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#Interview: Entwicklungsministerin Schulze: „Sie hatten die Geräusche der Bomben im Kopf“

„Interview: Entwicklungsministerin Schulze: „Sie hatten die Geräusche der Bomben im Kopf““



Entwicklungsministerin Svenja Schulze erzählt von ihrer Begegnung mit Kindern, die aus der Ukraine fliehen mussten, und fordert viel mehr Hilfe – nicht nur für das kriegsgeschüttelte Land.

Frau Schulze, bedeutet der Ukraine-Krieg auch für die Entwicklungszusammenarbeit eine Zeitenwende?

Svenja Schulze: Ja, denn die Welt sortiert sich gerade neu. Wer hätte mit einem solchen Krieg auf dem europäischen Kontinent gerechnet? Die Folgen betreffen die ganze Weltgemeinschaft. Wir erleben verschiedene heftige Krisen, die sich überlagern und gegenseitig verstärken. Corona, der Klimawandel, das hat bereits gewaltige Folgen für unsere Lebensgrundlagen, in allen Bereichen, von der Ernährung über die Gesundheit bis hin zur Bildung. Jetzt kommt der Krieg in der Kornkammer Ukraine noch dazu. Das fordert uns in der Entwicklungszusammenarbeit natürlich sehr. Mit Kriegsfolgen umzugehen ist etwas, das wir aus weiter entfernten Ländern kennen. Jetzt trifft es uns direkt in unserer Nachbarschaft.

Was tut Deutschland aktuell, um den Menschen in der Ukraine zu helfen?

Schulze: Wir haben langjährige Partnerschaften mit der Ukraine, doch die Projekte können natürlich wegen des Kriegs nicht wie geplant weiterlaufen. Wir haben deshalb viele Mittel aus laufenden Programmen kurzfristig neu ausgerichtet, sodass sie für die akuten Bedarfe bereitstehen. Allein im Entwicklungsministerium sind das bislang rund 45 Millionen Euro. Weitere Hilfen sind in Arbeit. Es geht jetzt darum, zu helfen, wo es am dringendsten gebraucht wird. Menschen, die durch russische Bombenangriffe obdachlos geworden sind, brauchen ein Dach über dem Kopf. Die Kommunen brauchen Strom und Wasser. Die Feuerwehr braucht zusätzliche Ausrüstung. Wir haben zum Beispiel enge Kontakte zum ukrainischen Katastrophenschutz und schon Löschgeräte und Ausrüstung für einige Millionen Euro in das Land geschickt.

Sie haben kürzlich eine Einrichtung für Geflüchtete an der ukrainisch-rumänischen Grenze besucht. Wie ist die Lage dort?

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Schulze: Es war einerseits bedrückend. Es kommen in erster Linie Frauen und kleine Kinder, die Männer dürfen ja nicht raus. Ich war in einem Zelt mit vielen kleinen Kindern und es war ganz leise. Normalerweise ist es nicht leise, wenn viele Kinder gemeinsam in einem Zelt sind. Aber diese Kinder hatten noch die Geräusche der Bomben im Kopf. Andererseits war es herzerwärmend zu spüren, wie groß die Hilfsbereitschaft und der Zusammenhalt sind über Grenzen weg. Europa steht hier zusammen.

Länder wie die Republik Moldau, die selbst zu den ärmsten Staaten Europas zählen, nehmen viele Flüchtlinge auf. Brauchen sie mehr Unterstützung?

Schulze: Die Republik Moldau, Polen, Rumänien und die anderen Nachbarn brauchen jetzt die Hilfe der gesamten Europäischen Union, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Deutschland unterstützt bereits bei der Weiterreise der Geflüchteten, denn es ist völlig klar, dass die Nachbarländer der Ukraine nicht Millionen Menschen alleine aufnehmen können. Jetzt kommt es darauf an, ein schnelles gemeinsames Vorgehen in der EU, aber auch über die EU hinaus zu vereinbaren.

Zur Zeitenwende, die der Kanzler verkündet hat, zählen vor allem deutlich höhere Verteidigungsausgaben. Das dürfte bedeuten, dass andere Ressorts mit weniger Geld auskommen müssen. Fürchten Sie um Ihren Etat?

Schulze: Das Gute an dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ist, dass es die anderen Haushaltsposten nicht belastet. Wir haben einen umfassenden Sicherheitsbegriff, zu dem die gesamte menschliche Sicherheit von der Ernährung und der Energieversorgung über die Gesundheit bis zu einem stabilen Klima gehört. Wenn man sich die Folgen dieses schrecklichen Kriegs vor Augen führt, kann es gar nicht beim jetzigen Entwicklungsetat bleiben. Damit bin ich noch nicht zufrieden und das ist auch nur ein Zwischenstand, da sind wir uns in der Regierung einig.

Es sind vor allem die Frauen und Kinder, die seit Kriegsbeginn ihre Heimat, die Ukraine, verlassen. Die Männer versuchen, das Land gegen den russischen Angriff zu verteidigen. Hier eine Szene vom Bahnhof im polnischen Przemysl. In Polen kommen derzeit die meisten Flüchtlinge an.

Foto: Victoria Jones, dpa

Wie viel muss Finanzminister Christian Lindner Ihrer Meinung nach draufpacken?

Schulze: Ich bin zuversichtlich, dass im geplanten Ergänzungshaushalt mehr Geld bereitgestellt wird. Denn die Herausforderungen werden nicht kleiner, sondern größer. Allein das Beispiel Welternährung: Russland und die Ukraine bedienen zusammen 30 Prozent der Weizen- und 20 Prozent der Maisexporte. Das ist etwa für den Norden Afrikas, Tunesien, Ägypten, den Libanon, eine gewaltige Herausforderung. Das Welternährungsprogramm hat bislang die Hälfte seiner Weizen-Lieferungen aus der Ukraine bezogen. Die Welt läuft auf neue Hungersnöte zu. Mit steigenden Preisen drohen auch wieder Brotaufstände, wie vor elf Jahren im arabischen Raum und damit eine neue Welle der Instabilität. Entwicklungspolitik muss hier dringend gegensteuern.

Aber selbst wenn noch was obendrauf kommt – allein in der Ukraine und den Nachbarstaaten wird viel gebraucht. Müssen Sie anderswo kürzen?

Schulze: Wir schauen auch in Normalzeiten, wie gut unsere Hilfe ankommt, ob wir etwa mit der jeweiligen Regierung weiterarbeiten können oder besser Nichtregierungsorganisationen unterstützen. Aber gerade jetzt sehen wir, dass es vielen, vielen Ländern massiv schlechter geht und wir und die anderen Industrieländer stärker helfen müssen. Es ist jetzt leider nicht die Zeit, wo man kürzen kann.

Zahlt Deutschland eigentlich noch Entwicklungshilfe an China?

Schulze: Nein, es gibt schon seit 2010 keine bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mehr mit China –also keine regelmäßigen Haushaltszusagen für Projekte. Wir arbeiten aber natürlich mit China zusammen, um globale Herausforderungen wie Klima- oder Naturschutz gemeinsam anzugehen. Dafür werden auch noch Kredite für Vorhaben in China vergeben, aber keine Steuergelder.

In Afrika und anderen Teilen der weniger entwickelten Welt versuchen Russland und vor allem China, aggressiv ihren Einfluss auszubauen – etwa mit großen Infrastrukturprojekten, Häfen oder Bahnstrecken. Kann Deutschland mit seiner Entwicklungshilfe da überhaupt gegensteuern?

Schulze: Das ist ein Bereich, in dem Deutschland zusammen mit der Europäischen Union besser werden kann und muss. Ich finde, wir sollten offensiv Infrastruktur-Angebote machen und tun das auch bereits – orientiert an unseren gemeinsam vereinbarten Werten, den globalen Nachhaltigkeitszielen. Nicht gegen China, sondern als eigenständige europäische Initiativen, auch zusammen mit Partnern aus der Wirtschaft. So bauen wir mit Biontech gerade eine Impfstoffproduktion in Ruanda, Ghana und Senegal auf. Das ist der richtige Weg.

Im Energiesektor ist die Abhängigkeit von Russland gewaltig. Das liegt auch an Leuten aus Ihrer Partei, allen voran Altkanzler Gerhard Schröder, der mit Wladimir Putin herzlich befreundet ist. Muss die SPD Ihre Haltung zu Russland aufarbeiten?

Schulze: Die SPD hat sehr klare Positionen zu diesem Angriffskrieg, der Putins Krieg ist. Wir verfolgen das klare Ziel, unabhängig zu werden von russischen fossilen Energieträgern. Natürlich ist Deutschland derzeit noch zu abhängig von russischer Energie. Aber wer das alleine der SPD in die Schuhe schieben will, muss schon weite Teile der jüngeren deutschen Geschichte ausblenden, Helmut Kohl oder Angela Merkel zum Beispiel. Zur Wahrheit gehört auch, dass die SPD zusammen mit den Grünen vor 20 Jahren mit dem EEG die Grundlagen für den Aufstieg der erneuerbaren Energien gelegt hat. Ohne diese Vorarbeit hätten wir heute gar keine Alternative zu Kohle, Öl und Gas. Es ist falsch, die Rolle der SPD auf Gerhard Schröder zu beschränken, der in der Partei keine Rolle mehr spielt. Es tut mir in der Seele weh, was Gerhard Schröder macht, aber das ist seine Entscheidung.

Gas, das überwiegend aus Russland kommt, sollte aber auch beim klimafreundlichen Umbau der Industrie eine wichtige Rolle spielen, bis genügend grüner Wasserstoff vorhanden ist. Ist das jetzt noch der richtige Weg?

Schulze: Was Wirtschaftsminister Robert Habeck macht, ist genau richtig. Wir müssen daran arbeiten, jetzt Alternativen zu schaffen, Flüssiggas und perspektivisch auch Wasserstoff. Nur geht das alles nicht von heute auf morgen.

Sehen Sie im Energiesektor auch Chancen für Kooperation mit Ländern, die weniger entwickelt sind?

Schulze: Wir unterstützen Entwicklungsländer beim Ausbau erneuerbarer Energien. Dabei geht es zunächst einmal darum, dass sie ihren eigenen Energieverbrauch decken können. Aus der Kohle auszusteigen und Energie lokal produzieren zu können, ist gerade für ärmere Länder eine große Chance: Erneuerbare Energien sind Entwicklungsenergien, sie ermöglichen eine sichere, bezahlbare und unabhängige Energieversorgung. Außerdem schafft der Ausbau neuer Technologien neue Jobs. Im zweiten Schritt kann es dann auch um Energie für den Export gehen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es etwa für die Herstellung von grünem Wasserstoff neben Sonne auch Wasser braucht. Die sonnenreichen Regionen sind aber nicht die, die Wasser im Überfluss haben. Da müsste dann zuerst Meerwasser entsalzt werden. Auch der Transport ist komplex. Aber daran, solche Strukturen zu schaffen, arbeiten wir als Bundesregierung.

Stichwort Bundesregierung – wie hat sich die Ampel eingespielt?

Schulze: In der alten Bundesregierung war das Verhältnis zwischen Unions- und SPD-geführten Ministerien ja, vorsichtig gesagt, von Konkurrenz und Eifersüchteleien bestimmt, zugegebenermaßen war das auf beiden Seiten so. Jetzt läuft das komplett anders. Unsere Kooperation etwa mit dem Auswärtigen Amt, mit den Ressorts Umwelt, Gesundheit, Landwirtschaft und anderen war schon in den ersten 100 Tagen sehr, sehr eng. Wir tauschen uns aus und stärken uns gegenseitig in unseren Anstrengungen. Die Krisen sind so groß, dass es gar nicht anders gehen kann.

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