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#„Jeder, der jetzt vor der Tür ist, wird getötet!“

„Jeder, der jetzt vor der Tür ist, wird getötet!“

Die Aktivistin Khin Sandar Tun steht wenige Meter von dem Krankenwagen entfernt, als ein Freiwilligenteam den ersten jungen Mann mit Schussverletzung bringt. Wo genau er angeschossen worden war, kann sie nicht sagen. „Das Blut war überall an seinem Körper, aber ich glaube, es war ein Bauchschuss“, berichtet die Frau der F.A.Z. telefonisch aus Yangon. Der blutige Körper habe ihr Angst gemacht. Die Sanitäter fahren ihn sofort in das Krankenhaus. Dort stirbt der Mann laut Berichten der lokalen Presse später an einer Schussverletzung in der Brust. Zu diesem Zeitpunkt herrscht schon das Chaos im Zentrum von Myanmars größter Stadt, in der seit Wochen die Menschen gegen den Militärputsch auf die Straße gehen. Nun sind die Straßen von Tränengas vernebelt, Gummigeschosse peitschen zwischen den Köpfen umher und prallen von den Gebäuden ab.

Till Fähnders

Die Schussgeräusche verändern sich, als die Sicherheitskräfte unvermittelt auch scharfe Munition einsetzen, berichtet Khin Sandar Tun. Sie hatte die Demonstrationen an diesem Tag aus den hinteren Reihen versorgt. Sie hört die Rufe der Menschen, wonach immer mehr Menschen angeschossen worden seien, ein etwa 23 Jahre alter Mann habe einen Beinschuss, dann kommt noch jemand mit Schussverletzungen und noch ein weiterer Verwundeter. Bald ist klar, dass Sonntag der bisher blutigste Tag ist seit dem Beginn der Proteste Anfang Februar. Über die Zahl der Toten gibt es unterschiedliche Angaben, auf mindestens elf Tote kommt die Nachrichtenagentur Reuters. Berichte über Todesopfer kommen aus Yangon, Mandalay und Dawei im Süden des Landes. Dutzende Menschen sind verletzt, Hunderte wurden festgenommen.

Die Menschen kämpfen um ihr Überleben. Die Krankenhäuser, die aufgrund des Generalstreiks teilweise geschlossen waren, öffneten zur Versorgung der Verletzten wieder. Im Internet wird zu Blutspenden aufgerufen. Die Empörung über die Gewalt ist im Inland und Ausland groß. Die Botschaften Großbritanniens und der Vereinigten Staaten verurteilen die „inakzeptable“ und „verabscheuungswürdige“ Gewalt. Khin Sandar Tun vergleicht das Vorgehen der Sicherheitskräfte mit dem von „Terroristen“. „Sie schießen nicht nur auf die Demonstranten, sondern auch auf die Zivilisten in den Häusern. Etwa wenn sie sehen, dass sie aus den Häusern fotografiert werden“, sagt Khin Sandar Tun.

„Jeder, der jetzt vor der Tür ist, wird getötet!“

Ein Grund dafür dürfte sein, dass viele dieser Fotos und Videos, welche die Menschen unter großem Risiko aufnehmen, durch die sozialen Netzwerke um die Welt gehen. Ein Video vom Sonntag zeigt einen blutüberströmten Mann, der von Helfern von dem Ort der Demonstration weggebracht wird. Auf Fotos sind Blut und zerborstenes Glas auf einem Gehweg zu sehen. Auch Myanmars Journalisten berichten weiter mit großem Mut, obwohl auch sie zunehmend zum Ziel von Festnahmen und Gewalt werden. Ein Journalist der Zeitschrift „Frontier Myanmar“ übermittelt den Ruf eines Polizisten, der gerade das Feuer eröffnete: „Wir greifen hart durch, nicht nur, weil es unsere Pflicht ist, sondern weil wir es lieben. Jeder, der jetzt vor der Tür ist, wird getötet!“, rief der Polizist demnach. Ein Journalist vergleicht die Schüsse mit Regen, der auf die Erde prasselt.

Drei Finger als Zeichen des Widerstands. Die Demonstranten in Myanmar verwenden den Gruß aus der Filmreihe „Tribute von Panem“.


Drei Finger als Zeichen des Widerstands. Die Demonstranten in Myanmar verwenden den Gruß aus der Filmreihe „Tribute von Panem“.
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Bild: Reuters

Die Konfrontation in Yangon beginnt schon am Morgen gegen acht Uhr, als sich rund 300 Demonstranten und etwa 100 Polizisten einander gegenüberstehen. Trotz des härteren Vorgehens der Polizei lassen sich die Demonstranten zunächst nicht verjagen. Sie haben sich vorbereitet, viele tragen Bauarbeiterhelme und Schilder aus Holz und Metall. Während die Sicherheitskräfte einige Straßen blockieren, haben die Demonstranten andernorts ihre eigenen Barrikaden aus Autos und Müllbehältern aufgebaut. Sie stellen sich den Sicherheitskräften in den Weg, die Hände zur Faust oder dem Drei-Finger-Gruß gereckt, dem Protestzeichen, das die Demonstranten sich von den Rebellen aus der Filmreihe „Die Tribute von Panem“ abgeschaut haben.

Ein Ausländer, der in Yangon ansässig ist, hört schon in den frühen Morgenstunden, wie die Truppen in das Zentrum fahren. Die Sicherheitskräfte versuchen, die Demonstranten einzukesseln, berichtet er der F.A.Z. per Telefon. Er hört und sieht ebenfalls die Gummigeschosse, sieht mehrere Verletzte, unter ihnen einen Mann mit einem blutigen Kopf. Dem Ausländer zufolge ist es eine „einseitige Brutalität“ der Polizei, die Demonstranten übten nur leichte Gegenwehr. „Man kann wirklich sagen, dass heute der bislang blutigste Tag war“, berichtet er. Nach seinen Schilderungen erinnert Yangons Zentrum an eine Kampfzone. „Es werden Salven geschossen, dann knallt es 20-, 30-mal, dann raucht es ganz stark“, sagt der Mann. „Die schießen eben auch nicht nur in die Luft, sondern die schießen oft auch in die Masse.“

Die Aktivistin Khin Sandar Tun zeigt sich verwundert, wie wenig sich die Menschen von der Gewalt beeindrucken lassen. Sie hätten trotz der Schüsse ihre Kundgebungen fortgesetzt. „Sie warteten in den kleinen Gassen und kamen wieder heraus, wenn die Schüsse aufhörten.“ Auch für Montag sind wieder Proteste geplant. Dann ist genau ein Monat vergangen, seitdem die Armee über Nacht die Macht an sich gerissen und Mitglieder der Zivilregierung wie die Staatsrätin Aung San Suu Kyi und den Präsidenten Win Myint festgenommen hatte. Damals hatten die Militärs wohl noch gehofft, das Land schnell wieder unter ihre Kontrolle bringen zu können. Doch die Menschen in Myanmar leisten auch trotz der brutalen Gewalt weiter Gegenwehr.

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