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#Juli Zeh und Dirk Oschmann in Frankfurt: Diagnose fehlende Augenhöhe

Die Autoren Juli Zeh und Dirk Oschmann debattieren beim Festakt in der Frankfurter Paulskirche zum Tag der Einheit über Ost und West und Demokratie und Diktatur – und bemerken, dass sich die Fehler von 1990 nun wiederholen.

Es geht. Es geht tatsächlich, aus einem Festakt, der eine Pflichtübung ist – es gehört sich zwar für eine Großstadt wie Frankfurt, eine Feierstunde zum Tag der Deutschen Einheit auszurichten, aber der 33. Jahrestag ist ein reichlich krummer, und sind nicht längst alle denkbaren Reden gehalten? –, eine Veranstaltung zu machen, bei der sich alle glücklich schätzen können, die dabei waren. Am Dienstag in der Paulskirche war es so. Der Oberbürgermeister fasste sich angenehm kurz, Mike Josef (SPD) sagte, was zu sagen ist, vom tiefen Dank an diejenigen in der damaligen DDR, die das Regime zu Fall gebracht haben, sprach er, auch davon, wie wenige einst überhaupt noch an eine staatliche Einheit der Deutschen geglaubt hätten.

Manfred Köhler

Ressortleiter der Rhein-Main-Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Dann aber gehörte die Bühne der Schriftstellerin Juli Zeh und dem Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann. Nicht gut stehe es um die innere Einheit Deutschlands, befanden beide. Der Westen habe die Wiedervereinigung 1990 vor allem als ein Problem gesehen, meinte Zeh. Der Westen habe an seinem abfälligen Reden über den Osten nie etwas geändert, ergänzte Oschmann, der in Gotha aufwuchs. Dabei sei die Einheit immer noch ein Wunder und jedenfalls für ihn eine Explosion an Lebensmöglichkeiten gewesen.

Es war, kurzum, kein Interesse auf westlicher Seite, die Wiedervereinigung auf Augenhöhe anzugehen, so der Literaturwissenschaftler, dessen Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ zu einem Bestseller geworden ist. Noch heute, sagt Oschmann, sei das Bild des Westens vom Osten klischeebehaftet, dabei sei zum Beispiel der Anteil der Bürger mit einem gefestigten rechtsextremen Weltbild in ganz Deutschland gleich.

Zeh: Die Politik konzentriert sich auf das Falsche

Auf Augenhöhe: Das wurde zum Schlüsselbegriff in dem von der Fernsehjournalistin Cécile Schortmann moderierten Gespräch. Oschmann beklagte, dass nach dem 3. Oktober 1990 nicht eine neue Nationalhymne für das nun einige Deutschland gesucht worden sei, man auch nicht gemeinsam eine neue Verfassung erarbeitet habe, weshalb der 75. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes im nächsten Jahr für die Ostdeutschen ein schwieriges Datum sei. Zeh schlug den Bogen zur Gegenwart. Wie der Westen mit der Einheit umgegangen sei, zeige ein strukturelles Muster: Es gebe eine Aufgabe, die als dringend erscheine und als so problembeladen, dass die Bürger erst gar nicht eingebunden werden könnten. Auch dies wieder: fehlende Augenhöhe.

Damit waren die beiden endgültig im Hier und Jetzt angekommen. Die Politiker konzentrierten sich oft nicht auf das, was die Bürger wirklich bewege, konstatierte Zeh, dabei gehe es doch zunächst zum Beispiel um ein funktionierendes Bildungssystem und darum, dass Züge führen, in Brandenburg fehle es an Bussen, Schulen und Ärzten. Doch solche Aufgaben würden als zweitrangig betrachtet, immer wieder entstehe der Eindruck, es gebe gerade Dringenderes, doch die Bürger spürten sehr genau, ob sie ernst genommen würden oder nicht.

Von da war es nicht mehr weit zu den Wahlerfolgen der AfD und auch zu der Frage, inwiefern die Demokratie insgesamt in der Krise stecke. Sie sei eine relativ junge Staatsform und müsse sich erst noch beweisen, meinte Oschmann und sprach sich für mehr Elemente der direkten Demokratie aus.

Dies werde die gegenwärtigen Schwierigkeiten nicht lösen, entgegnete Zeh, außerdem habe die Demokratie längst bewiesen, dass sie die beste Staatsform sei, nur müsse man davon absehen, Politik als Pädagogik zu verstehen. Da war sie wieder, die Augenhöhe, und da stimmte auch Oschmann ein: Die Bürger seien ernst zu nehmen.

Das war alles mit etwas breitem Strich gezeichnet, vieles wurde nicht ausgesprochen, nicht ein einziges Mal war etwa die Rede vom gegenwärtigen Aufreger schlechthin, der Flüchtlingswelle, aber es war so viel mehr, als von einem Festakt zu erwarten war. So war die Paulskirche an diesem Dienstag genau das Haus der Demokratie, das eigentlich doch mit hochkomplexen Konzepten erst nebenan errichtet werden soll. Er habe das Gefühl, dass die Deutschen der Demokratie müde geworden seien, hatte der Oberbürgermeister zu Beginn gesagt. Jedenfalls nicht, wenn Demokratie noch in der Lage ist, getragene Festveranstaltungen mit musikalischer Einrahmung auf die Beine zu stellen, die dann unverhofft zu solchen gedankenreichen Diskussionen werden.

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