Nachrichten

#Italien streitet über Freilassung von Mafia-Bossen

Italien streitet über Freilassung von Mafia-Bossen

Giovanni Brusca, zu lebenslanger Haft verurteilter Pate der sizilianischen Cosa Nostra, sagte bei einem Interview im Januar 2016 im Gefängnis von Rebibbia im Osten Roms folgende Sätze: „Nach meiner Verhaftung habe ich am eigenen Leib den Unterschied zwischen meiner Unmenschlichkeit und der Menschlichkeit der Vertreter des Staates erfahren. Ich dachte, sie würden mich umbringen. Aber stattdessen haben sie mir erlaubt, meinen Sohn zu sehen. Ich habe eine Lektion in Moral gelernt, die ich nie vergessen werde.“ Und dann fuhr Brusca in dem Gespräch mit dem französischen Dokumentarfilmer Mosco Levi Boucault fort: „Ich bitte die Familien aller Opfer, denen ich so großen Schmerz und so großes Leid zugefügt habe, um Verzeihung.“

Matthias Rüb

Politischer Korrespondent für Italien, den Vatikan, Albanien und Malta mit Sitz in Rom.

Am 31. Mai wurde Giovanni Brusca aus dem Gefängnis entlassen, nach 25 Jahren Haft. Weil er nach seiner Verhaftung vom Mai 1996 mit den Strafverfolgern kooperiert und als Kronzeuge viele seiner früheren Komplizen ans Messer geliefert hatte, kam Brusca vorzeitig frei. Einen freien Mann wird man den 64 Jahre alten einstigen Mafia-Boss aber nicht nennen können. Für vier Jahre muss Brusca strenge Auflagen der Gerichte befolgen. Im Zeugenschutzprogramm des italienischen Staates, ausgestattet mit neuer Identität und verändertem Aussehen, dürfte die Angst vor Rache ein ständiger Begleiter Bruscas in dessen Leben an einem geheimen Aufenthaltsort sein.

Befehl, Leiche in Salzsäure aufzulösen

Unter den zahlreichen Bluttaten Bruscas war jene vom 23. Mai 1992 die wohl spektakulärste: Mit einer ferngezündeten 500-Kilogramm-Bombe, verborgen in einem Abwasserkanal unter der Autobahn nahe Capaci bei Palermo, sprengte Brusca den Konvoi des Mafia-Richters Giovanni Falcone in die Luft. Neben Falcone starben dessen Ehefrau Francesca Morvillo sowie drei Leibwächter.

In Auftrag gegeben hatte das Attentat Totò Riina, der „Boss der Bosse“ der sizilianischen Mafia. Riina, der von seinem Versteck in Palermo aus einen Krieg gegen den italienischen Staat angezettelt hatte, ließ im Juli 1992 auch noch Paolo Borsellino ermorden, den Richterkollegen und Jugendfreund Falcones. Im Januar 1993 wurde Riina in Palermo verhaftet und in verschiedenen Prozessen zu 13 Mal lebenslanger Haft verurteilt. Im November 2017 starb Riina, nach 24 Jahren Haft, im Alter von 87 Jahren im Gefängniskrankenhaus von Palermo.

F.A.Z. Frühdenker – Der Newsletter für Deutschland

Werktags um 6.30 Uhr

ANMELDEN

Die Aussagen des Kronzeugen Brusca, der einstigen „rechten Hand“ Riinas, spielten in den Verfahren gegen den „Boss der Bosse“ sowie gegen weitere sizilianische Clan-Bosse eine Schlüsselrolle. Brusca hat gegenüber den Strafverfolgern zugegeben, persönlich etwa 150 Menschen umgebracht zu haben. „Anfangs war das Töten lästig, später wurde es zum Alltagsgeschäft“, gab er in dem Gespräch mit Mosco Levi Boucault zu Protokoll. Brusca gab auch die Entführung des Sohnes eines rivalisierenden Cosa-Nostra-Bosses in Auftrag, der nach seiner Verhaftung mit den Ermittlern kooperiert hatte. Brusca befahl, den damals 14 Jahre alten Giuseppe Di Matteo nach zwei Jahren Geiselhaft schließlich zu strangulieren und die Leiche des Jungen in Salzsäure aufzulösen.

Nach der vorzeitigen Entlassung Bruscas, der nach seiner Verhaftung selbst zum „pentito“, zum Reumütigen, geworden war, zeigten sich Hinterbliebene der Opfer des einstigen Mafia-Bosses bestürzt. Andererseits konzedierte Falcones Schwester Maria aber auch, dass ihr Bruder selbst jene einschlägigen Gesetze mitgestaltet habe, auf deren Grundlage Brusca nun freigekommen sei. Die verschärften Anti-Mafia-Gesetze von 1990 und 1992 sehen eine lebenslange Haft ohne Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung für schwere Straftaten im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität vor. Komplementär zu dieser Abschreckung bietet der Staat den „Reumütigen“ den Erlass eines Teils der Strafe.

Mit Kronzeugen das Innenleben der Mafia ausleuchten

Zwar haben der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Oberste Gericht Italiens 2019 den Ausschluss einer vorzeitigen Entlassung als Verstoß gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention beziehungsweise als verfassungswidrig gebrandmarkt und für nichtig erklärt. Doch in der italienischen Rechtspraxis hat sich das Vorgehen nach dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche als überaus wirksam im Kampf gegen die Mafia erwiesen.

Gian Carlo Caselli, ehedem Oberstaatsanwalt von Palermo und Turin, beschreibt den Erfolg der einst von Falcone mit auf den Weg gebrachten Gesetze wie folgt: „Die Mafia ist eine Festung. Ohne Kronzeugen schaffen wir es nicht, sie zu schleifen. Mit der Hilfe der Reumütigen können wir die Mauern einreißen und die dunkelsten Ecken der Festung ausleuchten.“ Auch Senator Pietro Grasso, früher Untersuchungsrichter in Palermo, hebt den Nutzen für den Staat im Kasus Brusca hervor: Dessen vorzeitige Freilassung sende an Mafiabosse das Signal, dass es sich lohne, zum „pentiti“ zu werden und mit dem Staat zu kooperieren.

Der Kampf des italienischen Staates gegen die Mafia ist freilich auch nach dreißig Jahren Kronzeugenpraxis noch lange nicht vorüber. So blutig wie in den achtziger und neunziger Jahren, als während der Kämpfe verfeindeter Clans untereinander sowie im Krieg der Cosa Nostra gegen den Staat Tausende Menschen getötet wurden, geht es heute längst nicht mehr zu. Doch die Macht der Mafia, zumal der kalabrischen ’Ndrangheta, ist in den vergangenen Jahren eher noch gewachsen. Zu spektakulären Bluttaten kommt es eher selten, denn ostentative Gewaltanwendung gehört nicht mehr zum „Geschäftsmodell“ der neuen Mafia. Im Januar hat in Lamezia Terme ein Mammutprozess gegen mehr als 300 mutmaßliche Mitglieder der als besonders brutal berüchtigten kalabrischen Mafia begonnen. Die Strafverfolger hoffen, dass ihnen die Kronzeugenregelung beim Verfahren gegen die ’Ndrangheta ebenso gute Dienste leistet wie früher bei den Prozessen gegen die sizilianische Cosa Nostra.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!