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#Teresa Präauers Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“

Mit diesem Roman darf man Teresa Präauer einmal mehr so etwas wie subversive Mustergültigkeit attestieren: War „Johnny und Jean“ (2014) ein Künstlerroman und zugleich dessen Parodie, war „Oh Schimmi“ (2016) Außenseiterpor­trät und anarchischer Affenzirkus, so ist „Kochen im falschen Jahrhundert“ ein Stück Pop­literatur und dessen satirische Verfremdung; ein Abziehbild der Manufactum-Servus-Welt und deren Karikatur; ein Konversationsstück, in dem die Gedanken der Sprechenden mindestens genauso wichtig sind wie ihre Worte.

Wir befinden uns in einer geräumigen Wohnung in einem bürgerlichen Bezirk einer namenlosen Stadt, die sich leicht als Wien identifizieren lässt. Auch das Personal hat keine Namen: „Seit ein paar Jahren war die Gastgeberin mit ihrem Partner zusammen, der wiederum mit seinem Smartphone zusammen war.“ Die beiden leben schon eine Weile da, aber noch immer stehen Bananenkisten herum. Sie haben Freunde zum Abend­essen geladen, weil man das so macht, wenn man erwachsen ist. Sie sind jenseits der vierzig, also schon ziemlich erwachsen. Erwartet werden ein Ehepaar, das sich für einen Abend Urlaub von seinem Baby nimmt, und „der Schweizer“, ein Universitätslehrer, dessen Freundin verhindert ist.

Die Gäste sind unpünktlich

Wer im falschen Jahrhundert kocht, dem mangelt es an der Selbstverständlichkeit der Routine. Dabei ist das Menü nicht überambitioniert: Blattsalat mit Birne, Pekannüssen, Ziegenfrischkäse und Roter Bete („Man sagte hier übrigens nicht Rote Bete, sondern Rote Rübe“), Quiche Lorraine und Eis am Stil. Aber die Gäste sind unpünktlich, ihre Schuhe hinterlassen Flecken auf dem hellen Vorzimmerboden, und der Partner beseitigt ein Malheur mit dem teuren Geschirrtuch aus Kopenhagen. „Die Gastgeberin übte sich in Gelassenheit“, und auf der nächsten Seite: „Die Gast­geberin blieb gelassen, das kam vom vielen Üben.“

Dreimal nimmt die Geschichte Anlauf, mit drei verschiedenen Anfängen, jedes Mal dreht sich das Kaleidoskop um eins weiter, jedes Mal steht da eine kleine Zutatenliste als Appetizer. Die Playlist passt perfekt zum jeweiligen Mikroereignis: Beklagt „der Schweizer“ die fehlenden Utopien, folgt Miles Davis’ „So What“, berichtet „der Ehemann“ empört über einen Disput, singt Nina Simone „Don’t Explain“. Ein Episodenroman? Eher eine munter verspielte Erzählung, die mit einem Selbstgespräch voll sinnlicher Reminiszenzen verschränkt wird: „Am Anfang war die Artischocke.“ – „Blatt für Blatt zupftest du von der großen Knolle ab“, bis zum „köstlichen Artischockenherzen“, aber das wehrt sich gegen das Verspeistwerden, weil die Anfängerin das Heu nicht entfernt hat: „Diese süße Bitterkeit!“

Die Hauptzutaten: Humor und Ironie

Teresa Präauer: „Kochen im falschen Jahrhundert“.


Teresa Präauer: „Kochen im falschen Jahrhundert“.
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Bild: Wallstein Verlag

Durch Präauers Guckloch sehen wir in ein trautes Heim von heute, in dem das angeblich einfache Leben das gute ist, ein Marktplatz der alten Möbel und Werte mit Sinn für neues Design und moralisches Refurbishment. In der Inventur kulinarischer Wegmarken wird die Kluft zwischen dem studentischen Leben in der „Substandardwohnung“ und der sympathisch versnobten Lifestyle-Existenz ausgemessen, in der die Alvar-Aalto-Vase und das Iittala-Glas mit dem Flohmarktfund friedlich koexistieren. Die Autorin würzt mit Witz und fein dosierter Ironie, doch anders als im klassischen Pop-Roman fehlt der Zynismus. Kein Artischockenherz der Finsternis wird gesucht, sondern die verlorene Zeit der jungfräulichen Geschmackssensationen. Der ungeniert nostalgische Grundton klingt auch im alltagsgeschichtlichen Blick auf die Generationen der Mütter und Großmütter an, die in vielem ärmer dran waren, aber manches konnten und wussten, das die Enkelin nur noch als sinnliche Erinnerung parat hat. Die handelnden Personen, die ihre reale Gegenwart beinah in Echtzeit durch werbewirksam verlinkte Videos im Netz vervielfältigen, sind trotz allem Menschen aus Fleisch und Blut, und die Erzählerin ist eine von ihnen, ausgezeichnet nur durch ihr Bewusstsein um den Stand der Dinge – und um die dazugehörige Sprache: „Wieso sagten die Menschen in letzter Zeit so gern alles gut? Wieso fragten sie: Alles gut? (. . .) Wo doch eigentlich sehr wenig einfach gut war, fast gar nichts.“ Weil sie Bourdieu gelesen hat und die Distinktion zwischen diesem und jenem Deutsch in der gastronomischen Warenkunde besonders ausgeprägt ist, fragt sich die Gastgeberin auch, wozu es „diese vielen feinen Unterschiede“ gibt, „selbst innerhalb einer Sprache“.

Vielleicht steigern sie ja den Genuss, wie Präauers planvolle Rhythmisierung und kluger Einsatz von direkter und indirekter Rede, von Wiederholungen, Variationen und Zitaten die Lust am Text mehren, bis uns ein Da capo al fine in die Endlosschleife gastlicher Exerzitien führt. Denn einerseits bereitet die orale Befriedigung beim Essen und Trinken (Crémant!) und Sprechen den Boden für erotische Themenwechsel, ist doch Sex „eine Form des Gesprächs mit anderen Mitteln“. Andererseits wird die Frage nach dem guten Leben hier keineswegs hedonistisch beschränkt gestellt. Ob Small Talk oder „Deep Talk“, „Kochen im falschen Jahrhundert“ erzählt auch von einer Midlife-Crisis: Es fällt nicht leicht, die Bananenkisten auszupacken, wenn man nicht weiß, was man vom eigenen Aufstieg halten soll und ob die errungene Freiheit nicht vom Gedächtnis der mitgeschleppten Dinge und Gewohnheiten widerlegt wird. Blatt für Blatt, wie beim Verschmausen der Artischocke, nähert sich die Erzählerin dem Kern der Sache, bis ein Überraschungsgast von Übersee ihn der Gastgeberin enthüllt. Die „süße Bitterkeit“ ist auch die Geschmacksnote dieses Buches.

Teresa Präauer: „Kochen im falschen Jahrhundert“. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 198 S., geb., 22,– €.

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