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#Kann man Intelligenz vergleichen? – evolvimus

Kann man Intelligenz vergleichen? – evolvimus

Wer heute Morgen einen Blick auf die Titelseite der Süddeutschen Zeitung geworfen hat, dem ist vielleicht unten links eine für Homo sapiens erschreckende Meldung aufgefallen: „Fix im Kopf – Schimpansen übertrumpfen Menschen am Computer“. Der Artikel bezieht sich auf eine aktuelle Studie im Journal Scientific Reports, die zeigt, dass bei einem Computerexperiment Schimpansen bessere Ergebnisse lieferten als die japanischen Studenten, gegen die sie antraten. Es ging ganz allgemein darum, die Strategie des Gegners zu durchschauen und seine eigene Strategie so anzupassen, dass die Belohnung (Apfelstücke oder Geld, je nach Spezies) maximiert wurde. Der Artikel in der Tageszeitung deutet an, dass Schimpansen bei diesem Versuch die besseren kognitiven Fähigkeiten bewiesen.

Wer jetzt glaubt, Schimpansen wären schlauer als Menschen, ist aber auf dem Holzweg. Genauso wenig lässt sich außerdem behaupten, wir wären schlauer als die Schimpansen. Beim Vergleich der Intelligenz zwischen zwei Individuen gibt es nämlich einige Probleme, die in diesen Studien häufig nicht berücksichtigt werden können. Es ist deshalb sinnvoll, mit der Interpretation der Ergebnisse – egal ob man Leser einer Zeitung oder Wissenschaftler einer Studie ist – immer etwas vorsichtig zu sein.

Das zumindest behaupten zwei britische Wissenschaftlerinnen in einem spannenden neuen Artikel, den sie für das Journal Behavioral Ecology geschrieben haben, und sprechen damit ein Thema an, dass deutlich über Wahrnehmungsforschung hinausgeht.

Kann man Intelligenz messen?

Verhaltensbiologen benutzen gerne Labels und Definitionen. Das hat Vorteile, denn es hilft, um miteinander über die gleichen Themen zu reden. Es hilft auch, um sich bewusst zu machen, was für eine übergreifende Frage eigentlich hinter einem Experiment steckt. Welches Tier ist am mutigsten? Welche Vorteile hat Intelligenz bei der Partnerwahl? Sind kreative Singvögel die besseren Väter? Dies sind Fragen, die Biologen interessieren. Doch Mut, Intelligenz und Kreativität kann man nicht messen. Man misst stattdessen Verhaltensweisen, die auf diese Eigenschaften hinweisen. Und genau an diesem Punkt wird es problematisch, wenn man seine übergreifende Frage beantworten will. Man muss sich an irgendeinem Punkt nämlich überlegen, was genau man eigentlich gemessen hat.

Candy Rowe und Sue Healy, zwei Neurobiologen aus Newcastle bzw. St Andrews, betrachten das Problem aus evolutionsbiologischer Sicht. Bringt es einen selektiven Vorteil, schlau zu sein? Die Frage lässt sich so auch nicht beantworten, denn man muss sich erst ein Experiment ausdenken, in dem man die Intelligenz der Individuen vergleichen kann. Zum Beispiel eine Gruppe Vögel, die lernen sollen, zwischen zwei verschiedenen Futterschalen zu unterscheiden. Die mit dem grünen Deckel beinhalten Futter; die mit den lila Deckeln nicht. Welcher Vogel versteht als erster, dass es in den lila Gefäßen nichts zu holen gibt? Und wer macht die wenigsten Fehler bei der Suche nach Nahrung? Beides sind klassische Fragen der Verhaltensforschung und die Ergebnisse scheinen auf den ersten Blick eindeutig. Einige Vögel lernen schneller und machen weniger Fehler. Deren kognitive Leistung ist also höher, oder?

Illustration des Vogelexperimentes (© evolvimus)

Nicht so schnell! Es gibt viele alternative Erklärungen für die Verhaltensunterschiede im Experiment. Im Artikel nennen die Autorinnen vier davon:

  1. Die Individuen können unterschiedliche Vorerfahrungen haben. Grüne Insekten oder lila Herbstlaub könnten bei einzelnen Tieren positive und negative Assoziationen wecken.
  2. Die Individuen können auch eine unterschiedliche Verfassung haben. Hungrige Tiere haben z.B. eine andere Motivation die Schalen zu öffnen als satte. Und unabhängig von der Körpergröße gibt es nicht messbare physiologische Faktoren, die beeinflussen, wie ein Tier eine bestimmte Portion an Nahrung wahrnimmt.
  3. Die Wahrnehmung des Experimentes ist deshalb auch ein wesentlicher Punkt: Für einige Tiere fallen die grünen Deckel direkt als solche auf; andere wiederum haben ihr Leben lang grüne Flächen gesehen und finden deshalb die lila Deckel viel interessanter. Die Beziehung zwischen Belohnung und Signal wird deshalb nicht von jedem Tier gleich wahrgenommen. Die Geschwindigkeit, mit der etwas erlernt wird, ist deshalb nicht gleich ein Zeichen für eine besonders hohe oder niedrige kognitive Fähigkeit.
  4. Zuletzt lenken die Autorinnen noch die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, mit der Tiere Informationen sammeln. Je nachdem, wie man aufwächst, hat man eine andere Art entwickelt, sich mit der Umwelt auseinander zu setzen. Durch Erfahrung – in gewisser Weise könnte man sagen: durch Selektion der besten Methoden – hat man gelernt, welche Herangehensweise für einen selbst am erfolgreichsten ist. Die Entwicklung spielt also eine große Rolle dabei, wie man lernt, Informationen verarbeitet und welche Entscheidung man trifft. Wenn ein Vogel also mehr lila Deckel öffnet, tut er das vielleicht, um mehr Informationen über seine Umwelt zu sammeln, und nicht weil er weniger schlau ist.

Dieser letzte Punkt ist wichtig für die Erforschung von komplexem Verhalten. Kognition ist genau wie Kreativität oder Mut kein simples Verhalten (oder Unitary trait, wie die Autorinnen sagen). Die Fähigkeit, ein Verhalten durchzuführen, beruht auf vielen kognitiven Prozessen. Sie mit einem Label wie „schlau“, „mutig“ oder „kreativ“ zu besetzen, ist häufig nicht im Interesse der Forschung und kann schlimmstenfalls in den Medien schnell missverstanden werden.

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