Nachrichten

#Während er tötet, singt er

Während er tötet, singt er

Spike Lee trug einen Anzug in Rosa und eine rosarote Brille unter dem schwarzen Hut, als er die Treppen zum Auditorium Lumière in Cannes hinaufstieg. Von dort oben grüßte, riesenhaft vergrößert, sein fünfunddreißig Jahre jüngeres Abbild zu ihm herab, denn das Plakatmotiv des diesjährigen Festivals stammt aus Lees „She’s Gotta Have It“, dem Film, mit dem er berühmt und zum größten schwarzen Regisseur seiner Generation wurde. Drinnen im Saal bekam dann Jodie Foster die Ehren-Palme für ihr Lebenswerk, und die in perfektem Französisch gehaltene Rede, mit der sie sich bedankte, war ebenfalls rosarot. Das Kino, sagte sie, werde ewig leben, weil die Menschen nie aufhörten, sich nach Rührung und Überwältigung zu sehnen, und nach der Pandemie werde es auch mit den neuen Herausforderungen der digitalen Medienwelt fertigwerden.

Der Film, der anschließend als Eröffnungsbeitrag lief, schien ihre Worte zu bestätigen. „Annette“, die neue Regiearbeit des Franzosen Leos Carax, erzählt von einem Künstlerpaar, das durch die Arbeit getrennt und durch die Liebe verbunden ist: Er, ein Stand-up-Comedian der skurrilen Art, bringt seine Zuschauer zum Lachen, indem er seine Misanthropie und seinen Selbsthass genüsslich vor ihnen ausbreitet; sie, eine gefeierte Operndiva, stirbt allabendlich auf der Bühne den Tragödinnentod. Die Kluft zwischen den beiden wird noch dadurch betont, dass die Sängerin Ann von Marion Cotillard und der Comedian Henry von dem zwei Köpfe größeren Adam Driver gespielt wird. Doch sie vergöttern einander, und abends nach der Vorstellung erzählen sie sich von ihren Erfolgen. „Ich habe sie getötet“, sagt Henry über sein Publikum. „Und ich habe sie erlöst“, antwortet Ann.

Gefühle in Liedform

Aber dann kommt ein Kind zur Welt, und der Film nimmt eine Wendung ins Dunkle und Bodenlose. Es beginnt damit, dass der Moment, in dem Henry die Nabelschnur durchtrennt, wie ein Bild aus einem Gruselfilm aufgenommen ist. Dann verdichten sich die Anzeichen, dass der Entertainer sein labiles inneres Gleichgewicht verloren hat. Henrys Karriere kippt, seine Wut- und Gewaltanfälle nehmen zu. Schließlich stößt er bei einer Bootsfahrt während eines nächtlichen Sturms seine Ehefrau über Bord. Später tötet er einen Dirigenten, mit dem Ann vor ihrer Beziehung zu ihm liiert war, weil er ihn für den möglichen Vater des Kindes hält. Und während er all dies tut, singt er, statt zu reden.

Denn „Annette“ ist ein Musical, oder besser: ein Musikfilm, in dem Gefühle in Liedform vorgetragen werden. Die Musik stammt von den Sparks, einer Band, die in den Achtzigerjahren populär war und heute nur Kennern ein Begriff ist. Das muss kein Nachteil sein, aber es gereicht dem Film auch nicht zum Vorteil. Die Lovesongs und Interludien, die die Sparks für „Annette“ komponiert haben, klingen wie irgendein Soundtrack aus der Lloyd-Webber-Schule. Nicht nur deshalb fällt der Film hinter den Standard zurück, den Baz Luhrmann und zuletzt Damien Chazelle („La-La-Land“) in diesem Genre gesetzt haben.

Die hohle Rhetorik der Spezialeffekte

In vierzig Jahren hat Leos Carax nur sechs Spielfilme gedreht, und wenn man „Annette“ sieht, ahnt man wieso. Denn diese Geschichte ist derart mit Bezügen, Hommagen, Verweisen und Zitaten überladen, dass sie regelmäßig über ihre eigene Klugheit stolpert. Die Ikone dieser Überfrachtung ist das Kind, das Ann zur Welt bringt und dem der Film seinen Titel verdankt. Carax macht Annette zur Gliederpuppe mit Holzgelenken und einem Pinocchio-Gesicht, in dem sich nur die Augen bewegen. Man kann dabei an E. T. A. Hoffmanns Puppe Olimpia denken, an die Nachtgestalten des deutschen Stummfilmkinos oder die untoten Püppchen amerikanischer Horrorfilme, aber für die Handlung selbst folgt nichts daraus, denn Carax setzt Annette nur als Schauwert ein.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!