geprägt haben, Flutwellen, Lavaströme, Aschewolken. „Aber auf dem Ausweis muss man aus sechs Religionen wählen, man kann muslimisch, hinduistisch, katholisch, evangelisch, buddhistisch oder konfuzianisch sein. Aber ich kenne fast niemanden, der nur an einen Gott glaubt.“ Auch bei ihr steht Islam im Ausweis.
Buddhismus auf Java
Zwei Tage später steht sie mit ihrer Reisegruppe vor der Moschee von Semarang auf ihrer Heimatinsel, sie war noch nie hier. Die Gäste hatten sie überredet, den Zwischenstopp einzulegen. Die Moschee sieht aus wie ein Weltraumbahnhof. Im Halbkreis aneinandergereihte Torbögen in Violett und Gold rahmen den Vorplatz ein. Auf ihm ragen vier weiße Stelen in den Himmel, sie sind abgerundet, sehen aus wie freundliche Raketen in einem Kinderzeichentrickfilm. Dahinter steht das Gebäude, das wie ein einheimisches längliches Haus gebaut ist, nur dass es eine Kuppel trägt. Besucher müssen die Schuhe ausziehen, aber es herrscht keine Kopftuchpflicht, und Männer und Frauen dürfen sich überall bewegen. Aus dem Versammlungshaus neben der Gebetshalle plärrt Hardrockmusik der 1990er, eine Hochzeit wird vorbereitet. Afni amüsiert sich darüber: „Wir sind eher pragmatische Muslime.“ Und Moscheen nehmen hier allerlei Formen an. Zheng-Ho-Moscheen sind nach einem chinesischen Admiral aus dem 15. Jahrhundert benannt, der im Pazifischen und Indischen Ozean kreuzte. Sie erinnern an konfuzianische Tempel in Grün-Rot, mit schlichter, strenger Architektur. Eine der ältesten Moscheen ist die im Stadtteil Kotagede in Yogyakarta, die, abgesehen von den arabischen Schriftzeichen, aussieht wie ein buddhistisch-hinduistischer Tempel mit all den zuckerbäckerartigen Verzierungen.
„Wir sind eher pragmatische Muslime.“
AFNI PRAWESTI
Das liegt vielleicht auch daran, dass, als der Islam im 15. Jahrhundert mit den arabischen Händlern über die Hafenstädte in das heutige Indonesien kam, Buddhismus und Hinduismus längst etabliert waren. Bereits 1000 Jahre zuvor waren Priester, die eine Vorform des Hinduismus lehrten, auf Borneo, wie die Inschriften auf sieben heiligen Steinstelen belegen. Zwei Jahrhunderte danach wurde die Stadt Palembang im Süden Sumatras das Zentrum des buddhistischen Reichs Srivijaya. Von hier aus wurde sechshundert Jahre lang der Seeweg zwischen China und Indien kontrolliert. Borobudur auf Java, die größte buddhistische Tempelanlage der Welt und UNESCO-Weltkulturerbe, wurde um 800 gebaut. Zur gleichen Zeit entstand fünfzig Kilometer entfernt die hinduistische Tempelanlage Prambanan. Beide sind monumental, nur auf unterschiedliche Weise. Borobudur besteht aus Terrassen, die eine Pyramide bilden. Wenn man spiralförmig die Terrasse nach oben gehen würde, könnte man alle 1460 Reliefe betrachten, die das Leben Buddhas und seine Lehre darstellen. 504 Statuen schmücken den Tempel, dessen Symmetrie eine große Ruhe ausstrahlt. Prambanan dagegen ist agiler mit seinem halben Dutzend Türmen mit filigranen Verzierungen. Die Türme sind Schreine der unterschiedlichen Götter, Vishnu, Brahma, Shiva. Einige sind heute leer. Alles strebt hoch nach oben, hat ungestüme Kraft.
Nur konnte sich weder die eine noch die andere Religion halten. 1006 brach der Vulkan Merapi aus und begrub ganz Java unter seiner Asche. Es wird erzählt, dass die Buddhisten in den Westen Javas flohen und weiter ins Reich der Srivijaya. Die Hindus flohen in den Osten und von dort nach Bali. Und dort blieben sie und bauten ihre Tempel. Ein Ausbruch suggeriert einen plötzlichen Einschnitt, aber Vulkanforscher weisen darauf hin, dass Eruptionen nicht immer explosiv und dramatisch sind, sondern sich Lavaströme langsam ausbreiten, der Aschestaub über Monate in der Luft hängt und die Wanderungen der Menschen und die dadurch ausgelösten gesellschaftlichen Umbrüche sich eher über Jahrzehnte gezogen haben dürften.
Hinduismus auf Bali
Die ersten Tempel wurden in Bali schon mindestens hundert Jahre zuvor gebaut. Niemand weiß, wie viele es heute auf der Insel gibt. Weil jede Familie, jedes Dorf, jede Arbeitsstelle seinen eigenen Tempel errichtet, schätzt man die Zahl auf mehrere Zehntausend. Sie stehen zwischen Wohnhäusern, Hunde streunen dazwischen, und Makaken klettern auf ihnen herum. Die meisten sehen nie einen Touristen. Andere, wie Lempuyang Luhur an den Hängen des gleichnamigen Bergs, dafür viel zu viele. Sein Tor zum Himmel wird so oft fotografiert, dass man mit der Eintrittskarte eine Wartelisten-Nummer zum Fotografieren bekommt. Das Tor zum Himmel ist nur einer von sieben Tempeln der Anlage. Je höher man steigt, desto einsamer wird es, nach dem vierten Tempel trifft man niemanden mehr, oft ist der Lempuyang in Wolken gehüllt, die Tempel und Wald mystisch erscheinen lassen, das Treppensteigen wird zur Meditation, einen Fuß vor den anderen setzen, bis man 1700 Stufen näher am Himmel ist. Fünf bis zehn Touristen schaffen es bis nach oben, sagt der Security Guide am Tempel Nummer sechs, während eine Prozession Einheimischer an ihm vorbeizieht, der jüngste kann gerade so laufen, die älteste gerade noch. Kichernd tragen sie ihre leeren Körbe, stützen sich, diskutieren, posieren für Fotos. Zwei bis drei Stunden dauert es, alle sieben Tempel abzulaufen, ungefähr so lange muss man warten, um sich vor dem Tor des Himmels fotografieren zu lassen.
„Es ist eine Beerdigungszeremonie. Sie können trotzdem hineingehen und die Fledermäuse ansehen.“
Lempuyang Luhur ist einer der neun heiligen Tempeln Balis, acht davon zeigen Himmelsrichtungen an, der neunte bildet die Mitte. Ein anderer dieser Tempel ist Goa Lawah, eine vom Meer nur durch eine Straße getrennte Höhle, in der Fledermäuse, Altäre und Statuen gleichermaßen Platz finden. „Kommen Sie, kommen Sie“, flüstert ein Mann leise. Der Innenhof vor der Höhle ist voller Menschen, alle in Weiß gekleidet, mit gelben Bauchbinden. Sie sitzen in allen möglichen und unmöglichen Posen auf dem Steinboden. Die Frauen haben Blumen im Haar, die Männer weiße Binden um den Kopf. Sie reden lebhaft miteinander, lachen, tippen auf ihren Handys herum. „Es ist eine Beerdigungszeremonie“, erklärt der Mann. „Sie können trotzdem hineingehen und die Fledermäuse ansehen.“ Er ist dafür zuständig, dass Einheimische und Besucher den Tempel nebeneinander nutzen können. Auf einer Empore neben der Höhle steht ein Mann, vor sich Räucherstäbchen, Klangschalen, Kokosnussschalen. „Das ist unser Priester. Er braucht nicht so viel Aufmerksamkeit wie eurer“, sagt er. Einige Frauen steigen zu ihm hinauf, nehmen die Gegenstände entgegen und beginnen, sich Punkte auf die Stirn zu malen. Draußen versinkt die Sonne im Meer.
Christentum auf Flores
Über das Meer kamen sie alle: die ersten Bewohner der Inseln, die Menschen aus Indien mit ihrem Hinduismus und Buddhismus, die muslimischen Händler aus dem Nahen Osten und auch die Portugiesen im 16. Jahrhundert. Auch sie hatten ihre Religion im Schlepptau, als sie Indonesien für kurze Zeit zu ihren Kolonialgebieten zählten. Nur fand das Christentum damals auf Java kaum Anhänger. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts versuchten Prediger erneut, die Lehren des Christentums zu verbreiten. Allerdings erlaubte ihnen die nun holländische Kolonialregierung in den dicht besiedelten islamischen Gebieten keine Missionsarbeit, und so zogen sie weiter, auf abgelegenere, östlichere Inseln.
Auf einer von ihnen, auf Flores, steht heute Bonaventura Ongur in einem großen Gebäude, es ähnelt einer Turnhalle, nur hängt hinter ihm ein von LEDs umrahmter Jesus an der Wand, und vor ihm stehen Bänke aus dunklem Holz aufgereiht hintereinander. Die Sonne ist gerade untergegangen, aber es ist noch immer schwül und heiß. Chorale Gesänge ziehen durch die Nacht, sie sind so klar, dass man meinen könnte, sie kämen vom Band. Drinnen probt ein Chor für den kommenden Sonntag. „Jeden Sonntag übernimmt ein anderer Stadtteil die Organisation der Messe“, erklärt Ongur. Im vergangenen Jahr wurde die Katholische Kirche St. Petrus eingeweiht. Ongur lebt in Labuan Bajo, von wo aus die Boote nach Komodo mit seinen Waranen ablegen. Der Islam hat es nie geschafft, hier Fuß zu fassen. „Es gab einige muslimische Händler vom Stamm der Bajo drüben auf Sulawesi“, erzählt Ongur, „sie segelten zu uns, deshalb heißt der Ort auch Labuan Bajo, aber weiter sind sie nicht gekommen.“ Wohl aber die Missionare, und Ongurs Vater half ihnen. „Er begleitete Willem van Bekkum zu den Dörfern in den Bergen.“
Zu einem von ihnen kann man heute noch wandern. Der Weg führt mit dem Auto von Labuan Bajo aus durch weite, leere Reisfelder, hinauf auf die Hochebene, durch kleine Dörfer. Die niedrigen Häuser liegen verstreut entlang der Straße, Hunde dösen unter weit ausladenden Mangobäumen, und zwischen den Häusern sieht man Gräber: geflieste längliche Erhebungen mit einem ebenfalls gefliesten Grabstein, der manchmal ein Bild von Jesus aufgemalt hat, und einem Kreuz darauf. Die Toten wurde hier seit jeher zu Hause begraben, und so ist es auch geblieben. Die Alten wollen deshalb nicht umziehen, denn was sollten sie mit ihnen machen?
Es geht über baufällige Brücken und Pisten, an denen irgendwie gebaut wurde, an dessen Rand Kinder zur Schule laufen, kurz sieht man das Meer, dann fährt man Richtung Landesinneres, einen Berghang hinauf, bis der Weg zu unwegsam für Autos wird, man steigt um auf Motorräder, bis auch sie nicht weiterkommen, und so läuft man zwei Stunden weiter bergauf, durch dichten Wald mit Farnen, so groß wie ein Doppelbett, bis man hinaustritt, in die Sonne, die zerfurchte, aber üppig grüne Berglandschaft breitet sich vor einem aus, und nach einigen weiteren Ecken und unsortierten Gärten sieht man die ersten Wellblechhütten und dahinter die sechs traditionellen Hütten von Wae Rebo. Sie bestehen nur aus einem mehrere Meter hohen kegelförmigen Dach aus Pflanzenfasern. Vor ihnen breiten Frauen und Männer Kaffee zum Trocknen auf geflochtenen Matten aus. Die Hütten wurden rekonstruiert, sie sind eine Art lebendiges Freilichtmuseum, Touristen können hier übernachten.
Vor dem Dorf ist der Friedhof, eine Ansammlung von gefliesten Gräbern, Grabsteinen und Holzkreuzen. Im Dorf zeigt der Guide zuerst eine der Hütten. Hier sind die Vorräte und die Aussaat für das kommende Jahr verwahrt, die Notreserven für Dürrejahre und unter dem Dach die Opfergaben für die Vorfahren. Auf dem Boden sitzen eine Frau und zwei Männer in einer Reihe, einer spricht englisch, ein zweiter in der lokalen Sprache Manggarai. Es ist eine Willkommenszeremonie, die Ahnen heißen die Besucher willkommen. Es bleibt unklar, ob es die gleichen sind, die oben auf dem christlichen Friedhof liegen, oder jene, die man unter dem Dach versorgt.
Eine Reise, die auf die vier Inseln Borneo, Java, Bali und Komodo führt, bietet Diamir an. Die 17 Tage im Doppelzimmer kosten 4140 Euro inklusive Flug. Wer ein Einzelzimmer möchte, zahlt 470 Euro Zuschlag. Mehr unter www.diamir.de.
Drei Nächte werden auf Booten verbraucht. Auf Borneo ist es alternativ möglich, in einer Lodge zu schlafen, für 120 Euro pro Nacht. Die Wanderung nach Wae Rebo auf Flores kann man über lokale Anbieter oder online dazubuchen. Kostenpunkt als Kleingruppe rund 150 Euro pro Person.
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