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#Juwelen im Brustkorb

Juwelen im Brustkorb

Wie muss eine Erzählung beschaffen sein, damit sie fünfhundert oder sogar tausend Jahre lang nicht in Vergessenheit gerät? Welchen Medien muss sie sich im Verlauf der Jahrhunderte anpassen, um immer auf der Höhe der Zeit zu sein? Und welche wechselnden sozialen und politischen Funktionen übernehmen solche Erzählungen in ihren verschiedenen historischen Kontexten? Die Fragen, die das Züricher Museum Rietberg in zwei aktuellen Ausstellungen umkreist, stellen sich in vielen Ländern und Kulturkreisen. Sie sind geradezu universell. Die Antworten, die das Museum jetzt nahelegt, gelten hingegen nur für ein einziges Land. Sie sind einzigartig, und sie sind faszinierend.

Die Ausstellung „Liebe, Kriege, Festlichkeiten“ entführt in einen Erzählkosmos, der den meisten westlichen Besuchern fremd sein dürfte, aber sogleich in Bann schlägt. Besonders fesselnd: Die Facetten narrativer Kunst aus Japan, die hier entfaltet werden, stammen ganz überwiegend aus einer vormodernen Gesellschaft, aber vieles an ihnen wirkt erstaunlich modern. Die „Geschichte vom Prinzen Genji“, einer der populärsten Texte der japanischen Literatur, wurde um das Jahr 1000 von der Hofdame Murasaki Shikibu geschrieben, und zwar in 54 Folgen, die sukzessive publiziert wurden. Wie in den Fortsetzungsromanen, die Balzac, Dickens oder Eugène Sue im neunzehnten Jahrhundert in Zeitungen veröffentlichten, spannte die Autorin ihre höfischen Leser auf die Folter, was im jeweils nächsten Kapitel geschehen würde. Was die Shikibu nicht geahnt haben dürfte: dass ihre Episoden ein Jahrtausend lang überaus populäre Motive der darstellenden Künste abgeben würden. In Buchrollen, auf Porzellan, als Lackmalerei auf hölzernen Behältnissen und Möbelstücken, auf Fächern, auf dem Seidenfutter von Jacken und Kimonos, auf großen Paravents – auf allen erdenklichen Materialien sind Szenen und Zitate aus der „Geschichte vom Prinzen Genji“ zu finden.

Ein Muschelmemory und eine „Erinnerung an eine Erzählung“

Aus dem späten achtzehnten Jahrhundert stammt eines der schönsten Stücke der Ausstellung: ein achteckiges, reich bemaltes und mit Goldpulver bestreutes Behältnis für Spielmuscheln. Die 360 Muschelhälften wurden erst vergoldet und dann jeweils paarweise mit ikonischen Szenen aus dem Genji-Roman bemalt: eine Art „Memory“, das in höfischen Kreisen seit dem zwölften Jahrhundert gespielt wurde. Je mehr Motive erkannt und in den Romanverlauf eingeordnet werden konnten, desto höher waren Belesenheit und Kultiviertheit der wohlhabenden Spieler einzuschätzen.





Bilderstrecke



Blick in die Ausstellung
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Narrative Kunst aus Japan

Ein anderes Beispiel dafür, dass die narrative Kunst Japans sich nicht auf klassische Bildträger wie Papier, Seide oder Holztafeln beschränkte, ist das zu den offiziellen Nationalschätzen des Landes zählende „suzuribako“ des Lackkünstlers Ogata Korin. Der Schreibkasten aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert ist mit Schwertlilien verziert, über denen acht Streifen aus Blei angebracht sind. Sie stellen die acht hölzernen Stege aus einer berühmten Episode der „Geschichten von Ise“ aus dem zehnten Jahrhundert dar, ebenso konkret wie abstrakt und dabei die unterschiedliche Materialität von Lack, Blei und Perlmutt auf extreme Weise betonend. Weil hier weder Personen zu sehen sind noch eine Handlung dargestellt wird, vermutet die Kuratorin Khanh Trinh in einem der anspruchsvollen Katalogbeiträge, hier solle keine Geschichte erzählt, sondern eine „Erinnerung an eine Erzählung“ aufgerufen werden.

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