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#Jacques Offenbachs „Banditen“ an der Oper Frankfurt

Gesungen aber wird brillant: Jacques Offenbachs „Banditen“ inszeniert Katharina Thoma an der Oper Frankfurt mit liebevollem, nicht allzu scharfem Witz. Dazu funkeln die Stimmen des Ensembles exzellent.

Wie korrupt es in der Europäischen Union zuging (und vielleicht sogar immer noch zugeht), darüber informierte vor zwanzig Jahren die Arte-Dokumentation „Weiße Westen – schwarze Kassen“. Der Journalist Christian de Brie prägte darin den unvergesslichen Satz, die Korruptionsaufklärung durch die Organisation Transparency International, von Konzernen und Regierungen kofinanziert, sei in etwa so, als würde man den Fuchs bitten, im Hühnerstall aufzupassen, dass die Mäuse keine Maiskörner knabbern.

Insofern ist der Einfall der Regisseurin Katharina Thoma ebenso hübsch wie treffend, Jacques Offenbachs letzte Opéra-bouffe „Die Banditen“ über korrupte Bankiers und Finanzminister aus dem Jahr 1869 in die Europäische Union unserer Gegenwart zu verlegen. Die titelgebende Banditenbande, die in behutsamer Aktualisierung einen jungen „Biobauern“ namens Fragoletto überfallen hat, der sich flugs in die Räubertochter Fiorella verliebt und gemeinsam mit den Kleinkriminellen ein politisches Heiratsprojekt zur Sanierung maroder Staatsfinanzen kapert, treibt ihr Unwesen in einer EU, wo Mitgliedstaaten einander Ämter und Posten zuschanzen, um Schulden erlassen zu bekommen oder sie gänzlich zu vertuschen. Freilich zeichnet Thoma diese verkommenen Verhältnisse liebenswert freundlich. Ihr Witz tut niemandem weh, wie schon der Witz Offenbachs und seiner Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy im Kaiserreich Napoléons III. eigentlich niemandem wehtat, sondern alle nur animierte zu lachen, statt sich zu ändern.

Lachen muss man auch in Frankfurt, besonders über die krachende Knallcharge Peter Bronder als Schatzmeister von Mantua, ein vertrottelt-dauergeiles Faktotum seines Herzogs, das die Staatsgelder zugunsten privater Frauengeschichten veruntreut. Immer wenn sein Herz entflammt, nimmt er den Radiergummi zur Hand, um Bilanzen zu fälschen. Das sprachliche Pendeln zwischen „Herz“ und „Gummi“, das dem Akt der Veruntreuung sofort eine sexuelle Konnotation gibt, sorgt beim Frankfurter Premierenpublikum für laute amüsierte Zustimmung.

Verrutschte Welt: Wirtin Pipa (Cláudia Ribas) muss weg.


Verrutschte Welt: Wirtin Pipa (Cláudia Ribas) muss weg.
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Bild: Barbara Aumüller

Und doch hätte man sich für diese Inszenierung mehr Handlungseinfälle, eine bissigere szenische Intervention denken können. Die Bühnenbilder von Etienne Pluss böten in ihrer feinen Komik großartige Vorlagen dafür. Am Anfang sieht man eine alpine Bergschlucht mit barocken Pappbäumen unter einer modernen Autobahnbrücke. Wie die Wegelagerer von heute die motorisierte Mobilität schröpfen – das hätte man gern in allerlei Vorgängen gesehen. Stattdessen füllt Thoma, die in Frankfurt schon durch die kluge Inszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ und einen Pergolesi-Doppelabend auffiel, die Zeit lieber mit den munteren, aber wenig erzählenden Choreographien von Katharina Wiedenhofer.

Sehr lustig geraten dafür die Szenen, in denen die spanische Delegation (in den ulkigen Klischeekostümen von Irina Bartels) in würdevoller Statik hereingeschoben wird, oder der Moment, da an die zwanzig singende Frauen aus dem Alkoven des offenbar „viel geliebten“ Herzogs von Mantua schlüpfen.

Karsten Januschke dirigiert elektrisierend

Die szenische Zurückhaltung schafft Raum für die Musik. Und die klingt in Frankfurt so brillant, dass man sich flugs eine Aufnahme von dieser Produktion wünscht. Elizabeth Reiter als Fiorella und Kelsey Lauritano als Fragoletto singen mit funkelnder Exzellenz, blitzblank, übermütig, absolut sicher. Reiter ist dazu noch ein großes Talent stimmlicher wie spielerischer Komik: eine rotzige Göre mit quickem Gespür für die Vorteilsrendite jeder Situation. Auch Gerard Schneider als Räuberhauptmann Falsacappa hat genau den wendig-eleganten, durchaus schmeichlerischen Tenor, den man für Offenbach braucht. Die ganz große Stunde schlägt aber dieses Mal für den Chor der Oper Frankfurt, den Tilman Michael bestens darauf vorbereitet hat, vokal durch die Szenen zu rasen, beim Tanz das syllabische Silbengehäcksel staccato-synchron zum Orchester abzuliefern und beim Spottlied über das Stiefeltrappen der Gendarme knisternd zu flüstern.

Karsten Januschke hat sich als Dirigent des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters für eine kleine Besetzung entschieden, die ihm ein zartes, geschmeidiges Musizieren ermöglicht, das elektrisierend federt, ohne zackig zu werden. Musikalisch kommt Offenbach ja meistens mit einer Kinderliedharmonik in Kurkapellenorchestration aus, um desto schärfer den Rhythmus zu benutzen als Mittel der gestischen Karikatur und in der pointierten Prosodie die Absurditäten wie Verlogenheiten des Sprechens bloßzustellen.

„Die Banditen“ kamen kurz vor dem Untergang des Zweiten Kaiserreichs heraus und haben nie die Berühmtheit von „Orpheus in der Unterwelt“, „Pariser Leben“ oder „Die schöne Helena“ erreichen können, weil ihre Aufführungsgeschichte durch den Preußisch-Französischen Krieg 1870/71 amputiert wurde. Das Lied „Die großen Stiefel, sie trappen, sie trappen, sie trappen, sie trappen, sie trappen“ war einer der letzten komischen Schlager Offenbachs. Wenige Monate später, so schreibt es Siegfried Kracauer in seinem Buch „Offenbach und das Paris seiner Zeit“ mochte niemand mehr lachen über ein kriegsuntaugliches einheimisches Militär und das Geräusch trappender Stiefel. Eine Aktualisierung wird sich in diesem Fall wohl niemand wünschen.

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